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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Expertin im Interview Riesen-Hype um Dubai-Schokolade: Was soll das?
Menschen stehen stundenlang Schlange, im Internet wird sie zu absurden Preisen gehandelt: Der Hype um die Dubai-Schokolade ist riesig. Aber was treibt Menschen dazu, viel Zeit und Geld in eine Süßigkeit zu investieren?
In Berlin stellten sich Anfang der Woche Hunderte Menschen in eine lange Schlange, nur um eine Tafel Pistazien-Schokolade zu kaufen. Lindt verkaufte seine Version des Trendprodukts aus den Emiraten. Der Hype um die sogenannte Dubai-Schokolade ist riesig. Wer da nicht mitmacht oder noch nichts davon gehört hat, kann nur schwer verstehen, dass Menschen sich so verhalten, nur um eine bestimmte Schokoladensorte zu ergattern.
Die Soziologin Linda Hering von der Humboldt-Universität beschäftigt sich mit Lebensmitteln und Konsum. Im Interview spricht sie darüber, was Trends in Menschen auslösen können, wie lange es sie schon gibt und warum sie sich verändert haben.
t-online: Warum stellen sich Hunderte Menschen stundenlang in eine Schlange, nur um Schokolade zu kaufen?
Linda Hering: Ein Produkt hat nicht nur einen Gebrauchswert, sondern darüber hinaus auch symbolischen Wert. Die wenigsten Menschen essen Schokolade, um einfach nur satt zu werden. Der symbolische Wert eines Produkts kann sich für verschiedene Menschen stark unterscheiden. Den einen Grund, stundenlang in der Schlange zu stehen, gibt es also nicht, das unterscheidet sich stark. Und manche machen es schlicht aus Profitinteresse, um die Schokolade dann teurer weiterzuverkaufen.
Zur Person
Dr. Linda Hering ist Soziologin und arbeitet an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie forscht unter anderem zu urbanen Lebensmittelmärkten und nachhaltiger Transformation.
Was könnte der symbolische Wert der Dubai-Schokolade sein?
Im Bereich der Schokolade ist es eine Art von Luxus-Produkt mit besonderen Zutaten, im Original in einer kleinen Familienfabrik hergestellt, abseits der Massenproduktion, ziemlich teuer. Also eine Art Statussymbol, das reizt manche Menschen. Dann kommt hinzu, dass sie ursprünglich aus Dubai kommt und deshalb hier schwer zu bekommen ist. Das macht den, der sie dann bekommt, zu etwas Besonderem. Denn wer ein Produkt bekommt, das es in der Form noch nicht gab, hat dadurch eine kurze Zeit einen Wissensvorsprung. Manche stellen sich also an, um zu den Ersten zu gehören, die die Schokolade probieren und dann auch darüber zu sprechen und es auf dem eigenen Social-Media-Kanal zu teilen.
Wenn Produkte so knapp sind, dass sie sich nur wenige leisten können, kann man sich durch den Konsum hervorheben.
Linda Hering
Lindt verkauft erst mal nur 1.000 Tafeln. Was spielt das für eine Rolle?
Künstliche Verknappung kann ein Produkt sehr viel begehrter machen, weil es die angesprochene Besonderheit erhöht. Lindt hat die Schokolade nicht selbst erfunden, sondern sich ein virales Produkt genommen und ihre eigene Reputation mit in die Waagschale geworfen. Die Verknappung verstärkt den Hype dann nochmal, weil sie eben nicht in jedem Laden steht. Das ist ein klassischer Marketingtrick. Sobald jeder Zugang zu etwas hat, ist es kein Trend mehr.
Seit wann gibt es solche Trends?
Dass ein bestimmtes Konsumgut für eine gewisse Zeit besonders begehrt ist, ist kein neues Phänomen. Schon in Königshäusern vor hunderten von Jahren gab es besonders exklusive Produkte, die eine Zeit lang im Trend waren. Das können besondere Pfirsiche oder auch Tee oder Kaffee gewesen sein. Wenn Produkte so knapp sind, dass sie sich nur wenige leisten können, kann man sich durch den Konsum hervorheben. Heute funktionieren Trends aber ganz anders.
Warum?
Damals waren Trends lokal begrenzt und konnten sich nur ganz langsam ausbreiten. Die Dubai-Schokolade ist durch Videos in den sozialen Medien in kürzester Zeit zum weltweiten Trend geworden. Alles ist viel schnelllebiger geworden.
Außerdem ist die Verknappung heute eher künstlich, früher war sie real.
In diesem Fall schon, aber es gibt auch andere Beispiele. In der Corona-Krise hat man gemerkt, was passieren kann, wenn plötzlich wichtige Dinge knapp sind. Da standen dann Leute Schlange für Klopapier, Masken oder Impfungen statt für Schokolade. Und so steht auch befürchten, dass durch den Klimawandel zukünftig Ressourcen knapp und Dinge wieder zu Luxusgütern werden, die für uns heute ganz alltäglich sind.
Danke für das Gespräch.
- Telefonisches Interview mit Linda Hering