Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Jüdischer Kölner Knappstein "Solidarität mit Israel – aber nicht mit Netanjahu"
Der Kölner Aaron Knappstein ist Präsident des jüdischen Karnevalvereins Kölsche Kippa Köpp e.V. Im t-online-Interview erklärt er seine Sicht auf den Nahostkonflikt und wie er es empfindet, als jüdischer Mann in Deutschland zu leben.
Aaron Knappstein ist Mitglied der Jüdischen Liberalen Gemeinde in Köln. Im Hauptberuf ist er beschäftigt als Niederlassungsleiter bei der landeseigenen Start Zeitarbeit NRW GmbH. Daneben arbeitet er für das Kölner NS-Dokumentationszentrum und macht Stadtführungen, in denen er die Vielfalt des Kölner Judentums in Vergangenheit und Gegenwart vermittelt. Knappstein ist auch Präsident des jüdischen Karnevalvereins Kölsche Kippa Köpp e.V. von 2017. t-online sprach mit ihm über den Nahostkonflikt und die Reaktionen in Deutschland.
t-online: Herr Knappstein, wie bewerten Sie die aktuelle Situation im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern?
Aaron Knappstein: Im Moment natürlich positiver als noch vor einer Woche. Es scheint so, als ob die Waffenruhe hält. Ich bin entsetzt und traurig, dass es wieder zu Auseinandersetzungen gekommen ist. Man hofft immer inständig, dass dieser wacklige Zustand des Zusammenlebens hält. Aber die Auseinandersetzungen sind ja nicht vom Himmel gefallen. In jüdischen Zeitungen wie der "Jüdischen Allgemeinen" konnte man schon vorher lesen, dass es brodelt. Es flogen bereits Wochen vorher Dutzende Raketen pro Tag Richtung Israel, übrigens ohne dass die israelischen Streitkräfte zurückschossen. Vielleicht ist das der Grund, warum man hier nichts darüber lesen konnte.
Ist die Solidarität der jüdischen Gemeinden mit Israel vorbehaltlos?
Nein. Natürlich gibt es Menschen jüdischen Glaubens, die Kritik üben und überhaupt nicht einverstanden sind mit dem, was der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu tut. Ich habe viele Freunde, die es schrecklich finden, dass sie in die Lage kommen, politische Entscheidungen von Netanjahu zu verteidigen. Es gibt einen großen Unterschied. Unsere Solidarität mit dem Staat Israel ist enorm, die mit dem Premierminister nicht. Israel ist schließlich ein Land, das uns jederzeit aufnehmen würde.
Sind Sie enttäuscht von der europäischen Politik?
Die EU hat sich nicht gerade mit Ruhm bekleckert, wenn es darum ging, den Frieden voranzutreiben. Wenn Israel sich da alleine auf Europa verlassen würde, wäre das wohl sehr schwierig. Ich halte die Zweistaaten-Lösung im Nahostkonflikt für die einzige Lösung. Es gibt keine Alternative. Für die Menschen hier ist der Nahostkonflikt schwer zu verstehen. Der Konflikt ist nicht einfach erklärbar. So viel ist in den letzten Jahrzehnten passiert. Es gibt weder "die Wahrheit" noch "den Schuldigen". Und Deutschland darf das Existenzrecht Israels niemals in Frage stellen.
Werden wir in absehbarer Zeit zwei Staaten bekommen?
Das ist ein sehr schwieriges Thema. Im Moment sehe ich nicht, dass das umgesetzt werden kann. Und wenn ich die aktuelle Diskussion zum Beispiel in den sozialen Medien verfolge, bin ich irritiert. Da heißt es ständig "Die Wahrheit ist" oder "Der Schuldige ist". Die Diskussionen und die Handlungen sind nicht lösungsorientiert. So wird man dem Frieden nicht näherkommen.
Sie sagten eben, dass Israel das Land sei, dass Menschen jüdischen Glaubens immer aufnehmen werde. Ist das etwas, das Sie immer im Hinterkopf haben? Gerade in diesen Zeiten?
Die Tatsache, dass es Israel gibt, ist schon etwas, das einen beruhigt. Ich bin hier geboren und aufgewachsen. Ich habe natürlich das Gefühl, dass ich hierhergehöre. Aber nach dem Anschlag von Halle bin ich schon nachdenklich geworden. Ist das so, wie ich leben möchte? Freunde sagen, dass wir im Kampf gegen den Antisemitismus nicht zurückweichen dürfen. Da haben sie recht. Aber will man immer kämpfen?
Erleben Sie in Köln Antisemitismus?
Nein. Das gibt es hier so gut wie nicht. Das kommt höchstens mal im privaten Umfeld vor, wenn jemand glaubt, Pseudowitze erzählen zu müssen. Aber angegangen wurde ich in Köln noch nie. Und auch die Kölschen Kippa Köpp haben bislang noch keine einzige antisemitische Reaktion oder Nachricht bekommen. Aber ich kann nur an die Politik appellieren, den Antisemitismus generell sehr ernst zu nehmen. Ich kann es nach Vorfällen wie in Halle nicht mehr hören, jetzt sei endgültig die rote Linie überschritten. Wir alle und insbesondere die Politik müssen viel klarer leben, was man sagt. Sonst verpuffen alle Worte über die rote Linie, und die verschiebt sich dann immer weiter.
- Interview mit Aaron Knappstein