Team aus Bremerhaven und Bremen Wissenschaftler lüften Geheimnis um enormen Temperatursprung
Treibhausgase, El Niño, vulkanische Aktivitäten: All das führt zur Erwärmung der Erde. Doch nun haben Forscher ermittelt, dass das nur die halbe Wahrheit ist.
Das vergangene Jahr brach alle Rekorde: Auf der Erde war es wärmer als je zuvor. Deutsche Wissenschaftler haben nun eine Idee, was zu dem großen Temperatursprung geführt haben könnte: Es gab weniger Wolken in geringer Höhe. Das sei aus der Analyse von Satellitendaten und der Anwendung von Computermodellen klar geworden, schreibt das Team aus Bremerhaven, Bonn und Bremen in der Fachzeitschrift "Science".
Als Hauptgrund für den stetigen Anstieg gelten die menschengemachten Treibhausgase. Zusätzlich gab es zuletzt noch andere Effekte: die derzeit erhöhte Aktivität der Sonne, das Wetterphänomen El Niño, vulkanische Aktivitäten und weniger Feinstaub über den Ozeanen. Das alles zusammen aber könne den Temperatursprung nicht vollständig erklären, meinen die Forscher.
Die globale mittlere Oberflächentemperatur lag im vergangenen Jahr bei nahezu 1,5 Grad Celsius über dem Vergleichszeitraum von 1850 bis 1900. Im Jahr davor hatte die Temperatur noch 0,3 Grad niedriger gelegen.
Bisherige Erkenntnisse erklären Entwicklung nur teilweise
Helge Gößling vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven und seine Kollegen ermittelten aus den analysierten Daten einen ungewöhnlich hohen Wert für die aufgenommene Sonneneinstrahlung. Das ist gleichbedeutend mit einer geringen Rückstrahlkraft des Planeten, der sogenannten Albedo. Sie gibt den Anteil der Sonneneinstrahlung an, der ins Weltall zurückgeworfen wird.
El Niño – Was ist das eigentlich?
Das Wetterphänomen El Niño sorgt für massive Veränderungen in der Atmosphäre und den Ozeanen entlang des Pazifiks. Normalerweise treiben die Passatwinde warmes Wasser von Südamerikas Küste nach Asien, wo es zu starken Niederschlägen kommt, während der Ostpazifik relativ kühl bleibt. Diese sogenannte Hadley-Zirkulation wird durch die intensive Sonneneinstrahlung am Äquator angetrieben. Doch während eines El Niño – meist ab dem Frühjahr – kehrt sich dieses System um. Der Ostpazifik erwärmt sich, der Westpazifik kühlt ab, die Passatwinde flauen ab oder drehen sogar um. Das Wetter steht quasi Kopf und die Folgen sind gravierend: In Südamerika führen wärmeres Wasser und schwächere Winde zu ungewöhnlich starken Regenfällen, während Asien und Australien mit Trockenheit und Dürre kämpfen.
Viele Jahre haben sich Forscher vor allem mit der Albedo in den Polargebieten beschäftigt. Gibt es dort weniger helles Eis, sondern mehr dunkle Ozeanfläche, wird weniger Sonnenstrahlung reflektiert. Doch der Wandel in den Polarregionen erkläre den Rückgang der Oberflächenalbedo nur zu einem kleinen Teil, erklärt Gößling. Deswegen schauten sich die Forscher die Wolken an.
Weniger niedrige Wolken bedeutet weniger Kühlung
Hohe Wolken kühlen die Erde, weil sie an der Oberseite Sonnenlicht reflektieren. Sie erzeugen aber auch einen wärmenden Effekt, weil sie von der Erde abgestrahlte Wärme in der Atmosphäre halten.
Bei niedrigen Wolken fehlt der Wärmeeffekt weitestgehend. "Gibt es weniger niedrigere Wolken, verlieren wir nur den Kühleffekt, es wird also wärmer", erklärt Gößling. Für das vergangene Jahr zeigten Satellitenaufzeichnungen den niedrigsten Wert für niedrige Wolken seit dem Jahr 2000 an.
Der Rückgang tief hängender Wolken war in den Tropen und in den mittleren Breiten der nördlichen Erdhalbkugel besonders ausgeprägt. "Auffallend ist, dass der östliche Nordatlantik, der einer der Haupttreiber für den jüngsten Anstieg der globalen Mitteltemperatur ist, nicht nur 2023 einen deutlichen Rückgang von niedrigen Wolken verzeichnete, sondern – wie fast der gesamte Atlantik – bereits in den letzten zehn Jahren", sagt Gößling. 2023 zeigte sich also eine extreme Ausprägung eines mehrjährigen Trends.
Weniger niedrige Wolken: Ursache nicht abschließend geklärt
Derzeit ist laut den Wissenschaftlern bisher nicht klar, was zur Verringerung der niedrigen Wolken führt. Im vergangenen Jahr haben schwächere Winde besonders wenig Saharastaub auf den Atlantik hinausgetragen. Zudem könnten strengere Auflagen beim Schiffsdiesel zu einem geringeren Feinpartikelausstoß geführt haben. Beide Entwicklungen bedeuten weniger Schwebteilchen in der Luft, an denen sich Wasser niederschlagen könnte, wodurch sich Wolken bilden.
Doch die Studienautoren vermuten noch ein anderes Phänomen: Der Klimawandel selbst könnte erheblich zur Reduzierung niedriger Wolken beitragen. Die Forscher verweisen auf Studien, die gezeigt haben, dass die Erwärmung der Meeresoberfläche die niedrige Wolkenbedeckung verringern kann.
"Sofern hinter dem Albedo-Rückgang eine verstärkende Rückkopplung zwischen Erderwärmung und Wolken steckt, wie auch einige Klimamodelle nahelegen, müssen wir mit einer recht starken zukünftigen Erwärmung rechnen", betont Gößling. Die Erde könnte deshalb einer globalen Erderwärmung von mehr als 1,5 Grad bereits näher sein als bislang gedacht.
- Nachrichtenagentur dpa
- geo.de: "El Niño: Wie das Klimaphänomen entsteht – und welche Folgen es für uns hat"
- worldoceanreview.com: Wie El Niño entsteht