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Köln: Fünfjährige wäre fast verhungert – junges Paar voll schuldfähig


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Anklage wegen Mordversuchs
Gutachten: Junges Paar konnte Not des abgemagerten Kindes erkennen


Aktualisiert am 06.05.2021Lesedauer: 4 Min.
Die angeklagte Mutter sitzt zwischen Anwälten im Gerichtssaal (Archivbild): Bei der Verhandlung kamen Gutachter zu Wort.Vergrößern des Bildes
Die angeklagte Mutter sitzt zwischen Anwälten im Gerichtssaal (Archivbild): Bei der Verhandlung kamen Gutachter zu Wort. (Quelle: Oliver Berg/dpa)
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Die Anklage lautet versuchter Mord im Fall eines fünfjährigen Mädchens, das fast verhungert wäre. Die Mutter sowie ihr Lebensgefährte sind laut Gutachtern voll schuldfähig.

Im Verfahren gegen die junge Mutter, die gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten wegen versuchten Mordes angeklagt ist, haben zwei Gutachter aus der Psychiatrie und Psychologie ihre Erkenntnisse vorgetragen. Ihre Aufgabe war es im Wesentlichen, die Schuldfähigkeit des jungen Paares zu beurteilen. Beide kamen zu dem gleichen Ergebnis: Störungen in dem Maße, dass davon die Schuldfähigkeit beeinträchtigt wäre, liegen nicht vor. Die Angeklagten scheinen aber eine komplizierte Persönlichkeit zu haben und sich darin auch sehr ähnlich zu sein.

"Wie zwei verlorene Kinder, die versuchen, sich zu stabilisieren – aber es gelingt nicht", beschrieb Psychologe Dr. Hanns-Jürgen Kunert. Den Wunsch nach der Geborgenheit einer Beziehung sieht er bei beiden, kommt aber zu einem niederschmetternden Ergebnis: Beide seien "nicht beziehungsfähig", suchten Nähe, könnten sie aber nicht ausleben, weil ihnen die Kompetenzen und Muster dazu fehlten.

Corona förderte Tendenz zur Abschottung

Die detaillierten Ausführungen zum Seelenleben und zur Intelligenz der beiden nahmen den ganzen Tag in Anspruch. Zwischendurch warfen sich die beiden jungen Leute klägliche Blicke zu. Ein paar Mal verkrampfte der Angeklagte die Hand zur Faust. Beide machten, wie auch an anderen Prozesstagen, viele Notizen, um vor ihren Verteidigern das Gehörte zu kommentieren, zeigten ansonsten aber wenig Regung. Dabei mag eine Eigenschaft zum Tragen kommen, die Kunert ihnen attestierte: Alexithymie, also eine gewisse Unfähigkeit, die eigenen Gefühle richtig wahrzunehmen.

Zum Hintergrund: Ein schockierender Fall beschäftigt seit Mitte April das Kölner Landgericht. Eine 24-Jährige und ihr 23-jähriger Lebensgefährte sind wegen versuchten Mordes angeklagt. Hintergrund ist, dass die Tochter der 24-Jährigen im August 2020 so stark unterernährt war, dass sie in akuter Lebensgefahr schwebte. Das Mädchen, zu dem Zeitpunkt fünf Jahre alt und knapp einen Meter groß, wog nur noch 8,2 Kilogramm – so viel wie ein mehrere Monate alter Säugling.

Im logischen Zusammenhang mit der Alexithymie stehe ein Mangel an Empathie, beschrieb Kunert: Wer die eigenen Emotionen nicht erfassen könne, könne sich auch nicht in die Gefühlswelt anderer Menschen einfinden. Gemeinsam sei beiden auch eine negative Erwartung an das Leben, die mit Misstrauen und sozialem Rückzug einhergehe. "Inwieweit hat Corona diese Abschottung befördert?", wollte Verteidiger Markus Gebhardt vom Gutachter wissen. "Eine sehr, sehr gute Frage", entgegnete dieser: "Sicher hat Corona das befördert."

Fehlendes Verantwortungsbewusstsein

Fatal war offenbar auch, dass beide Partner eine Tendenz dazu hatten, Verantwortung bei anderen zu sehen. "Die Beziehung geht auf die Dauer nicht gut, denn beide haben die gleichen Bindungsstörungen", prognostizierte er. Mit Beziehungsdefiziten hätten sich beide wohl ebenso sehr arrangiert wie mit persönlichen Defiziten. Letztlich habe das aber dazu geführt, dass Aufgaben nicht mehr adäquat bewältigt wurden – wie zum Beispiel die Versorgung des kleinen Mädchens. Beide müssten aber, so die Gutachter, in der Lage gewesen sein, deren Not zu erkennen.

Unklar blieb sowohl in Kunerts Gutachten als auch in dem von Psychiaterin Dr. Konstanze Jankowski, wodurch die beiden Angeklagten schon in so jungen Jahren so schwierige Persönlichkeiten entwickelten. Cannabis-Konsum könne dabei eine Rolle gespielt haben, andererseits habe es aber phasenweise auch sehr klares, zielgerichtetes Handeln gegeben, was nicht für durchgehend schweren Cannabis-Gebrauch spreche.

Herkunftsfamilie kaum berücksichtigt

Unter Ausschluss der Öffentlichkeit hatte die Angeklagte zu Prozessbeginn Angaben zu einer schwierigen Kindheit gemacht. Gutachterin Jankowski maß dem keine Bedeutung bei: Die Familie selbst habe sich im Zeugenstand anders dargestellt. "Aus meiner Lebens- und Berufserfahrung sind das einfache, geradlinige Leute, die ausreichend Angebote gemacht haben", befand die Psychiaterin.

Dabei ließ sie unkommentiert, dass die Ex-Schwiegermutter der Anklagten, die in ihrer Aussage viel Kritisches über die 24-Jährige geäußert hatte, über deren Mutter gesagt hatte: Mit ihr habe sie nicht reden können, denn die habe sie schon beleidigt, beschimpft und angeschrien, als sie nur einen Autositz für das Mädchen habe abholen wollen. Später habe sie sie nur noch einmal gesehen: "Das war genauso eine unschöne Begegnung."

Unerwähnt blieb auch , dass Mutter und der Stiefvater der Angeklagten sich auf Facebook nicht mit ihr, sondern nur mit dem Sohn und der anderen Tochter darstellen. Ebenso wie die Tatsache, dass der Ex-Mann der Angeklagten geschildert hatte, er habe diese – damals 17 Jahre alt und hochschwanger – bei sich aufgenommen, nachdem ihre Mutter sie vor die Tür gesetzt hatte.

Allerdings auf den Bruder der Angeklagten, der sich als Zeuge freiwillig gemeldet hatte, berief sich Gutachterin Jankowski. Der habe gesagt, seine Schwester habe ihre Kinder sehr unterschiedlich behandelt, das sei "ekelhaft" gewesen.

Verteidiger: Gutachten ist einseitig

Erzieherinnen hatten die Angeklagte als eine Mutter beschrieben, die in den ersten Jahren für ihre Kinder noch liebevoll das Pausenbrot und Gemüse mit Förmchen ausgestanzt hatte. Eine Nachbarin hatte bezeugt: "Ich habe schon Liebe verspürt von ihr zu den Kindern" – auch das wurde nicht berücksichtigt. Stattdessen wurde die junge Frau als kaltherzig und manipulativ beschrieben.

"Ich finde den Vortrag einseitig", kritisierte daher Verteidiger Markus Gebhardt mit Blick auf die Ausführungen der psychiatrischen Gutachterin: "Mir fehlt die Begründung, warum die Aussagen, die positiv sind, nicht zu einem anderen Ergebnis führen". Am Donnerstag wird mit der Befragung der Gutachter und einem weiteren Gutachten aus dem Bereich der Rechtsmedizin der Prozess fortgesetzt. Das Urteil ist für Ende Mai angesetzt.

Verwendete Quellen
  • Besuch der Gerichtsverhandlung
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