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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Viele Gründer scheiterten dort zuvor Wie ein Kaffeehaus Leben in Kiels tote Ecke bringt
Gudrun Wernet hat es gewagt und einen eigenen Laden in Kiel eröffnet. Das "Café Gold" scheint alles zu haben, was ein Hipster-Lokal ausmacht – nur seine Adresse ist ungewöhlich.
Der Hasseldieksdammer Weg, Höhe Schützenpark, ist, geschäftlich betrachtet, eine ziemlich tote Ecke in Kiel. In den Erdgeschossen der Wohnhäuser herrscht zumeist Leerstand. Neueröffnungen sind immer wieder nach wenigen Monaten gescheitert. Das könnte sich nun ändern.
Seit Anfang August befindet sich dort das "Café Gold". Das hippe kleine Eckcafé könnte den Zirkel des Niedergangs durchbrechen. Den Eindruck erweckt jedenfalls der Kundenzulauf – und auch Inhaberin Gudrun Wernet ist optimistisch: "Wir sind zufrieden, wie es bisher läuft. Das Café wird gut angenommen." Was macht es anders als die anderen?
Angenehmer Hipster-Look
Die 39-Jährige ist seit 20 Jahren im Gastronomiegewerbe und hat sich mit dem "Café Gold" zum ersten Mal selbstständig gemacht. Sie beschreibt ihr Geschäft als mediterranes, familienfreundliches Café mit Alkoholausschank. Der Look ist angenehm hipsterisch: eine bunte Mischung gebrauchter Holzstühle an drei kleinen Tischen, die Wände auf alt verputzt und mit ausgestellter Kunst verziert – "die sich tatsächlich gut verkauft", wie Wernet versichert – Vintage-Tresen, Kerzenschein und das Ganze in chillige Alternative-Musik getaucht.
Die Atmosphäre ist es denn auch, was die meisten der Gäste in das Café lockt. "Wir sind öfters hier", sagt ein Studentenpaar. "Die Bedienung und der Service sind sehr nett, und es ist ruhig und entspannt." "Schnucklig" und "total sympathisch" nennt es eine andere Gruppe von Gästen. "Wenn wir wieder hier auf der Ecke sind, werden wir auf jeden Fall wiederkommen!"
Ein bisschen Italien in Kiel
Was das "Café Gold" von seinen gescheiterten Vorgängern absetzt, ist laut Inhaberin Gudrun Wernet auch das breite Angebot. "Der Veganer vor mir hatte eine Nische bedient. Bei mir ist es wie in einem klassischen italienischen Café: Es gibt ganz viele verschiedene Sachen." Auf der Karte stehen neben Kaffee, Spirituosen und verschiedenen Kuchensorten auch portugiesische Backwaren wie Pasteis de Nata. Für mehr Hunger gibt es Panini oder Suppe – alles wahlweise vegan, vegetarisch oder auch mit Fleisch, eine Mischung aus Regional und Bio. "Wir haben allerdings keine Bio-Zertifizierung", erklärt die Inhaberin, weil diese zu umständlich zu bekommen und zu teuer sei. "Wir versuchen, so viel wie möglich selber zu machen", so viel die winzige Küche eben zulässt, "und ansonsten kommt es handgemacht aus der Region."
"Mit Eis erreicht man sie alle"
Ach ja, und Eis gibt es auch noch. Dafür ist Maya verantwortlich. Wernets fünfjährige Tochter hatte ganz klar gesagt: "Wir müssen Eis verkaufen!" Worauf sich die Mutter wegen der zusätzlichen Arbeit zunächst nur widerwillig eingelassen hatte, erwies sich im Nachhinein als Glücksfall. "Die Kundschaft ist hier sehr durchmischt: Studenten, Familien mit Kindern, ältere Leute und verschiedene Kulturen. Mit Eis erreicht man sie alle – auch die, die sonst gar nicht hier reinkommen würden. Und dann entdecken sie den Rest", sagt die Café-Betreiberin. Wie zur Bestätigung antwortet Helge, 51 und häufiger Kunde, auf die Frage, wie ihm das Café gefalle: "Großartig! Meine Tochter hat mich hier reingetragen wegen des Eises. Und ich finde den Kaffee toll."
Viele Neugründer scheiterten
Bereits 2013 wurde Wernet aufmerksam auf das Eckgeschäft im Hasseldieksdammer Weg. Damals stand es gerade einmal wieder leer. "Ich hatte mir gleich gedacht: Dieser 50er-Jahre Look ist so wunderschön, da muss doch ein Café rein!", erinnert sie sich. Vor die Umsetzung stellte sich dann aber erst einmal das Leben. Tochter Maya wurde geboren, dann fehlte das Geld. In der Zwischenzeit wechselten im Hasseldieksdamer Weg immer mal wieder die erfolglosen Neugründer – zuletzt der vegane Imbiss Veganirella. Als der Ende 2018 dicht machte, entschloss sich die junge Frau noch am selben Tag, ihren Traum zu verwirklichen. "Viele meinten: Bist du bescheuert, das ist doch total die tote Ecke", erzählt sie. "Aber ich habe gesagt: Gerade deswegen. Es gibt hier das Städtische Krankenhaus und so viele Studenten."
Die Arbeiten bis zur Eröffnung gestalteten sich dann aufwändiger als erwartet. Der Innenbereich war extrem verbaut. Betonpodeste und riesige Heizkörper begrenzten den knappen Platz zusätzlich und flogen raus. "Es gab nicht mal einen Warmwasseranschluss. Wir mussten erst mal eine vernünftige Infrastruktur schaffen, um genügend Leute zu bewirten." Auch die Gestaltung des Außenbereichs war der 39-Jährigen wichtig. Vor dem Café gibt es jetzt gemütliche Sitzgelegenheiten und einen Sandkasten für Kinder. "Die Leute vor mir haben sicher ihr Bestes gegeben, aber ich habe viel mehr investiert", stellt sie fest.
Mit ihrem Glauben an die Zukunft des Hasseldieksdammer Wegs scheint die Gründerin nicht allein dazustehen. Nur einen Monat vor dem "Café Gold" hatte schräg gegenüber das Rosana Café eröffnet, das mit syrischer Hausmannskost wirbt. Angst vor der Konkurrenz hatte Wernet nicht. Im Gegenteil: "Ich glaube, das ist gut. Die haben ein ganz anderes Angebot. So belebt sich die Gegend, und es kommen insgesamt mehr Kunden."
Sicher ist der langfristige Erfolg für das "Café Gold" noch nicht. "Es ist schon noch Spiel nach oben", sagt die Café-Besitzerin, aber es laufe deutlich besser als alles, was davor vor Ort gewesen ist. Im Moment verdiene sie genug, um die vier Angestellten zu bezahlen. Ohne die Hilfe ihres Partners ginge es aber noch nicht. In Zukunft möchte sie das Frühstücksangebot ausbauen, "weil es den Leuten fehlt, ihr Brötchen selber zu belegen".
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Neben den regelmäßigen Vernissagen soll es künftig auch Lesungen geben. Das größte Ziel, so Gudrun Wernet, heißt jetzt aber erst einmal: durch den Winter kommen. Vielleicht klappt es dann dieses Mal wirklich mit der Belebung des Hasseldieksdammer Wegs.
- Gespräche vor Ort