Berlin Polen senkt Spritsteuer: Tankstellensterben befürchtet
Nach einer Senkung der Treibstoffsteuer in Polen ist dort Tanken seit diesem Mittwoch deutlich günstiger. Der Verband des Garagen- und Tankstellengewerbes Nord-Ost geht davon aus, dass der Tanktourismus Richtung Nachbarland noch einmal zunehmen wird. Der Kraftstoff könnte in Polen bis zu 65 Cent billiger sein, sagte Verbandschef Hans-Joachim Rühlemann der Deutschen Presse-Agentur am Dienstag, der bereits in den vergangenen Tagen ein erhöhtes Verkehrsaufkommen nach Polen beobachtet hat. Mit einer genaueren Einschätzung der Lage rechnete er nach eigenen Angaben am kommenden Wochenende. Der Verband betreut in Berlin und in den ostdeutschen Bundesländern etwa 300 Tankstellen.
Auf den Straßen in Richtung Polen war am Dienstag nach Angaben der Bundespolizeiinspektion im sächsischen Pirna zunächst nicht mehr los als an den Vortagen. "Wir haben das im Blick, registrieren auf der A4 zurzeit aber nicht mehr Verkehr als üblich", sagte ein Sprecher. Auch in Frankfurt (Oder) herrschte zunächst normaler Autoverkehr über die Stadtbrücke nach Słubice, wie eine dpa-Reporterin berichtete. Die Tankstellen dort seien nicht übermäßig gut besucht gewesen.
Die Bundespolizei in Vorpommern berichtete dagegen von einem erhöhten Verkehrsaufkommen Richtung Polen. Wie der Sprecher der Bundespolizei in Pasewalk (Vorpommern-Greifswald) Igor Weber am Dienstag sagte, haben die Beamten auf der Bundesstraße 104 und auf der Autobahn 11 Berlin-Stettin deutlich mehr Verkehr durch Tagestouristen registriert. Das hänge vermutlich mit mehr Tanktourismus zusammen, der aber Anfang des Monats, wenn viele Menschen mehr Geld zur Verfügung haben, immer größer ist als sonst. Über die B 104 und Löcknitz läuft das Gros des Einkaufstourismus von Mecklenburg-Vorpommern nach Polen.
Polen hat zum 1. Februar die Mehrwertsteuer unter anderem auf Sprit von 23 auf 8 Prozent gesenkt. Mit der Maßnahme sollen die Menschen in Polen von den Folgen der Inflation entlastet werden. Regierungschef Mateusz Morawiecki lobte am Dienstagmorgen bei dem Besuch einer Tankstelle in Warschau die Steuersenkung mit den Worten: "In anderen Ländern steigen die Kraftstoffpreise, bei uns sind sie wie versprochen gesunken." Nahezu alle polnischen Medien berichteten, dass sich die Steuersenkung kräftig auf die Benzinpreise ausgewirkt habe: "Fast ein Zloty weniger pro Liter", titelte etwa das regierungsnahe Online-Portal Tvp.info.
Für die Branche hinter der Grenze in Deutschland hat das Rühlemann zufolge katastrophale Folgen. An der Grenze zu Polen gebe es einige Hundert Tankstellen, die um ihre Existenz bangen müssten. "Wir haben jetzt eine Situation, wie sie so schlimm noch nie gewesen ist. Da werden sich viele überlegen, ob sie nicht zumachen", sagte er. Zahlreiche Mitarbeitende würden ihre Arbeit verlieren. Derzeit fielen schon bis zu 70 Prozent der Tankkunden weg.
Davon ist auch Tankstellenbetreiber Rainer Strempel in Seelow (Märkisch-Oderland) etwa 20 Kilomter vor der deutsch polnischen Grenze betroffen. Über die Hälfte des Umsatzes sei weggebrochen, berichtet er. Er habe Verständnis dafür, dass die Menschen die günstigen Preise nutzen wollten. Ihm und anderen gehe es aber an die Existenz. An seiner Tankstelle kostete der Liter Superbenzin am Dienstagmittag etwa 1,74 Euro. In Polen kostet der Liter im Durchschnitt derzeit etwa 1,22 Euro. Der Tankstellenbetreiber forderte ein Ende der "Preisspringereien". Preisumstellungen an den Tankstellen müssten von der Politik begrenzt und Steuersätze auf Kraftstoff wenigstens temporär gesenkt werden. "Dann bleibt auch mehr Geld in Deutschland", schätzte er ein.
Tankstellen profitierten zwar auch vom Nebengeschäft wie Kaffee- oder Imbissangebot und vom Zeitungsverkauf, sagte Verbandschef Rühlemann. Wenn Tankkunden aber ausblieben, fielen auch diese Einnahmen weg. Da lohne auch eine Investition in mehr Imbissangebote nicht. "Wenn die Kollegen mich anrufen, sind sie verzweifelt, weil sie nicht mehr wissen, wie sie es weiter händeln sollen", berichtete Rühlemann, der in Berlin selbst eine Tankstelle betreibt.
Deutlich kritisierte der Verbandschef die Mineralölgesellschaften. Denen sei es egal, ob die Autofahrer vor oder hinter der Grenze tankten, denn sie verkauften überall ihren Sprit und hörten nicht auf die Hilferufe der Pächter. Rühlemann erneuerte seine Forderung an die Mineralölgesellschaften, den Betreibern eine höhere Provision für Kraftstoffe pro Liter zu zahlen. Bislang liegt sie Rühlemann zufolge zwischen 1 und 1,2 Cent pro Liter - viel zu wenig, sagte er.