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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Prozess gegen Paar Zeugin über fast verhungertes Kind: "Sie brauchte immer Essen um sich"
Im Prozess um eine fast verhungerte Fünfjährige kamen nun weitere Zeugen zur Aussage, darunter die Familie des Angeklagten und eine Erzieherin. Das Thema Essen war für das Kind demnach von immenser Bedeutung.
Berge voller Müll in der Wohnung, vergammeltes Essen, auf dem sich Maden ausgebreitet hatten und eine Fünfjährige, die nur noch so viel wog wie ein Baby und ständig essen wollte – erschreckend sind die Details im Verfahren gegen ein junges Paar, das wegen versuchten Mordes angeklagt ist. Die Aussagen der Familie des Angeklagten und einer Erzieherin, die das Kind betreute, nachdem es in der Klinik vor dem Hungertod gerettet worden war, zeigen: Essen war immer ein zentrales Thema für das Kind.
Es schien, als hätten sich die Angeklagten mit ihrem Aussehen an diesem Tag besonders viel Mühe gegeben: Der 23-Jährige, dessen Familie aussagte, erschien mit frisch rasiertem Kopf, auf dem ein verbliebener Rest an Haaren präzise in Form gelegt war. Seine Lebensgefährtin, die mit ihm wegen versuchten Mordes an ihrer Tochter angeklagt ist, trug ihr Haar offen und hatte es in kleine Wellen gelegt, dazu ein Shirt in leuchtendem Rosa angezogen.
"Das ist meine Frau fürs Leben, hat er gesagt", berichtete die Mutter des Angeklagten, eine 53-jährige Friseurin, die als Zeugin vor der 11. Großen Strafkammer des Kölner Landgerichts zunächst nach der Beziehung des jungen Paares befragt wurde. "Sie tat ihm gut. Er hörte besser zu und war ruhiger geworden, spielte mit ihren Kindern und hatte Spaß daran. Umgekehrt gab er ihr auch Halt. Er sagte, sie habe durch ihr altes Leben Probleme. Mehr weiß ich nicht."
"Dünn wie ein Püppchen"
Einen kleinen Einblick in das "alte Leben" hatte es am vorangegangenen Prozesstag gegeben, als die Mutter der Angeklagten aussagte. Prägnantes Detail: Sie konnte sich nicht mehr daran erinnern, ob sie ihre Tochter in deren Kindheit und Jugend einmal oder mehrmals freiwillig in die Unterbringung, also eine Fremdbetreuung, gegeben habe. Ganz anders die Mutter des angeklagten jungen Mannes: "Wir sind eine Familie, die zusammenhält", beschrieb sie. Für sie sei es keine Frage gewesen, die junge Mutter mit ihren zwei Kindern herzlich aufzunehmen. Mehrmals habe die kleine Patchwork-Familie ein Wochenende bei ihr verbracht.
Schon bei der ersten Begegnung Mitte 2019 sei das kleine Mädchen auffällig zart gewesen: "Dünn wie ein Püppchen! So kennt man ja kein Kind. Ich selber habe drei Söhne, von denen war keiner so klein." Auch der jüngere Bruder des Mädchens sei vergleichsweise kräftig gewesen. "Ich glaube schon, dass sie mit ihr überfordert waren“, gab sie zu und beschrieb ein sehr anhängliches, aber völlig unselbständiges Kind: "Sie wollte partout nicht laufen, auch nicht im Haus. Sie sagte, das tut ihr weh und ließ sich immer tragen."
"Du musst mit ihr zum Arzt!"
Einen auffallenden Kontrast zu seiner Magerkeit bildet die Menge an Essen, die das Kind verputzt haben soll: "Fleisch essen war ihr liebstes Hobby. Nudelsalat hat sie am liebsten gegessen, mit Würstchen oder Steak. Eine Portion, wie ich sie auch esse, hat sie leicht verdrückt und wollte dann noch mehr." Das habe sie selbst aber nicht erlaubt, meinte die Zeugin: "Das winzige Kind! Das war mir nicht geheuer. Ich sagte dann, sie sollte mal lieber ein Päuschen machen." Insgesamt habe das Kind aber, mit Ausnahme von Milchreis, alles probiert, gemocht und vertragen.
An einem Wochenende im August 2020 seien ihr Sohn, seine Partnerin und das kleine Mädchen zu Besuch da gewesen. Ihren Grundsatz, sich nicht in Familienangelegenheiten der jungen Leute einzumischen, habe sie bei dieser Gelegenheit allerdings nicht durchziehen können: "Die Kleine war so dünn geworden! Ich habe direkt gesagt: Du musst mit ihr zum Arzt gehen, und hol dir am besten auch Hilfe beim Jugendamt." Die Angeklagte habe dann auch angekündigt, gleich am Montag einen Termin beim Arzt zu machen. Dass unmittelbar vor diesem Gespräch Mitarbeiter des Jugendamtes in ihrer Wohnung waren, um den Zustand des Kindes zu überprüfen, soll sie jedoch nicht erzählt haben.
Vermisst wurde vor allem die Nenn-Oma
Der Stiefvater des Angeklagten bestätigte im Wesentlichen die Aussage seiner Frau. "Für mich stimmte da was nicht", sagte er mit Blick auf die dünne Figur des Mädchens kurz vor ihrer Einlieferung in das Kinderkrankenhaus. Nicht richtig sei eine Angabe, die die Angeklagte laut Jugendamt gemacht haben solle: nämlich, dass das kleine Mädchen in jener Zeit zumindest zeitweise allein bei ihm und seiner Frau gewesen sei.
Insgesamt beschrieb er das Verhältnis zwischen der Partnerin seines Stiefsohnes und dem Rest der Familie aber als gut: "Wir sind ja jetzt für sie auch Mama und Papa. Das ist Familie." Die Angeklagte wischte sich bei dieser Äußerung, wie auch sonst oft im Laufe des Verhandlungstages, mit einem Taschentuch die Augen. Bevor der Zeuge den Saal verließ, nickte er beiden Angeklagten zu: "Haltet die Ohren steif!"
Nicht um die Zeit kurz vor dem Klinikaufenthalt, sondern um die danach ging es bei der Vernehmung der nächsten Zeugin: einer Erzieherin aus Düren, welche das Kind regelmäßig begleitet hatte, während es ein halbes Jahr lang von Bereitschaftspflegeeltern betreut worden war. Die Vorsitzende Richterin wollte von ihr wissen, ob sich das Kind dort je nach seiner Ursprungsfamilie erkundigt habe. "Davon ist mir nichts bekannt", gab die Erzieherin an. Nur nach der Mutter vom Ex-Mann der Angeklagten, habe die Kleine gefragt. Mit ihr habe es dann auch regelmäßige Kontakte gegeben: "Beim Abschied von ihrer Nenn-Oma war sie oft traurig, dass die wieder gehen musste."
Ein fröhliches, neugieriges Mädchen
Gegenüber ihren Familien hatten die beiden Angeklagten geäußert, dass das kleine Mädchen wohl beeinträchtigt sei. Mal war dabei von Muskeldystrophie die Rede, mal von einer geistigen Behinderung. Sollte so etwas vorliegen, scheint es zumindest dem Ermessen der Erzieherin nicht auf den ersten Blick hin augenfällig zu sein: "Das kann ich schlecht beurteilen", antwortete sie auf die Frage hin.
Erzieher aus einer Bergheimer Kita, die das Mädchen in den Jahren zuvor betreut hatten, hatten ein recht verhaltensauffälliges Kind beschrieben, das anderen Kindern aus dem Weg ging und sich bevorzugt mit Babyspielzeug beschäftigte. Ganz anders der Eindruck, den die Dürener Erzieherin skizzierte: "Sie ist ein sehr positives Mädchen, fröhlich, neugierig, offen. Sie lacht gerne." Über die Zeit, die sie mit dem Kind verbracht hat, könne sie sagen: "Sie hat viel gesungen, gerne Lieder angehört, sich bewegt und Bücher angeschaut.
Was deutlich war: Sie musste immer Essen um sich haben. Sie musste wissen: Es gab etwas." Schon bei der ersten Begegnung im Krankenhaus habe die Kleine sie offen angesehen, dabei aber ihren gerade erhaltenen Teller mit Mittagessen gut festgehalten.
Bereitschaftspflege sei grundsätzlich nicht auf Dauer angelegt, erklärte die Dürenerin. Daher sei das Kind schließlich auf den Umzug in ein Kinderheim vorbereitet worden, den sie auch ohne erkennbare Irritation hingenommen habe. Nur eines sei ihr wichtig gewesen: "Sie hat noch einmal nachgeschaut, ob auch ihre Spielküche im Auto war. Dann hat sie zu den Pflegeeltern gesagt: Tschüss!"
- Eigene Beobachtungen im Gerichtssaal