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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Cold Cases im Ruhrgebiet Ermittler der Mordkommission: "Die Fälle haben es in sich"

Die Dortmunder Sonderkommission "Cold Case" rollt Dutzende Mordfälle aus den vergangenen 50 Jahren neu auf. Neue Methoden der Kriminaltechniker sorgen für Erfolge.
Cold Cases – Mordfälle, die in den vergangenen Jahren nie aufgeklärt wurden – sind vor allem für Angehörige der Opfer eine Qual. Sie können aufgrund der ungeklärten Frage nach dem Täter oftmals nicht damit abschließen. Die Mordkommission in Dortmund hat deshalb insgesamt 47 alte Mordfälle, die teils 50 Jahre zurückliegen, aus den Aktenschränken geholt und für weitere Ermittlu. Akribisch werden die Fälle von der Cold-Case-Unit neu aufgerollt, nachgeschaut, wo welche Spuren mittels moderner Technologien neu auszuwerten sind.
Gregor Schmidt (55), Kriminalhauptkommissar und Leiter der Ermittlungskommission Cold Case, ist seit 2008 beim Kriminalkommissariat 11 mit Tötungsdelikten vertraut. Die Soko Cold Case ist seit Juli 2023 in Dortmund neu eingerichtet und seit September 2023 in Betrieb. Er weiß: "Die Fälle haben es in sich." Mit ganz neuen Forschungsmethoden gehen die Ermittler an die Fälle ran – so werden etwa Klebestreifen, an denen winzige Kleidungspartikel des Täters haften könnten, Stück für Stück unter ein Mikroskop gelegt, um die DNA des Täters aufzuspüren. "Das ist nicht mal eben so gemacht, das ist Feinstarbeit", sagt der Sonderkommissionsleiter.
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Werden die Kriminaltechniker im Labor fündig, gehen die Ermittler weiter vor – und puzzeln neue Erkenntnisse zusammen. "Eine DNA-Übereinstimmung heißt ja nicht gleich, dass diese auch vom Täter stammt, sie bringt uns zunächst nur einen Ermittlungsschritt weiter", sagt Schmidt. Bestes Beispiel sei hierfür der Mordfall von Ursula S., die 1987 mit über 70 Messerstichen brutal ermordet wurde.
Nach einer Aufstiegsfeier eines Fußballvereins hatte die Mannschaft samt Anhang laut den Berichten des Mordkommissionsleiters in einer Schützenhalle gefeiert: "Etwa 100 Leute waren da, Ursula S. hatte dort bedient, ist dann nachts nach Hause gegangen. Der Verlobte ist in der Halle geblieben und hat auf die Musikanlage aufgepasst, sodass die Partygäste wussten, dass Ursula S. jetzt alleine unterwegs sein wird." Am nächsten Tag sei die Frau dann mit über 70 Messerstichen tot in ihrer Wohnung aufgefunden worden. Der Fall blieb über Jahrzehnte ungelöst.
Verdächtiger sagte DNA-Test immer wieder ab
"Was wir wussten: Es konnte eigentlich nur jemand aus dem Ort und wahrscheinlich ein Gast der Feier gewesen sein", erklärt der Hauptkommissar. Durch die neuartige Untersuchungsmethode konnte dann aber eine DNA-Spur an der Jogginghose, die sie getragen hatte, extrahiert werden. Die Akte sei mehrfach durchgelesen worden, "es kamen für im näheren Umkreis der Getöteten letztendlich nur 14 Personen in Betracht, die die Tat in dieser Nacht hätten ausführen können und bei denen wir in der Folge DNA-Proben entnommen haben. Einer dieser Männer hatte aber immer wieder vereinbarte Termine zur DNA-Abgabe abgesagt, er kriege das zeitlich nicht hin. Dieser Mann war letztendlich dann auch der Täter", berichtet Schmidt weiter.
Doch für eine Anklage durch die Staatsanwaltsschaft oder für eine spätere Verurteilung reicht eine DNA-Übereinstimmung oftmals nicht aus. "Es könnte ja auch sein, dass Täter und Opfer beispielsweise nur zusammen getanzt haben und DNA-Partikel übertragen wurden. Im Fall Ursula S. war es zudem so, dass ich mit meinem Kollegen noch mal den Tatort angeschaut habe – eine Sackgasse. Dort ist dann tatsächlich ein älterer Herr aus seinem Haus auf uns zugekommen. Er fragte: 'Sind Sie denn von der Kripo Dortmund?' Er hätte an dem Tatabend Schreie gehört. Zunächst dachte er, es wäre eine Katze gewesen und hätte sich dann lediglich am Haus eine geraucht – und dann hätte er gesehen, wie ein Mann, ein bekannter Fußballer aus dem Dorf, ihm aus Richtung der Tatortwohnung entgegenkam. Wie sich später herausstellte, handelte sich dabei um den Spurenleger und letztendlich auch um den überführten Täter."
Nach Disco-Besuch ohnmächtig im Feld
Nicht alle neu aufgerollten Fälle enden mit einem Erfolg – zum Leid des Opfers, das sei der Mordkommission bewusst. So hält etwa ein brutaler Fall aus den 1990er Jahren das Ermittlerteam weiterhin auf Trab. Der Fall: Eine junge Frau trampte nach einem Discobesuch in Dortmund nach Hause und wurde von einem Mann mitgenommen. Dann ist sie eingeschlafen. Als sie auf einem Feldweg nahe des Möhnesees wieder aufwachte, sah sie den Täter, wie er vor ihr vor dem Auto hergeht, die Seitentür aufmacht, auf sie einsticht und schwer verletzt.
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"Anschließend ist sie ins Feld geschmissen worden. Sie schaffte es aber noch, bis zur nächsten Bundesstraße zu robben. Glücklicherweise kam ein Autofahrer und hatte sie noch rechtzeitig notärztlicher Versorgung zugeführt. Sie konnte den Angriff tatsächlich überleben", berichtet Schmidt. Auch dieser Fall wurde vor rund zehn Jahren neu aufgerollt. Die Frau hatte allerdings nach all den Jahren Probleme, das Bild des Täters in ihren Gedanken zu reproduzieren. "Dann haben wir die Idee entwickelt, sie unter Hypnose zu setzen."
Phantombild durch Hypnose
Die Methode ist in der Bundesrepublik relativ einzigartig. Man habe gemeinsam überlegt, ob es sinnvoll sei, sie gedanklich noch mal durch die Tat zu schicken. "Sie wollte aber unbedingt, dass der Täter gefasst wird, damit sie damit abschließen kann." Sie hat sich dem Hypnoseverfahren gestellt und konnte sich noch an das gesamte Tatgeschehen und somit auch an das Aussehen des Täters erinnern. Aus der reproduzierten Erinnerung wurde anschließend ein Fahndungsfoto erstellt, mit dem dann öffentlich gefahndet wurde.
Der Täter läuft allerdings bis heute frei herum. Die Polizei Dortmund hofft hier auf weitere Hinweise aus der Bevölkerung.
- Gespräch mit Gregor Schmidt, Kriminalhauptkommissar und Leiter der Ermittlungskommission Cold Case