Sondierungen nach Neuwahl Experte hält Koalitions-Überraschung in Berlin für möglich
Am Montag steht das nächste Sondierungsgespräch an. Zunächst treffen sich CDU und SPD – dabei soll es nicht bleiben.
Unmittelbar vor der Fortsetzung der Sondierungsgespräche in Berlin gehen die Ansichten über die Chancen der CDU auf die Regierungsführung deutlich auseinander. Am Freitag hatte es erste Treffen des Wahlsiegers CDU jeweils mit SPD und Grünen gegeben. CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner hat das sozialdemokratische Sondierungsteam für Montag erneut eingeladen, die Grünen sollen am Mittwoch folgen. Noch am Dienstag soll es außerdem Gespräche der SPD jeweils mit Grünen und Linken geben, wie die drei Parteien am Sonntag bestätigten.
Berlins Fraktions- und Landeschef Raed Saleh sagte der "Berliner Morgenpost" (Sonntag), die Situation sei für alle Beteiligten kompliziert. Er könne noch nicht sagen, wohin die Sondierungsgespräche führten. Es sei alles möglich, auch die SPD in der Opposition. "Ausschließen kann ich derzeit nichts", so Saleh.
"Nächste Jahre werden hart"
Der SPD-Landeschef, der zusammen mit der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey das Sondierungsteam der SPD leitet, wies allerdings darauf hin, dass 18,4 Prozent der Berlinerinnen und Berliner die SPD nicht gewählt hätten, damit sie nun in die Opposition gehe. "Die wollen, dass wir ihre Interessen vertreten", sagte er.
"Die nächsten Jahre werden hart in Berlin. Die Bevölkerungszahl steigt", warnte Saleh. "Die Zahl der Geflüchteten aus der Ukraine und anderen Staaten nimmt zu, die Folgen der Inflation spitzen sich zu." Deshalb führe man die Sondierungsgespräche so ernsthaft.
Berlins früherer Regierender Bürgermeister Walter Momper (SPD) glaubt nicht, dass CDU-Spitzenkandidat Wegner Regierender Bürgermeister wird. "Im Moment sieht es nicht danach aus, dass die CDU die Regierung anführen wird", sagte der Sozialdemokrat in der "B.Z." am Samstag.
"Die Grünen wollen mit der CDU keine Regierung bilden, und die SPD will es auch nicht. SPD und Grüne wollen eine Regierung mit den Linken bilden, die eine Mehrheit erhält", sagte Momper, Regierender Bürgermeister von 1989 bis 1991.
Er hält das auch für machbar: "Der Wahlsieger CDU muss nicht die Regierung anführen", argumentierte er. "Anführen muss der die Regierung, der im Parlament eine Mehrheit für seine Partei und die Parteien, die die Regierung bilden, findet."
Auf 27. Februar warten
Der frühere Regierende Bürgermeister der CDU, Eberhard Diepgen (1984 - 1989 und 1991 - 2001), findet dagegen, dass der Wahlsieger die Regierung anführen sollte. "Nach der ordentlichen Backpfeife für die Noch-Senatsparteien macht die parlamentarische Mehrheit diese ganz sicher nicht plötzlich zu Siegern der Wahlen", sagte Diepgen. Die CDU sei Wahlsieger mit deutlichem Zuwachs an Wählerstimmen.
"Die großen Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Koalition werden auch nicht so schnell vergessen sein", sagte Diepgen. Insbesondere die SPD werde bis zu den nächsten Wahlen eine Erneuerung im Blick haben müssen. "Sonst wird sie weiter verlieren."
Nach Einschätzung des Berliner Parteienforschers Gero Neugebauer ist bei den Sondierungsgesprächen noch die eine oder andere Wendung denkbar. Der Politikwissenschaftler wies am Samstag im RBB-Inforadio auf die große Bedeutung des noch ausstehenden amtlichen Endergebnisses hin, das Berlins Landeswahlleiter am 27. Februar bekanntgeben will.
Sollten die Grünen dann doch noch vor den Sozialdemokraten landen, die derzeit auf Platz zwei liegen, könnte das zur Folge haben, dass ihr Interesse an einer Koalition mit der CDU auf null sinke, sagte der Politikwissenschaftler.
Geringe Überscheidung bei schwarz-grün
Denn in dem Fall hätten die Grünen die Möglichkeit, eine Koalition mit SPD und Linken anzuführen. "Nach meiner Einschätzung ist dann eine Koalition zwischen CDU und Grünen unwahrscheinlich." Aber auch inhaltlich hält der Politikwissenschaftler ein Zusammengehen von CDU und Grünen für schwierig: Etwa bei der Klimapolitik und beim Thema innere Sicherheit klafften die Vorstellungen der beiden Parteien deutlich auseinander.
"Bei der CDU heißt innere Sicherheit mehr Polizei auf der Straße und für die Grünen mehr Rechte für den Bürger und weniger Kontrollrechte für den Staat." Wenn man die Programme nebeneinanderlege, seien die Überschneidungen zwischen SPD und CDU größer. Allerdings habe auch die SPD den Willen, eine rot-rot-grüne Koalition anzuführen.
Rechnerisch gibt es dafür eine Mehrheit, auch wenn die CDU es bei der Wiederholung der Abgeordnetenhauswahl am Sonntag vor einer Woche mit 28,2 Prozent auf Platz eins schaffte. SPD und Grüne erhielten jeweils 18,4 Prozent, wobei die Sozialdemokraten einen hauchdünnen Vorsprung haben. Die Linke erreichte 12,2 Prozent. Mit zusammen 49 Prozent könnten SPD, Grüne und Linke wie bisher eine Regierungskoalition bilden.
- Nachrichtenagentur dpa