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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Niemand hält hier" Träger Start für die Mitfahrbänke in Kiel
Die Stadt wollte Bewohner ermutigen, gemeinsam Auto zu fahren und hat dazu Stationen geschaffen, an denen sich Kieler zum Trampen versammeln können. Wie kommen diese Mitfahrbänke an?
Recht unscheinbar wirkt sie in ihrem schlichten, metallischen Look, die neue Mitfahrbank am Andreas-Hofer-Platz in Kiel. Unscheinbar und ziemlich verlassen, an diesem Mittwochvormittag, im Oktober. "Mitfahren", steht klein auf dem kleinen, dezent blauen Schild über der Bank. Soll heißen: Hier kann sich hinsetzen, wer gern per Anhalter zu einem der nahe gelegenen Ziele, die durch die angebrachte Klapptafel auswählbar sind, gebracht werden möchte.
Nach Kroog etwa oder zum Bebelplatz. Hilfsbereite Autofahrer würden der Idee nach halten, um die Wartenden mitzunehmen. Doch es hält niemand, weil niemand sitzt.
Für das Klima und das Gemeinschaftsgefühl
An insgesamt fünf Orten in den Stadtteilen Elmschenhagen und Wellsee stehen seit dem 21. Oktober die Mitfahrbänke: Neben dem Andreas-Hofer-Platz, am Friedhof Elmschenhagen, am Bebelplatz, an der Kreuzung Rönner Weg/Zeppelinstraße und an der Segeberger Landstraße, Ecke Pommernweg. An der Lieselotte-Herrmann-Straße soll bald ein sechster Standort dazu kommen, und auch weitere Stadtteile wollen das Konzept übernehmen.
Die Bänke sind Teil der Mobilitätsstrategie der Stadt. Das Mitfahren und Mitnehmen soll nicht nur das Klima schützen, sondern auch das Gemeinschaftsgefühl in der Nachbarschaft stärken. "Jede Mitfahrgelegenheit ist in der Nähe einer Bushaltestelle positioniert", erklärt Eyke Bittner vom Tiefbauamt Kiel. Weil es nur vergleichsweise wenig Kundschaft gibt, fahren die Busse an den erwähnten fünf Stopps weniger häufig als andernorts. Die Mitfahrbänke sollen helfen, die Angebotslücke zu schließen.
Auf den Sitzflächen glitzert die Eisschicht
Ob das auch für Kiel zutrifft, lässt sich vor Ort schwerlich nachvollziehen. Der erste Eindruck vom Andreas-Hofer-Platz bestätigt sich auch an den übrigen vier Stationen. Nirgends will sich an diesem Vormittag jemand auf eine der Bänke niederlassen. Das mag auch am Wetter liegen. Die Temperatur liegt knapp über dem Gefrierpunkt, auf den Sitzflächen glitzert die Eisschicht.
Fragt man Anwohner und Passanten, ergibt sich ein widersprüchliches Bild. "Ich habe da noch nie jemanden sitzen sehen", sagt Nicole Kühl. Sie arbeitet in der Bäckerei nahe der Mitfahrstation am Andreas-Hofer-Platz. Eine Mutter aus Elmschenhagen spaziert regelmäßig an drei der fünf Stationen vorbei. "Meine Kinder setzen sich manchmal zum Spaß auf eine der Bänke, um zu sehen, ob jemand hält. Aber sonst eigentlich niemand."
Senioren lassen sich zur Apotheke fahren
Ganz anders schildert es Verena Möller, ebenfalls aus Elmschenhagen: "Am Andreas-Hofer-Platz sitzen vormittags oft viele ältere Leute dort. Die lassen sich zum Arzt oder zur Apotheke mitnehmen."
Nicole Köster arbeitet in der Apotheke direkt gegenüber der Station an der Segeberger Landstraße. Ab und an sitze dort mal jemand, eher ältere Leute. Irma Lange wohnt gegenüber der Station am Bebelplatz und sieht gelegentlich Menschen – auch hier meist aus der älteren Generation – die Mitfahrbank nutzen. "Aber für viele", so sagt sie, "ist das schlecht möglich, weil sie ja ihre Rollatoren nicht mitnehmen können."
Um den langfristigen Erfolg der Bänke einzuschätzen, ist es wohl noch zu früh. Der Stadt fehlen noch belastbare Erfahrungswerte. "Wir gehen davon aus", so Tiefbauamtsmitarbeiter Eyke Bittner, "dass vor allem Personen ohne Pkw und mit eingeschränkter Mobilität von der Einrichtung profitieren". Das sind vor allem ältere Bürger.
"Zu gefährlich für eine Frau"
Tatsächlich finden die allermeisten Passanten die Idee grundsätzlich gut. Selber nutzen aber? "Nee. Ich bin so gar nicht der Typ dafür", sagt die Bäckerei-Verkäuferin Nicole Kühl vom Andreas-Hofer-Platz. "Ich bin ja noch mobil", lehnt eine 51-jährige Frau ab. "Ich würde nicht zu jemand Fremden ins Auto steigen", sagt die 81-jährige Irma Lange vom Bebelplatz. Auch mitnehmen würde sie niemanden. Es passiere ja so viel. Juliana Pautz, 69, aus Elmschenhagen, wird konkreter: "Zu gefährlich als Frau. Da endet man nachher irgendwo im Wald".
Vonseiten der Stadt heißt es dazu, dass hauptsächlich örtlicher Verkehr, also bestenfalls Nachbarn und Menschen aus dem Wohnumfeld, an den Mitfahrstationen vorbeifahren. Erfahrungen andernorts hätten gezeigt, dass Mitfahrer und Mitnehmer in den allermeisten Fällen nette Menschen aus der Nachbarschaft sind.
Von der Polizei Kiel gibt es warnende Töne. Polizeisprecher Matthias Arends: "Ich möchte das Projekt nicht verteufeln. Aber grundsätzlich gilt, was man zu Kindern sagt, auch für alle anderen: Gehe nicht mit Fremden". Die größte Gefahr liege dabei nicht in einer möglichen bewussten Straftat. "Als Mitfahrer kann man nie sicher wissen, ob Fahrzeug sowie Fahrer fahrtüchtig sind", so Arends. Immerhin: Gegen ein mögliches Unfallrisiko ist jeder Mitfahrer durch die private Kfz-Haftpflichtversicherung des Fahrers standardmäßig mitversichert.
Die Bereitschaft zum Mitnehmen ist bei den Elmschenhagenern und Wellseern jedenfalls öfter anzutreffen als die zum Mitgenommen werden. "Mitnehmen würde ich schon mal jemanden", sagt ein Mann mittleren Alters bei der Station an der Segeberger Landstraße. "Aber mich da hinsetzen bei Regen und Kälte und ewig warten? Nein, danke."
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Die offenbar noch geringe Nutzung mag auch mit der Unscheinbarkeit der Bänke zusammenhängen. Eine Passantin hastet an der Station am Friedhof Elmschenhagen vorbei. Ob sie die Mitfahrbank, an der sie gerade vorbei läuft, kenne? "Was? Nein. Ich muss zum Bus."
- Eigene Recherche
- Gespräch mit Tiefbauamtsmitarbeiter der Stadt Kiel
- Interviews mit Menschen vor Ort