Frankfurt am Main Wirtschaft will Brücken bauen: Jobangebote für Geflüchtete
Schutz vor den russischen Bombardements und eine sichere Unterkunft - für die Geflüchteten aus der Ukraine ist das erst einmal das wichtigste. Doch manche der Menschen möchten in einem nächsten Schritt auch rasch eine Arbeit in Hessen finden, auch um nach den oft traumatischen Kriegserfahrungen etwas Normalität zurückzugewinnen. Unternehmen strecken deshalb bereits die Fühler aus und bieten Jobs für ukrainische Geflüchtete - von Physiotherapiepraxen bis zum Software-Unternehmen, von der Großbäckerei bis zur Unternehmensberatung.
Unterstützung und Beratung bekommen die Firmen von hessischen Industrie- und Handelskammern. Manche von ihnen knüpfen aktiv Netzwerke, um beim schnellen und unbürokratischen Zugang zum regionalen Arbeitsmarkt zu helfen, wie ein Sprecher des Hessischen Industrie- und Handelskammertages (HIHK) sagte. Der Wirtschaft gehe es darum, den Ankömmlingen hier Brücken zu bauen. "Wir hören, dass viele der Menschen Interesse an einer Arbeit haben." Zwar komme es auf die individuelle Situation der Geflüchteten an, und manche Menschen benötigten erst einmal Zeit, um Kriegs- und Fluchterlebnisse zu verarbeiten. "Wir wollen die Leute nicht drängen. Wer aber etwas machen möchte, dem steht die Wirtschaft offen", sagte der HIHK-Sprecher.
Die IHK Lahn-Dill etwa hat eine Liste mit Unternehmen erstellt, die Geflüchtete integrieren wollen. Dazu gehört beispielsweise die Elkamet Kunststofftechnik GmbH, ein Fahrzeug-Zulieferer aus Biedenkopf. Das Unternehmen hat in einem Wohngebäude für Auszubildende und Studierende auf dem Werksgelände bereits mehrere aus der Ukraine geflüchtete Frauen und Kinder aufgenommen, eine weitere Unterkunft ist in Vorbereitung. Auch Jobs wolle man bei Bedarf zur Verfügung stellen, sagte eine Unternehmenssprecherin. Erfahrungen habe man bereits 2015/16 sammeln können. Wer eine Ausbildung oder Arbeit bei Elkamet beginne, könne über das Unternehmen auch an einem Sprachkurs teilnehmen und Unterstützung in der Berufsschule erhalten.
Schon einen Schritt weiter ist das Grillrestaurant Kneshecke aus Dipperz in der Rhön. Dessen Chef Michael Glas und einer seiner Nachbarn haben eine aus der Ukraine geflüchtete Familie mit vier Kindern sowie drei Frauen samt Hunden in zwei Ferienbungalows untergebracht. Der Kontakt ergab sich über den Fuldaer Verein der Köche, der an der rumänisch-ukrainischen Grenze Kriegsflüchtlinge bekocht und auch Spenden sammelt. Den 38 Jahre alten Familienvater Vitaly will Glas künftig auch als Koch in seinem Restaurant anstellen, sobald die Behörden grünes Licht dafür geben.
Glas hält es für wichtig, den Menschen rasch Jobchancen zu bieten, nachdem sei hier angekommen sind. Die Ukrainer wollten nicht langfristig in einer hilfsbedürftigen Rolle sein, sondern wieder im Leben stehen und möglichst den eigenen Lebensunterhalt bestreiten. Der Branchenverband Dehoga Hessen hat bereits angekündigt, Jobangebote und die entsprechende Nachfrage zu bündeln.
Das ist auch der Ansatz des Portals Job Aid Ukraine: Ins Leben gerufen wurde das Portal vom Unternehmer und Gesellschafter des in Bocholt in Nordrhein-Westfalen ansässigen Fahrradhändlers Rose Bikes, Marcus Diekmann, sowie einigen Mitstreitern. Sie wollen Unternehmen und Geflüchtete aus der Ukraine zusammenbringen. Mehr als 15.000 Jobs seien innerhalb der ersten dreieinhalb Wochen in das Portal eingestellt worden, darunter sind auch viele in Hessen. Pro Tag zählt das Portal rund 900.000 Besucher, rund 1500 Vorstellungsgespräche seien bereits vermittelt worden, sagte Diekmann.
Das Portal werde ehrenamtlich betrieben, man spreche bereits über Kooperationsmöglichkeiten mit anderen Job-Portalen. Nach Diekmanns Einschätzung ist das Qualifikationsniveau der Ukrainer vergleichbar mit dem in Deutschland. Niemand sollte deshalb auf die Idee kommen, die Geflüchteten hier als Billig-Arbeitskräfte einsetzen zu wollen. Für die Unternehmen in Deutschland biete sich vielmehr die Chance, gut ausgebildete Mitarbeiter zu gewinnen - ob als Pflegekraft, als Handwerker oder IT-Experte.
Auch bei der Regionaldirektion Hessen der Bundesagentur für Arbeit laufen Vorbereitungen für die Integration der Kriegsflüchtlinge in den Arbeitsmarkt. So seien bundesweit eine Dolmetscher-Hotline sowie eine Beratungshotline mit ukrainisch- und russischsprachigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eingerichtet worden, die erste Fragen zur Suche nach Jobs und Ausbildungsplätzen beantworten, sagte eine Sprecherin der Regionaldirektion. An einer Erstberatungsstelle am Frankfurter Hauptbahnhof wolle die Agentur für Arbeit zudem Geflüchteten eine erste Orientierung bieten.
Zugleich dämpfte die Sprecherin Erwartungen auf eine sofortige Arbeitsvermittlung der Ankömmlinge. Einerseits gehe es zunächst um Schutz und Sicherheit für die Menschen, die erst einmal eine geeignete Unterkunft finden und ihre persönlichen Dinge regeln müssten. Da es sich in vielen Fällen um Frauen mit Kindern handele, gehöre dazu auch eine geeignete Kinderbetreuung. Zudem brauche die Anerkennung von ausländischen Berufs- und Studienabschlüssen noch Zeit. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hatte bereits angekündigt, dieses Thema voranzutreiben.
Voraussetzung für eine Unterstützung der Geflüchteten seitens der Arbeitsagenturen sei eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis, sagte die Sprecherin. Liege diese vor, könnten die Menschen Beratung, Vermittlung und Qualifizierung in Anspruch nehmen. Ziel sei, sie entsprechend ihrer Ausbildung und Qualifizierung zu beraten und zu vermitteln.