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Russische Autokorsos: Wie sich Russland-Fans in Deutschland organisieren


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Russische Autokorsos
"Dann haben die Faschisten wieder Angst"


Aktualisiert am 08.04.2022Lesedauer: 7 Min.
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Am Tag der Massaker in Butscha: Prorussischer Autokorso in Berlin sorgt für Empörung. (Quelle: t-online)

Die Autokorsos von Unterstützern des russischen Angriffskriegs greifen in Deutschland um sich. Fürs kommende Wochenende waren mindestens fünf geplant – und in internen Gruppen geht es nationalistisch zu.

Sie reden von Protest gegen "Diskriminierung der russischen Bevölkerung" – und haben "Z"-Zeichen im Profil, wenn sie in geschlossenen Gruppen zur Vorbereitung der Demos verächtlich über Ukrainer schreiben und Russlands Vergangenheit glorifizieren. Mit Autokorsos wollen sie sich an die Seite des Landes stellen, das gerade einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt – und gießen damit zunehmend auch in Deutschland Öl ins Feuer. Ukrainer überlegen sich bereits Gegenmaßnahmen und führen Listen.

t-online ist eingetaucht in Gruppen, in denen die Autokorsos mit russischen Fahnen geplant werden. Das Phänomen breitet sich aus – am kommenden Samstag waren mindestens in fünf Städten ähnliche Demonstrationen geplant: in Hannover, Frankfurt***, Heilbronn*, Lörrach** sowie im Allgäu in Kempten und Kaufbeuren.

Hannover ist nach Berlin einer der Schwerpunktorte bei den Ankünften ukrainischer Flüchtlinge. Genau dort wollen am Sonntag Menschen russische Flagge zeigen bei der größten derartigen Demo. 900 Teilnehmer sind angekündigt – das könnte den Korso in Berlin vom vergangenen Wochenende noch übertreffen.

Prorussische Autokorsos mehren sich in ganz Deutschland

Mindestens seit dem 27. März laufen hier die Vorbereitungen. Am gleichen Tag hatte es die erste große derartige Demonstration in Köln und Bonn gegeben. Die Hannoveraner Organisatoren hatten offenbar schon früh Kontakt mit denen in Köln. Auch einen Aufruf für einen Korso in Frankfurt verbreiteten sie: "Wer hat Verwandte in Frankfurt und Umgebung? Bitte senden", heißt es in der Gruppe.

Einer der Administratoren in der Planungsgruppe nennt sich "Bananchik". In seinem Profil ist nur noch ein Smiley mit einem Zeigefinger über dem Mund zu sehen – Fotos, auf denen er gut zu erkennen war, hat er mittlerweile gelöscht.

Das könnte eine Lehre sein, die er aus dem Korso in Berlin gezogen hat. Der Initiator dort hat inzwischen Probleme: Er fuhr mit dem Firmentransporter seiner Kfz-Werkstatt an der Spitze. Jetzt gibt es für seine Werkstatt massenhaft negative Google-Bewertungen, die Firmenseite war nicht mehr erreichbar, der YouTube-Kanal wurde mit negativen Kommentaren geflutet, auch Drohungen gibt es. Außerdem kursieren inzwischen Listen der Teilnehmerfahrzeuge in Berlin: Fahrzeugtyp, Farbe, Kennzeichen. Ukrainer haben dazu Videos ausgewertet.

Autokorso-Blockaden und Würfe mit Kot- und Urinbomben

Ukrainer tauschen sich jetzt auch darüber aus, wie sie den Korsos begegnen können. Auf Reddit gibt eine internationale Diskussion mit über 1.500 Antworten, was alles getan werden kann, um einen russischen Korso zu behindern oder zu stoppen.

Dort geht es explizit um die Kundgebung in Frankfurt, die Nachricht vom Korso in Hannover hat sich noch nicht rumgesprochen, Würfe mit Kot- und Urinbomben gehören ebenso zu den besprochenen Mitteln wie Blockaden durch Traktoren mit russischen Autos im Schlepptau – eine Anspielung auf Bilder aus der Ukraine, wo Bauern erbeutete russische Panzer hinter sich herziehen. In der Reddit-Unterhaltung ist vielfach nicht klar, was noch als Scherz und was in der Wut ernst gemeint ist.

Versammlungsbehörden werden aber auch bombardiert mit E-Mails zu den Korsos. Ein 46-jähriger Deutscher, der schon am Tag des Beginns des Angriffskriegs Strafanzeige gegen Gerhard Schröder und Wladimir Putin wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit erstattet hatte, hat nun Oberbürgermeister, Innenminister, Parteien und Kirchen angeschrieben.

Im Brief mahnt er zu strikten Auflagen und strengen Kontrollen, wie er t-online sagte. "Ich will nicht, dass dieser Konflikt zwischen Russen und Ukrainern immer stärker auch nach Deutschland getragen wird, eine wehrhafte Demokratie muss da auch Zeichen setzen."

Manch ein Organisator bekommt offenbar kalte Füße

In einer Facebook-Gruppe von Ukrainern in Hannover wird mehrfach zur Besonnenheit aufgerufen, Provokation und Auseinandersetzungen seien das, worauf die Korsos angelegt seien, Ukrainer sollten sich darauf nicht einlassen. Die Polizei Hannover erklärt nur, man werde die Personalstärke dem Anlass angemessen ausrichten. Am MIttwochabend wurde bekannt, dass auch offiziell Gegenprotest geplant ist.

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In Frankfurt ist der Organisator der Demonstration offenbar inzwischen verunsichert und erwägt zumindest eine Absage. Aus Nachrichten von ihm geht hervor, dass er Ausschreitungen befürchtet und dafür nicht verantwortlich sein will. Auch bei einem angemeldetem Korso im Allgäu soll sich erst am Donnerstag entscheiden, ob er wirklich stattfindet. Angekündigt sind bisher bis zu 100 Fahrzeuge, die von Kaufbeuren innerhalb von vier Stunden nach Kempten und zurück fahren sollen.

Ein zunächst bei der Stadt Neckarsulm angemeldeter Korso am Sonntag wurde am Donnerstag inzwischen abgesagt. Das bestätigte die Stadt Heilbronn, die als Versammlungsbehörde zuständig wurde: Der Startpunkt sollte an der dortigen Theresienwiese sein. In Lörrach ist am Donnerstag das Kooperationsgespräch für einen am Sonntag geplanten Korso.

Bilder sollen der Heimat russische Unterstützung in Europa zeigen

Das Vorgehen der Veranstalter deutet auch darauf hin, dass hinter den Demos keine ausgeklügelte Strategie russischer Dienste steckt, sondern tatsächlich die Initiative unerfahrener Privatleute. Der Organisator in Frankfurt etwa hat offenbar keine Kontakte zu russischen Medien und suchte in den vergangenen Tagen offensiv Ansprechpartner.

Was die Demonstranten tun, passt aber voll in die russische Strategie: Bilder sollen in der Heimat zeigen, dass es auch im europäischen Ausland Unterstützung gibt und dass die Russen dort sich bedroht fühlen und angeblich benachteiligt werden.

Die russische Botschaft hatte auch sehr schnell eine "SOS"-Adresse eingerichtet, damit Landsleute Diskriminierungen melden können. Die meisten Fälle sind Lappalien und darüber hinaus sind sie unbelegt, es gab allerdings auch schon einzelne gewalttätige Übergriffe – genauso wie gegen Ukrainer.

Manche machen ihre Sympathie zum Krieg sehr deutlich

In Hannover wollen die Organisatoren die Route erst spät öffentlich machen, um Gegenproteste zu erschweren. Angemeldet wurde die Versammlung bereits in der vergangenen Woche, es gab aber noch keine Abstimmung zwischen Polizei und Anmelder. Ein Kooperationsgespräch soll spätestens am Donnerstag stattfinden, in dem Route und Auflagen abgeklärt werden, ehe die entsprechende Verfügung erlassen wird. Ein Verbot ist offenbar keine Option.

In den Gruppen gibt es keinen Widerspruch, weil auch Nutzer ausgeschlossen werden. Manche blenden jede Verbindung zum Krieg in der Ukraine aus und sind offenbar wirklich der Überzeugung, sie würden mit der Teilnahme ein Zeichen für ihre Kinder setzen. Andere sind da deutlicher, wenn auch wenig einsichtig: "Wir werden diskriminiert, weil Russland seine heilige Pflicht erfüllt, die Faschisten zu vernichten, die Europa und die USA herangezüchtet haben", schreibt ein Nutzer. Es ist einer der Beiträge mit den meisten "Gefällt mir"-Daumen.

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Deutsche Fahnen sollen zwar auch mitgenommen werden. Die Teilnehmer rechnen aber nicht mit großen Sympathien: "Wir sollten lieber eine Regenbogenflagge haben [Kotz-Smileys] für Unterstützung von Idioten. Deutsche unterstützen uns nicht."

Organisator "Bananchik" geht noch weiter. Er hofft auf sehr viele Teilnehmer, denn: "Je mehr unsere Leute kennenlernen, desto größer wird die zukünftige Reaktion sein." Das führe dazu, "dass die Faschisten wieder Angst vor uns haben." Er postete das mit dem Foto eines "Z"-Symbols, dessen Verwendung bei der Demo selbst strafbar und von den Organisatoren untersagt ist.

In Russland gibt es solche Korsos seit Kriegsbeginn auch. Dort lassen die Teilnehmer keinen Zweifel daran, dass es um Unterstützung für den Angriffskrieg geht, der in Russland so nicht heißen darf.

Russische Propaganda beherrscht die Kanäle

Angemeldet ist der Korso in Hannover unter dem Motto "Gegen Volksverhetzung, Mobbing und Diskriminierung der russischen Bevölkerung". Nebulös sprechen die Organisatoren von Plänen, das Motto auch vermitteln zu wollen. "Das, was [beim Korso] in Berlin passiert ist, war schön, aber ein dummer Testlauf ohne Botschaft an die Menschen. Wir werden unsere Fehler korrigieren." In der Gruppe ist auch unwidersprochen zu lesen: "Es gibt einen Unterschied zwischen dem, was man hier sagt, und dem, was man der Presse sagt."

Der Organisator im Berlin hatte es an der Spitze des Demozugs mit einem Schild auf seinem Firmentransporter vielleicht auch aus Sicht der anderen übertrieben. Darauf war ein "Judenstern" mit Inschrift "Russe" und der Frage "Bald auch wir?" zu sehen. Die Polizei ließ es entfernen.

Eine kleine Gruppe von Russen vergleicht sich hier also mit Holocaustopfern, während russische Soldaten in der Ukraine Zivilisten erschießen. Die Berichte aus Butscha waren auch Thema in der Gruppe, aber nur mit einer russischen Widerlegung: Es war gar nicht so, wie es die Medien im Westen mit Fotos und Satellitenaufnahmen zeigen.

"Maskirovka": Putins Strategie nun auch in Deutschland

Zumindest Teile der Teilnehmer träumen vom russischen Zarenreich und bedienen sich dabei auch dessen Symbolik: In Profilen bei den bisherigen Korsos wehten vereinzelt Fahnen in schwarz-gelb-weiß mit dem Doppelkopfadler als Wappen des Russischen Zarenreichs. Diese Fahne nutzt die russische Reichsbewegung. Die USA haben sie als Terrorgruppe eingestuft, europäische Rechtsextremisten sollen dort zu Kämpfen trainiert haben.

Die Reichsbewegung erklärt das russische Volk zu "Gottes auserwähltem Volk". Eigentlich russisches Territorium sei aber "aufgeteilt in verschiedene Scheinstaatsformationen", in "Halbkolonien, die von Marionetten des Westens regiert werden und eine Politik des offenen Völkermords am russischen Volk verfolgen". In der Gruppe sind auch nicht alle Putin-Fans – weil der "zu liberal" sei und schon zu lange gewartet habe.

In einer der WhatsApp-Gruppen für den Korso haben die Administratoren vor einigen Tagen die Einstellungen so verändert, dass sich alte Nachrichten automatisch löschen. Da ist jetzt auch ein heroisches Bild verschwunden: die Segnung des Großfürsten Dmitri Donskoi vor einer Schlacht auf dem Schnepfenfeld südlich von Moskau. Donskoi besiegte die tatarisch-mongolische Goldene Horde, der Don soll drei Tage rot von Blut gewesen sein.

Das war im Jahr 1380, seine erfolgreiche Schlacht gilt als Geburtsstunde eines vereinten Russlands. Prinz Dmitri Donskoi wurde 1988 heiliggesprochen, Kriegsschiffe heißen nach ihm. Gegen den zahlenmäßig weit überlegenen Feind hatte er mit List und Tücke gesiegt. Damit gilt er als Erfinder der Taktik der "Maskirovka": Das klingt schon nach Maskerade, danach, die Realität zu verhüllen. Es meint auch Täuschen und Lügen. "Maskirovka" ist nach Ansicht vieler Experten seit Jahren Putins Strategie.

Nun nutzen sie Unterstützer in Deutschland, um der Öffentlichkeit einen russischen Bären aufzubinden: Denn bei der Demo geht es nicht vordringlich um "Diskriminierung" und "Volksverhetzung" – sondern um Zustimmung zum Krieg gegen die Ukraine.

*Wir hatten an dieser Stelle zunächst Heidelberg geschrieben.
**Der Text wurde mit der Information aktualisiert, dass am 10. April auch in Lörrach ein Autokorso angemeldet ist.
***Der Autokorso in Frankfurt am Main wurde am Donnerstag abgesagt. Die prorussischen Demonstrationen in der Frankfurter Innenstadt finden unter strengeren Auflagen statt.

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