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Kiel: Schwacher Start für Kaffee-Pfandbecher


Alternative zum Coffee-to-go-Becher
Warum das Kaffee-Pfand in Kiel ein Flop ist

Von Sven Raschke

28.11.2019Lesedauer: 5 Min.
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Andreas Vorbeck: Der Inhaber der Bäckereien Lyk und Restez! ist Initiator des Projektes.Vergrößern des Bildes
Andreas Vorbeck: Der Inhaber der Bäckereien Lyk und Restez! ist Initiator des Projektes. (Quelle: Sven Raschke)

100 Bäckereien, Cafés und weitere Betriebe in Kiel bieten ihren Kaffee auch in umweltfreundlichen Pfandbechern an. Doch viele Kunden bevorzugen nach wie vor die bisherigen Pappbecher. Woran liegt das?

Die größte Pfandbecher-Initiative Schleswig-Holsteins hat zahlreiche Anbieter in Kiel im Kampf gegen den Kaffee-Müll vereint. Doch die Kunden wollen kaum annehmen. Die Initiatoren sehen die Politik in der Pflicht.

Auf dem Weg zur Arbeit noch schnell einen Kaffee vom Bäcker. Später landet dann der Coffee-to-go-Becher im Müll. Das ist schlecht für die Umwelt – vielen fehlt jedoch eine Alternative. Mit diesem Umstand wollte sich Andreas Vorbeck nicht zufrieden geben. Auf Initiative des Inhabers der Bäckereien "Lyck" und "Restez!" gibt es seit Mitte September ein Pfand-System für Kaffeetrinker. Rund 100 Filialen von 11 Bäckerei-Ketten machen mit. Auch eine Reihe von Cafés, das Holstein-Stadion und die Sparkassen-Arena haben sich dem Projekt angeschlossen – und immer mehr wollen mitmachen.

"Hatte ein schlechtes Gefühl im Bauch"

Wer einen Kaffee mit Pfandbecher bestellt, kann zwischen drei Größen wählen. Den einen Euro Pfand erhält man bei Rückgabe von Plastikbecher plus Deckel von jedem teilnehmenden Geschäft zurück. Becher und Deckel werden gewaschen und wiederverwendet. Über die Webseite app.tobego.eu findet man alle teilnehmenden Geschäfte.

Bäckerei-Inhaber Andreas Vorbeck kam die Idee mit dem Pfand beim Spazierengehen. "Wenn ich da einen Becher von einer meiner Bäckereien auf der Straße liegen sah, gab mir das schon ein schlechtes Gefühl im Bauch", sagt er. Also hatte er sich mit Moritz Günther, Inhaber der gleichnamigen Bäckerei-Kette, zusammengesetzt, der zufällig bereits ähnliche Pläne hatte.

Auch der Stadt passte der Vorstoß der Bäcker gut ins eigene Projekt, aus Kiel eine "Zero Waste City", eine möglichst abfallfreie Stadt, zu machen. Alle Akteure setzten sich gemeinsam mit weiteren Bäckereien an einen Tisch. Sie holten den Pfandsystemanbieter cup & more aus Bad Segeberg mit ins Boot, der sich mit seinen Mehrwegbechern bereits auf der vergangenen Kieler Woche bewährt hatte.

Kunden müssen noch mit an Bord

Das neue Pfandsystem muss sich im Alltag allerdings offenbar noch bewähren. Fragt man Menschen vor den Geschäften, kommentieren die meisten die Idee mit "gut", "super", "tolle Aktion!" und "gut, dass dadurch Verpackung eingespart wird". Hakt man aber nach, wer die Pfandbecher tatsächlich nutzt, wird es dünn. Wer sich als umweltbewusst betrachtet, verzichtet teils eher komplett auf Coffee-to-go.

Auch Andreas Vorbeck ist unzufrieden mit der bisherigen Entwicklung. "Bei Restez! sind die Pfandbecher etwas mehr nachgefragt als bei Lyck, in Elmschenhagen weniger als im Norden Kiels", sagt er. Insgesamt sei die Nachfrage aber noch viel zu niedrig. "Den Kunden ist es meist zu lästig. Da gibt es eine gewisse Trägheit."

In einer Günther-Filiale im Stadtteil Ravensberg schätzt die Verkäuferin die Pfandbecher-Kunden auf 15 bis 20 am Tag. Die meisten lehnten das Angebot ab. "Aber wer es einmal genutzt hat, bleibt dabei." Ein ähnliches Bild gibt es in einer Steiskal-Filiale in Brunswik: "Die Stammkunden nutzen es eher, und junge Leute eher als Ältere", so Verkäuferin Katrin Sosnovski.

Damit es sich lohnt, müssen mehr mitmachen

Volker Lange vom Pfandsystemanbieter "cup & more" betont zunächst das Positive. 45.000 Pfandbecher seien im Umlauf. Die meisten Kunden hätten zusätzliche Becher nachbestellt. Wöchentlich kämen neue Teilnehmer dazu. Zukünftig will er das System ausweiten, über Kiel und auch Schleswig-Holstein hinaus. Denn je mehr Geschäfte sich beteiligen, desto effizenter das System. Dann müsse der Kunde irgendwann nicht mehr darüber nachdenken, wo er einen Pfand-Kaffee bekommt und wo er den Becher zurückgeben kann.

Dann aber wird auch Lange kritischer: "Nach meiner Schätzung liegt die Marktdurchdringung bei drei bis vier Prozent. Das ist noch dramatisch wenig." Seiner Ansicht nach wären etwa 25 Prozent notwendig, damit sich das Ganze lohnt. "Würde ich heute ein Resümee ziehen, müsste ich sagen, dass es aus Umweltsicht kein Erfolg ist." Er vermutet, dass in den Bäckereien nicht ausreichend auf die Pfandbecher aufmerksam gemacht wird – eine Einschätzung, die er mit Nicoline Henkel teilt. Die Leiterin des Umweltschutzamtes kümmert sich von Stadtseite um das Projekt und sorgt dafür, dass die Geschäfte mit Informationsmaterial ausgestattet werden.

"Man muss mehr Werbung machen"

Henkel: "Die Verkäufer weisen nicht häufig genug auf die Pfandbecher hin. Und meiner Meinung nach muss man auch dringend mehr Werbung machen. Noch nicht alle haben das Info-Plakat von uns ausgehängt oder die Aufkleber am Tresen angebracht."

Bäckerei-Betreiber Andreas Vorbeck stimmt zu: "Wenn man die Pfandbecher nicht anbietet, nimmt der Kunde sie nicht wahr. Deshalb sind meine Mitarbeiter angehalten, aktiv zu fragen." Flyer oder ähnliches Infomaterial gibt es in seinen Geschäften nicht. Man wolle nicht mit noch mehr Papier für weniger Müll werben.

Keinen Pfandbecher angenommen

Bei Steiskal und Günther gibt es keine Vorgaben von Chefseite, die befragten Verkäufer versichern aber, von sich aus auf die Becher hinzuweisen. Ein Mann, der mit einem Pappbecher die Bäckerei Lyck in der Projensdorfer Straße verlässt, meint: "Einen Pfandbecher hätte ich auch genommen. Ich nehme das, was man mir gibt." Angeboten worden sei ihm der Pfandbecher nicht.

Andreas Vorbeck und Volker Lange sehen die Stadt in der Pflicht. Lange: "Frau Henkel hat schon eine Menge getan, mit Plakaten, Online und im Social-Media-Bereich. Aber es müsste deutlich mehr Geld in die Kommunikation fließen, um das Projekt bekannter zu machen."

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Wenn auch das nichts helfe, darin sind sich Lange und Vorbeck einig, helfe nur noch Zwang. Vorbeck: "Die Politik müsste langfristig überlegen, wie sie mit Einweg umgeht. Aus meiner Sicht gibt es keinen Grund, warum es da keine Pfandpflicht oder auch Verbote oder Strafgebühren für Einweg geben kann." Nicoline Henkel vom Umweltschutzamt ist bei Verboten skeptisch: "Solche Sachen sind schwierig von einer Stadt umzusetzen. Wir sind in den Neunzigern schon einmal gescheitert mit einer Steuer auf Einweg-Verpackungen."

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Damals hatte eine Fastfood-Kette erfolgreich gegen die Einführung geklagt. "So etwas müsste deutschland- oder EU-weit gemacht werden", sagte Henkel. "Aber bis so etwas kommt, wenn überhaupt, das kann dauern." Erst einmal sollte man selbst etwas machen, so Henkel. Die Möglichkeiten seien noch lange nicht ausgereizt.

Voraussichtlich im Februar kommen alle Akteure wieder zusammen, um über den Stand der Dinge zu beraten. Wenn es sich dann als sinnvoll erweise, sagt Henkel, könne durchaus mehr Geld in die Kommunikation fließen.


"Aber Geld ist vielleicht gar nicht das Hauptproblem", so Henkel. Vielleicht, und hier ist sie sich mit Volker Lange von cup and more einig, fehle es einfach grundsätzlich an der Bereitschaft von Konsumentenseite.

Verwendete Quellen
  • Gespräche mit Andreas Vorbeck, Nicoline Henkel
  • Eigene Recherche
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