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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Crack-Welle in Dortmund "Komplette Reduzierung durch Strafverfolgung ist eine Illusion"
Im Kampf gegen die Crack-Welle greifen die Maßnahmen der Stadt und Polizei zu kurz, sagt Olaf Schmitz, Leiter der Drogenhilfe. Eine Vertreibung der Süchtigen sei eine Verlagerung des Problems.
Eine Crack-Welle überschwemmt Dortmund. Die Auswirkungen sind dramatisch: Weil die Droge extrem süchtig macht und der Rausch nur wenige Minuten anhält, nimmt die Anzahl bettelnder, suchtkranker Menschen in der Innenstadt drastisch zu. Gewerbetreibende gehen aufgrund der teils aggressiven Süchtigen vor ihren Geschäften auf die Barrikaden und fordern strikte Maßnahmen. Die Stadt und Polizei reagieren mit einem Sonderstab.
Im Mittelpunkt der Diskussion: Der Drogenkonsumraum "kick". Seit rund drei Jahren existiert die Drogenhilfeeinrichtung in unmittelbarer Nähe zur Thier-Galerie, einem Shoppingcenter in der Innenstadt. Abhängige können hier unter hygienischen und sicheren Bedingungen Drogen konsumieren. Viele Händler in der Innenstadt fordern eine Verlegung des Drogenraumes.
Olaf Schmitz ist Leiter der Drogenhilfe, hat über 16 Jahre Erfahrung in der Arbeit mit suchtkranken Menschen im Ruhrgebiet. Wie schätzt er die Lage ein? Was sagt er zu den Forderungen? Und welche Lösungen schlägt er vor?
t-online: Herr Schmitz, eine Crack-Welle überschwemmt die Stadt. Wieso verbreitet sich die Billigdroge gerade jetzt so stark?
Olaf Schmitz: Viele deutsche und europäische Städte haben derzeit eine erhöhte Verfügbarkeit von Kokain, so auch Dortmund. Wenn die Verfügbarkeit steigt, sinken wie bei jedem Markt die Preise dann in den Keller. Und dadurch hat sich in den letzten Jahren auch das Crack als aufbereitetes Kokain in der Drogenszene in der Breite durchgesetzt.
Wichtig ist hierbei zu wissen, dass Konsumentinnen und Konsumenten polytoxikoman konsumieren, das heißt, sie konsumieren unterschiedliche Substanzen. Das kann Heroin sein, das können Beruhigungsmittel sein, das kann Kokain sein, das können Amphetamine sein. Und häufig richtet sich das Konsumverhalten danach, was eben am Markt und zu welchen Preisen das verfügbar ist. Das ist in der Schattenwirtschaft das gleiche Prinzip wie in der normalen.
Können Sie einen Zeitpunkt festmachen, wann die neue Crack-Entwicklung in Dortmund ihren Lauf nahm?
In Dortmund ist das Crack nach meinem Kenntnisstand die ersten Male, zumindest in unserer Einrichtung, 2016 aufgetaucht. Da war es aber wirklich ein Randphänomen mit sehr wenigen Konsumenten. Da kam es quasi erstmalig für uns in der Szene sichtbar an, steigerte sich dann und verbreitete sich von Jahr zu Jahr mehr. Mittlerweile ist es quasi so eine Art Droge für Arme beziehungsweise eine Droge für Menschen geworden, die illegalen Suchtmitteln zusprechen, und ist in weiten Teilen der Szene verbreitet.
Also würden sie der Theorie, dass Corona und die Inflation für einen erhöhten Konsum sorgen, widersprechen?
Die Gründe sehe ich, wie bereits erwähnt, schlicht und einfach in der besseren Verfügbarkeit der Substanz. Also dadurch, dass wirklich mehr Kokain nach Europa gekommen ist und eben auch vielfach über die Schiene, Niederlande und Belgien, also über die Einfallstore für Drogen nach Westdeutschland.
Dann wäre es doch ein logischer Schritt, die Einfallstore einfach stärker zu überwachen?
Ich glaube, seitdem illegaler Drogenhandel verfolgt wird, hat uns die Vergangenheit gezeigt, dass eine komplette Reduzierung auf diese Weise eine Illusion ist. Natürlich kann man versuchen, den Schwarzmarkt zu bekämpfen, aber über irgendeinen Weg kommen immer – und auch immer in hohem Maße – Drogen in die ganze Welt. Das ist einfach die Realität. Das ist ein Stück weit Kampf gegen Windmühlen.
Die Stadt Dortmund richtet nun gemeinsam einen Sonderstab ein, um die Crack-Welle in den Griff zu bekommen. Zuvor hatte es viel Druck von Gewerbetreibenden aus der Innenstadt gegeben. Ist das purer Aktionismus?
Ich finde es auf der einen Seite nachvollziehbar. Aber hierzu sollten wir mal kurz auf die Wirkungsweise von Crack schauen. Crack wird an der Pfeife gezogen, es gibt einen heftigen Kick, der fünf bis 15 Minuten anhält.
Das heißt, die Konsumenten kommen von einem relativ kurzen euphorischen Zustand in einen Zustand, in dem sie eigentlich nur noch getrieben sind, den nächsten Stein für den nächsten Konsumvorgang aufzutun. Das setzt die Leute sehr unter Stress. Es lässt die Leute aggressiver werden, es lässt die Leute hektischer werden.
Die Folge ist, dass die Selbstfürsorge bei den Menschen noch mal massiv abnimmt. Sie kümmern sich nicht mehr ums Essen, sie kümmern sich nicht mehr ums Trinken, sie kümmern sich nicht um Hygiene – sondern kümmern sich vorrangig erst mal darum, immer wieder an die Droge zu kommen, um nachlegen zu können.
Das heißt, aus unserer Sicht hat sich die Drogenszene in den vergangenen Jahren nicht massiv vergrößert, sondern es ist einfach so, dass die Leute, die Crack konsumieren, teilweise auch auffälliger sind in der Öffentlichkeit. Das geht mit den Symptomen einher, wie aggressives Betteln und Diebstähle. Das nun erhöhte Bekämpfen von Lagern und Campieren in der Innenstadt hat insofern kurzfristig erst mal die Wirkung, dass die Leute dadurch vertrieben werden und die Auffälligkeiten ein Stück weit zumindest von den Zentren Westenhellweg und der Thier-Galerie weggehalten werden.
Also man bekämpft sozusagen das Symptom, nicht die Ursache?
Ein Stück weit schon. Denn es geht für die Konsumentinnen und Konsumenten einher, dass der Verfolgungsdruck zunimmt. Es häufen sich Platzverweise, es häufen sich Ordnungswidrigkeiten und Bußgelder, die damit verbunden sind, dass die Leute diese dann hinterher nicht bezahlen können.
Die Suchtkranken fühlen sich noch ausgegrenzter, und ja, es geht damit den Süchtigen noch mal schlechter, und der Stress und der Leidensdruck für sie wird noch mal größer, als er ohnehin schon ist. Eine kurzfristige Beruhigung in der Innenstadt mit solchen geballten Maßnahmen macht natürlich an den Stellen, wo es schlicht und einfach auffällig straffälliges Verhalten gibt, Sinn. Aber es wird letztlich an der Symptomatik nicht viel ändern. An der Stelle greifen die Maßnahmen zu kurz.
Wie bekommt man die Crack-Welle Ihrer Meinung nach in den Griff?
Also ich glaube, es ist illusorisch, davon auszugehen, wenn wir da nur hart durchgreifen, dann wird es demnächst keine Drogenkonsumentinnen und -konsumenten mehr geben. Denn Sucht ist eine Erkrankung, und man kann nicht einfach aufhören mit dem Drogenkonsum. Die Frage ist also vielmehr: Wie können Maßnahmen ordnungsrechtlicher Natur auch mit sozialarbeiterischen Maßnahmen verbunden werden? Wo können zusätzliche Anlaufstellen, vielleicht auch zum Beispiel weitere Drogenkonsumräume oder niedrigschwellige Anlaufstellen für Drogenabhängige, eventuell noch in der Innenstadt und im Stadtgebiet verteilt werden, damit das Ganze auch etwas entzerrt wird?
Da sehe ich die Ordnungsbehörden, Stadtverwaltung, Politik, die Sozialarbeit sowie die Stadtplanung in der Pflicht – letztlich, glaube ich, kann es nur zielführend sein, wenn die verschiedenen Akteure an einen Tisch kommen und längerfristig wirklich gemeinsam nach tragfähigen Lösungen sowohl für die Innenstadt, für das Umfeld als auch für alle Suchtkranken suchen.
Also kein Umzug, sondern mehr Konsumräume?
Ja, es müssten mehr Schutzräume, mehr sichere Räume mit Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern geschaffen werden. Das hätte aus meiner Sicht zumindest eine Entzerrung zur Folge. Im besten Fall würde sich die Drogenszene mehr verteilten.
Um einmal auf die Innenstadtlage zu sprechen zu kommen: Die Drogenszene hält sich erfahrungsgemäß nicht nur bei uns, sondern in allen Städten in der Innenstadt auf, eben auch vor dem Hintergrund, dass da Geld zu machen ist, und das nicht irgendwo in einem Außenbezirk, etwa am Kanal auf der grünen Wiese. Das heißt, wenn eine Drogenhilfe-Einrichtung außerhalb der Innenstadt wäre, würden die Leute schlicht und einfach noch weniger dorthin kommen und sie würden nicht mehr erreicht werden. Gleichzeitig gehe ich davon aus, dass dann der Konsum in der Öffentlichkeit noch mehr zunehmen würde und dass die Probleme in der Öffentlichkeit deutlich zunehmen würden. Kurz gesagt: Das wäre eigentlich nur eine komplette Verlagerung des Problems.
Vielen Dank für das Gespräch.
- Gespräch mit Olaf Schmitz, Leiter der Drogenhilfeeinrichtung "Kick"