Grollen und Stöße NRW registriert stärkstes Erdbeben seit Anfang 2021
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.In Nordrhein-Westfalen ist am Samstag das stärkste Erdbeben seit Januar 2021 registriert worden. Das Zentrum lag an einem Ort, der etwas abseits der bekannten Haupterdbebenzone liegt.
Südlich von Aachen hat am Samstag für manche Menschen spürbar die Erde gewackelt. Das Erdbeben um 17.33 Uhr wurde in ersten automatisierten Meldungen mit der Stärke 3,0 angegeben, der Wert wurde dann aber auf 2,8 korrigiert.
Das Epizentrum lag den Daten des Geologischen Dienstes Nordrhein-Westfalen zufolge in einem Ortsteil von Schleiden im Kreis Euskirchen, das Beben trug sich zehn Kilometer unter der Erdoberfläche zu. Angesichts der Herdtiefe war es weniger spürbar. Bewohner der Region berichteten, das Beben durch die Vibration oder Geräusche erlebt zu haben.
"Zwei kurze Stöße gespürt"
Auf der Facebook-Seite "Erdbeben in Deutschland" schilderte eine Zeugin, in Euskirchen die Vibrationen wahrgenommen zu haben. Aus Simmerath erklärte ein Bewohner, zwei kurze Stöße deutlich gespürt zu haben. Andere Menschen aus der Region berichteten auch von einem Grollen, ohne dann Erschütterungen bemerkt zu haben. So schrieb eine Frau aus dem gut 40 Kilometer nördlich von Schleiden gelegenen Stolberg, sie habe das Geräusch wahrgenommen und mit Vibrationen gerechnet: "Aber passiert ist es nicht. Allerdings war mein Hund danach nicht nach draußen zu bekommen." Aus Aachen gab es zunächst keine Zeugenmeldungen. Auch über Schäden wurde nichts bekannt.
Der Erdstoß am Samstag war der stärkste in Nordrhein-Westfalen seit Anfang 2021. Damals war das Epizentrum weiter nördlich. Dem Beben ebenfalls mit der Magnitude 2,8 waren zahlreiche Meldungen von Bürgern beim Geologischen Dienst Nordrhein-Westfalen gefolgt. Im April 2023 wurde bei Mönchengladbach ein Beben festgestellt, das nur knapp schwächer war. Die Erdbebenwarte Bensberg gab es mit 2,7 an.
Der Niederrhein ist wegen aktiven geologischer Störungen eine der seismisch aktivsten Regionen Mitteleuropas. Schwere Erdbeben sind nicht nur dort möglich, wo die kontintentgroßen Gesteinsplatten aneinander reiben, sondern auch innerhalb der Platten, wo die sie zerbrochen sind. Im Niederrheingraben gibt es mehrere solcher Schollen. Wo sie gegeneinanstoßen oder -reiben, spricht man von Störungszonen. Schleiden, das Epizentrum der Erschütterung vom Samstag, liegt allerdings nicht an einer der bekannten großen Störungszonen.
1992 krachte 400-Kilo-Teil vom Kölner Dom
Es ist noch unklar, wo die genau diese Schollen aneinander stoßen und wie weit die Störungen reichen. Bei Grabungen dazu sind Wissenschaftler im Herbst 2022 bei Stolberg auf den Ort einer solchen Störung gestoßen, der eine deutliche Verschiebung im Erdreich zeigt und Spuren von mindestens zwei sehr starken Erdbeben belegt.
Grabungen wie die bei Stollberg haben nachweisen können, dass es in vielen Teilen Deutschlands bereits Beben gegeben hat, die stärker als 6,0 gewesen sein müssen. Wenn historische Beben anhand von Grabungen nachgewiesen werden, sprechen die Wissenschaftler von Paläobeben.
Große Schäden durch Beben gab es aber auch in der Moderne. Am Niederrhein ereignete sich 1992 zuletzt ein solches Beben. Das Epizentrum lag da jenseits der Landesgrenze im niederländischen Roermond. Der Erdstoß mit einer Magnitude von 5,9 war aber auch in Berlin und sogar in London zu spüren. In Nordrhein-Westfalen allein wurden 30 Menschen durch herabstürzende Teile verletzt, im Kölner Dom etwa brach eine 400 Kilogramm schwere Kreuzblume ab und stürzte ins Seitenschiff. Der Schaden in den Niederlanden und Deutschland wurde auf 150 Millionen Euro geschätzt.
Bundesamt hat Katastrophen-Analyse erstellt
1756 hat ein Beben mit Epizentrum in Düren sogar mindestens vier Menschen das Leben gekostet, es wird auf eine Stärke von 6,4 geschätzt. Was ein solches Beben dort heute bedeuten könnte, hat das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe für den Bundestag 2020 in einer Katastrophenanalyse skizziert.
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Bei dem Szenario ereignet sich an der sogenannten Erft-Störung unweit von Köln ein Beben der Stärke 6,5. Die Menschen sind auf der Arbeit oder dem Weg dorthin, Kinder in Schulen und Kitas. Es gibt mehrere Tausend Tote und Verletzte, große Zerstörungen, Brücken und Tunnel stürzen ein, der Strom fällt tagelang aus und damit auch die Wasserversorgung. "Die Annahmen sind extrem, aber dennoch denkbar", kommentierte das Bundesamt seine eigene Analyse.
Kleinere Erdbeben erinnern immer wieder daran.
- gd.nrw.de: Liste der jüngsten zehn Beben (Stand 17.9.2023)
- facebook.com: Zeugenmeldungen zum Beben am Samstag
- seismo.uni-koeln.de: Erdbebenkatalog 2023 (Stand 17.9.2023)