Erzbistum Köln Offenbar Hunderte Betroffene sexueller Gewalt
Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki steht wegen eines zurückgehaltenen Gutachtens in der Kritik. Ein neues soll nun deutlich mehr Fälle sexualisierter Gewalt enthalten als das alte
Am 18. März soll das vom Kardinal Rainer Maria Woelki neu in Auftrag gegebene Gutachten zum Umgang mit Missbrauchsfällen des Kölner Juristen Björn Gercke veröffentlicht werden. Dieses soll laut einem "Spiegel"-Bericht über 300 Verdachtsmeldungen enthalten und mehr als 300 Betroffene und über 200 Beschuldigte aufführen.
Gercke bestätigte dem "Kölner Stadt-Anzeiger" für das von ihm im Auftrag des Erzbistums erstellte Ersatzgutachten die zuvor bereits vom "Spiegel" genannten Zahlen. "Es dürften die abschließenden Zahlen sein", sagte Gercke der Zeitung
"Gerckes Gutachten wird handwerklich sauber sein und es möglich machen, mein Versprechen einzulösen", hatte Woelki in der "Rundschau" Anfang Februar bereits angekündigt. Wir werden Namen von Verantwortlichen nennen." Das Gutachten solle "nicht der Endpunkt, sondern der Ausgangspunkt für weitere Aufklärung sein", so der Kardinal.
Zuvor hatte der Kardinal ein Gutachten zum sexuellen Missbrauch bei einer Münchner Kanzlei in Auftrag gegeben – nach der Fertigstellung aber beschlossen, es doch nicht zu veröffentlichen. Dazu führte Woelki rechtliche Bedenken und methodische Mängel an.
Zahlen höher als aus altem Gutachten
Auffällig ist, dass die jetzt veröffentlichten Zahlen deutlich höher liegen als die Zahlen aus der sogenannten MHG-Studie der Deutschen Bischofskonferenz von 2018. Damals waren für das Erzbistum Köln über einen Zeitraum von 70 Jahren 135 Opfer sexualisierter Gewalt und 87 beschuldigte Kleriker angegeben worden.
Laut "Spiegel" soll Gercke das bereits angekündigt haben. Der Kölner Anwalt wertet demnach für die Studie 236 Aktenvorgänge systematisch aus. Darin soll nach "Spiegel"-Informationen auch der Fall eines Priesters auftauchen, der Anfang der Achtzigerjahre in einem Internat im Erzbistum des sexuellen Missbrauchs beschuldigt und später als Pastor und Jugendseelsorger eingesetzt wurde. Das Erzbistum Köln äußerte sich dazu gegenüber dem "Spiegel" nicht – aus "datenschutzrechtlichen Gründen".
Kritik an Woelki nimmt zu
Die Kritik an Woelki wurde zuletzt immer lauter und heftiger. Auch der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, hatte den Kölner Kardinal kritisiert: "Die Krise, die entstanden ist, weil das Gutachten nicht jetzt öffentlich ist, die ist nach meiner Ansicht nicht gut gemanagt worden." Auch Stadtdechant Robert Kleine, der oberste Repräsentant der katholischen Kirche in der Stadt Köln, distanzierte sich von Woelki. Er könne derzeit niemandem einen Kirchenaustritt verdenken, sagte er in einem Bericht.
In Köln verzeichnet das Amtsgericht seit Wochen einen großen Andrang auf die zur Verfügung stehenden Termine für einen Kirchenaustritt. Ob diese in Zusammenhang mit der Vertrauenskrise um Kardinal Woelki stehen, lässt sich allerdings nicht sagen – da das Gericht die Austritte nicht nach Konfession aufschlüsselt.
- Mit Material der dpa
- "Der Spiegel": "Neues Gutachten berichtet von Hunderten Betroffenen sexualisierter Gewalt"