Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online."Helden" des Monats Chemnitzer FC kämpft gegen Rassismus
In Fußballstadien geht es oft nicht nur um den Sport, sondern auch um gesellschaftliche Herausforderungen. "Der Fußball ist ein Spiegel der Gesellschaft", sagt der Rassismusbeauftragte des Regionalligisten Chemnitzer FC.
"Fußball eignet sich gut, um Feindbilder aufzubauen", so der 59-jährige Martin Ziegenhagen. Er ist als Rassismusbeauftragter beim Chemnitzer FC ehrenamtlich aktiv. Im Sport sei eine "Wir gegen Die"-Mentalität normal – auf dem Platz, wie auf den Rängen. Bis heute sind beunruhigende Vorkommnisse in Fußballstadien eher üblich als selten. Besonders in Ostdeutschland ist dies eine große Herausforderung. "Der zivilgesellschaftliche Widerstand gegen rechte Gruppierungen ist im Westen der Republik größer als bei uns. Das ist das Problem", so der gebürtige Berliner, der Fan vom Traditionsverein Tennis Borussia Berlin ist.
Schon in den 80er-Jahren gab es Rassismusprobleme im deutschen Fußball. Damals wurde beispielsweise die Borussenfront aus dem Stadion in Dortmund herausgedrängt. "In Dortmund gab es einen Spießrutenlauf gegen die Gruppierung. Weil sie es dort schwer hatten, sind Teile der Anhänger nach Chemnitz weitergezogen", erläutert Ziegenhagen. Er macht noch einen anderen Grund dafür verantwortlich, weshalb es in ostdeutschen Stadien mehr rechtsextreme Probleme gibt: "Die Stadien sind meist etwas leerer, somit haben die Leute es einfacher, auf sich aufmerksam zu machen."
"Meine Funktion ist in rechten Szenen natürlich nicht beliebt"
Angesichts der rechtsextremen Szene, die insbesondere den Chemnitzer FC in den Jahren 2018 und 2019 prägte, wurde Martin Ziegenhagen zum Antirassismusbeauftragten ernannt – weil Chemnitz vom DFB den Auftrag bekam, diese Position zu bekleiden. Ein Posten, der nicht überall auf Gegenliebe stößt. "Meine Funktion ist in den rechten Szenen natürlich nicht beliebt", berichtet er. "Ich werde belächelt und nicht ernst genommen". Persönlichen Kontakt zwischen Ziegenhagen und den Gruppierungen gebe es aber nicht. Da Chemnitz ein eher kleiner Verein ist und mittlerweile nur noch in der vierthöchsten Liga spielt, sind die Ressourcen begrenzt. Projekte mit mehreren Mitarbeitern sind so fast unmöglich, Ziegenhagen ist mehr oder weniger auf sich allein gestellt.
Über die Bemühungen beim größten Fußballverein der Stadt hinaus machten sich auch Menschen vom ASA-FF, Ehrenamtliche der CFC-Fans gegen Rassismus aus Kultur sowie Zivilgesellschaft auf, den Kampf gegen den Rassismus zu stärken. So entstand das Projekt #HEIMSPIEL. Bei dem Projekt handelt es sich um ein klassisches Fußballturnier mit einem Endspiel, gekoppelt wird der Wettbewerb aber an gesellschaftliche Fragen.
Fußball in Chemnitz soll diskriminierungsfrei werden
2023 wurde das Projekt zum ersten Mal absolviert, dabei gab es zunächst vier Turniere. Jeder Wettbewerb lief unter einer gesellschaftlichen Frage ab. Begleitet wurde der sportliche Teil des Projektes durch zahlreiche Veranstaltungen im Rahmenprogramm, beispielsweise mit der Ausstellung "Zwischen Erfolg und Verfolgung – Jüdische Stars im deutschen Sport bis 1933 und danach" auf dem Bahnhofsvorplatz, Filmvorführungen und einer Podiumsdiskussion mit Robert Claus, Thomas Hitzlsperger, #HEIMSPIEL und Verantwortlichen des CFC. Unterstützung erhielt #HEIMSPIEL dabei unter anderem von der DFB-Kulturstiftung, aber auch der Bürgerplattform Chemnitz Nord-Ost.
- Auch interessant: Landrat Christian Herrgott im t-online-Podcast zu gemeinnütziger Arbeit, die er für Asylbewerber zur Pflicht macht:
Embed
Menschen mit Behinderung, queere Menschen im Sport, wie der Fußball den Stadtteilen helfen kann und Integration im Fußball waren die Themen der Vorturniere. Aus diesen Turnieren haben sich vier Teams durchgesetzt, die das Finale im August im Chemnitzer Stadion gegen eine Stadtauswahl ausgetragen haben. "Das Projekt #Heimspiel haben wir als Reaktion auf die rassistischen Ausschreitungen 2018 und die Trauerfeier für den Neonazi Thomas Haller 2019 gegründet", erklärt Mitorganisator Attila Bihari. Ziel dessen ist es, den Fußball in Chemnitz diskriminierungsfrei zu machen.
Das Projekt stieß auf großen Erfolg, beim Finale waren circa 1.000 Zuschauerinnen und Zuschauer im Stadion. Insgesamt war die Resonanz positiv, es gab aber auch negative Töne: "Außerhalb von Chemnitz hatten wir fast nur positive Resonanz, in Chemnitz sah das etwas anders aus. Viele Menschen haben das Vertrauen in den Fußball der Stadt verloren", so Bihari, der aber verspricht: "Wir werden #Heimspiel auch in 2024 und 2025 austragen."
Als Antirassismusbeauftragter endet Ziegenhagens Zuständigkeit an den Toren des Stadions – selbst, wenn die Botschaft auch darüber hinaus in die Stadt getragen werden soll. "Wir wollen nach außen sichtbar machen, dass wir uns von rechtsextremen Aktivitäten abgrenzen", betont er. Ehrenamtlich, aber mit großer Unterstützung weiterer engagierter Mitstreiterinnen und Mitstreitern aus und um den Verein kämpft er gegen rechtsextreme Aktivitäten, setzt auf Schulungen und klare Stadionregeln.
"Werte werten tatsächlich gelebt"
"Wir wollen es diesen Menschen im Stadion unbequem machen." Außerdem ist es das Ziel des Regionalligisten, das Image wieder aufzubessern. Ziegenhagen: "Viele Leute haben sich nicht mehr ins Stadion getraut. Die Entwicklung wollen wir bekämpfen und die 'guten' Fans wieder ins Stadion bekommen". Das gelingt auch zunehmend, die Zuschauerzahlen in Chemnitz steigen wieder an. So haben knapp 20.000 Zuschauerinnen und Zuschauer die ersten vier Heimspiele im Jahr 2024 verfolgt.
Seit 2020 arbeitet Ziegenhagen mittlerweile in Chemnitz – und kann auf einige Erfolge zurückblicken. Ein Meilenstein war die Erstellung des Leitbildes in Zusammenarbeit mit Fanvertretern und Mitgliedern. "Da steht drin, wofür der Verein steht, welche Rolle er in seiner Region hat", erklärt er. Doch der Weg ist noch lang und der Prozess erfordert Anstrengungen von allen Seiten. Die nächste Aufgabe ist Ziegenhagen bestens bekannt: "Wir müssen dieses Leitbild nun konsequent mit Leben füllen." Ein erster Beweis dafür, dass die Werte auch tatsächlich gelebt werden, war das unverzügliche Einschreiten der Fanszene, als beim Spiel gegen Cottbus ein diskriminierendes Plakat gezeigt wurde. Daraufhin wurden einzelne Personen des Stadions verwiesen.
- Eigene Recherchen