Ukraine-Krieg verschärft Wohnungsnot Frankfurter auf verzweifelter Suche nach eigenem Zuhause
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Mitten in der Wohnungsnot in deutschen Großstädten kommen jetzt auch noch die Geflüchteten aus der Ukraine dazu. Zwei Frankfurter suchen seit Jahren ein neues Zuhause. Haben sie jetzt gar keine Chance mehr?
Mrey Agyeiwaa sucht seit sechs Jahren für sich und ihre zwei Kinder eine Wohnung. Fünf Angebote hat die 42-Jährige seitdem von der Stadt Frankfurt erhalten. Doch Glück hatte sie bislang nicht. Entweder waren die Wohnungen zu teuer oder sie wurden an andere Bewerber vergeben. "Es ist sehr schwer. Ich habe seit drei Jahren kein Angebot mehr erhalten", sagt sie.
Agyeiwaa kam vor sieben Jahren als Geflüchtete aus Ghana nach Frankfurt. Seitdem lebt sie mit ihren Kindern in Flüchtlingsunterkünften. Sie arbeitete als Putzkraft, erhält Wohngeld. 7.500 Menschen leben derzeit in diesen Sammelunterkünften für Wohnungslose, 3.000 davon sind Geflüchtete. Auf dem Wohnungsmarkt konkurrieren sie mit Geringverdienern, Wohnungslosen, Studierenden, aber auch mit Normalverdienern.
Stadt Frankfurt sucht nach Unterkünften für ukrainische Geflüchtete
Nun kommen Tausende ukrainische Geflüchtete hinzu. Die Hälfte der Ankommenden wolle laut Sozialdezernat in Frankfurt bleiben. Für sie brauche man eine "mittel- und langfristige Perspektive". Die Stadt sucht leer stehende Bürogebäude für Gemeinschaftsunterkünfte und Flächen für sozialen Wohnungsbau.
Auf Anfrage von t-online, wie viele Asylsuchende in den letzten Jahren in eine eigene Wohnung ziehen konnten und wie die Stadt Wohnraum für künftige Schutzsuchende finanzieren will, gab die Stadt keine Auskunft.
Die Mieten und Kaufpreise in Frankfurt steigen seit Jahren
In der Mainmetropole droht, wie in vielen anderen deutschen Großstädten auch, eine verschärfte Wohnungsnot. Seit zehn Jahren steigen Mieten und Kaufpreise, zeigt eine aktuelle Untersuchung des Frankfurter Immobilien- und Beratungsunternehmens Immoconcept. Allein im ersten Halbjahr zogen die Kaufpreise um 17 Prozent an.
Auch der 55-jährige Timon sucht seit August 2021 eine Wohnung in Frankfurt. Er hat eine schwere Zeit hinter sich. Nach der Scheidung von seiner Frau kehrt Timon 2018 aus den USA nach Frankfurt zurück, sein Sohn bleibt bei seiner Ex-Frau in den Staaten. Nach einer nervenaufreibenden und kostspieligen Scheidung findet er einen neuen Job und lernt seine neue Lebensgefährtin kennen, bei der er einzieht.
Zunächst verläuft die Beziehung gut, die beiden sprechen sogar schon von Heirat. "Dann wurde es schwer", so Timon im Gespräch mit t-online. Seine damalige Freundin leide unter schweren Depressionen. Das Paar befindet sich auf Kollisionskurs und schließlich kann er nicht mehr – er lässt sich freiwillig in die Psychiatrie in Frankfurt-Niederrad einliefern.
Frankfurter wird über Nacht obdachlos
Als es Timon langsam besser geht und er aus der Psychiatrie entlassen wird, kommt der nächste Schlag: Er findet keine Wohnung, wird praktisch über Nacht obdachlos. Zunächst versucht er, in einem Männerwohnheim der Caritas unterzukommen, doch die Zustände vor Ort seien katastrophal: "Dort wird geklaut, man sieht Blutspritzer an den Wänden im Flur – es ist praktisch wie ein offener Vollzug", so Timon.
Er entscheidet sich gegen die Unterkunft und wählt eine andere Alternative – sein eigenes Auto. Timon arbeitet weiterhin bei Nestlé, nur reicht sein Gehalt eben nicht für die Frankfurter Mietpreise. Denn in Frankfurt zahlt man laut einer Studie von Statista aktuell 16,11 Euro pro Quadratmeter. Damit belegt die Stadt den zweiten Platz der teuersten Städte Deutschlands – gleich nach München.
Unterstützung bekommt Timon von der Stadt Frankfurt nicht: "Es wäre tatsächlich einfacher, wenn ich arbeitslos wäre. Dann würde ich einen Wohnberechtigungsschein erhalten", so Timon. Der 55-Jährige möchte aber arbeiten, sein Job macht ihm Spaß.
Ein Wohnberechtigungsschein ist kein Garant für eine Wohnung
Ein Wohnberechtigungsschein kann beantragt werden, wenn das Einkommen für die Miete einer Wohnung nicht ausreicht. Mit dem Erhalt des Scheins besteht Anspruch auf eine Wohnung im sozial geförderten Wohnungsbau. Die Mieten sind deutlich günstiger als auf dem freien Wohnungsmarkt. Doch auch hier ist die Konkurrenz groß. Nach Angaben der Stadt suchen derzeit 10.000 Haushalte eine Sozialwohnung.
Die Schwierigkeit bei Timon: Auf dem Papier verdiene er genug. Allerdings beziehe die Stadt Frankfurt seine privaten Verhältnisse nicht mit ein: Durch die aufwendige Scheidung und Unterhaltszahlungen bleibe von dem Gehalt nicht mehr viel übrig.
Timon ist verzweifelt: Er lebt monatelang im Auto, muss im Büro duschen, darf die Garage seines Arbeitgebers benutzen, hinzu kommt die Scham: "Ich hatte großes Glück, dass mich mein Arbeitgeber hier unterstützt hat und Verständnis für meine Situation hatte", so Timon.
12 Prozent der Deutschen geben mehr als 50 Prozent ihres Gehaltes für Miete aus
Gut ein Viertel der Haushalte müsse mindestens 40 Prozent des Einkommens für Warmmiete und Nebenkosten aufwenden, heißt es in einer Untersuchung der Hans-Böckler-Stiftung. Knapp 12 Prozent der Großstadthaushalte benötigten sogar mehr als die Hälfte ihres Einkommens für die Miete.
Letztendlich kann Timon bei einer Bekannten einziehen, dort lebt er nun in einer WG. Dafür ist er sehr dankbar, allerdings ist der Wunsch nach einer eigenen Wohnung immer noch groß: "Mit 55 Jahren sehnt man sich nach einer gewissen Sicherheit", sagt er.
Da er immer noch keine bezahlbare Wohnung findet, startet Timon einen Aufruf auf Ebay Kleinanzeigen: Dort sucht er nicht nur nach einer eigen Wohnung, sondern auch nach Sach- und Geldspenden, die ihm den Neustart erleichtern sollen, denn viele Vermieter verlangen eine Kaution oder Mieten im Voraus: "Das war mir zunächst total unangenehm. Man lässt ja sprichwörtlich die Hosen runter", so Timon.
Doch es gibt Resonanz: Rund 950 Euro Spenden seien bereits auf seinem Paypal-Konto eingegangen, Timon freut sich sehr über diese Solidarität. Leider noch kein Wohnungsanbot. Doch der 55-Jährige bleibt zuversichtlich.
- Eigene Recherchen
- Gespräch mit Timon
- Gespräch mit Mrey Agyeiwaa
- Studie von Immoconcept
- Die Linke Kreisverband Frankfurt: "Bezahlbarer Wohnraum für alle"
- Regionalverband Frankfurt RheinMain: "Wohnungsbedarfsprognose 2030"
- Statista: "Städte mit den höchsten Mietpreisen für Wohnungen in Deutschland"