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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Verheerende Waldbrände "Wer den Klimawandel leugnet, soll sich die verbrannte Erde ansehen"
Für die Menschen im brandenburgischen Treuenbrietzen war es ein Schock: 456 von ihnen mussten evakuiert werden, weil der Wald vor ihrer Haustür in Flammen stand. Wie gehen sie damit um, dass sie Haus und Hof jederzeit wieder verlieren könnten?
Michael Knape ist seit 2002 hauptamtlicher Bürgermeister von Treuenbrietzen, einer Gemeinde mit knapp 7.500 Bewohnern im Südwesten von Brandenburg, rund 50 Kilometer von Berlin entfernt. Am Wochenende stand hier der Wald in Flammen – schon wieder. Erst 2018 waren die Treuenbrietzener von einem Waldbrand betroffen gewesen.
Im Interview mit t-online erzählt Knape, welche Konsequenzen die Gemeinde aus dem ersten Waldbrand 2018 gezogen hat und warum sie lernen muss, mit der Waldbrandgefahr zu leben.
t-online: Herr Knape, auf einer Fläche so groß wie 200 Fußballfelder um Treuenbrietzen stand der Wald in Flammen. Auf Twitter schrieb jemand: "Meine Heimat brennt." Was dachten Sie, als Sie die Bilder gesehen haben?
Michael Knape: Es ist ein Déjà-vu-Erlebnis, weil es zu 75 Prozent die gleiche Fläche betrifft (wie beim Brand 2018, Anmerkung der Redaktion). Es ist ein sehr merkwürdiges Gefühl, dass man alles noch mal erlebt – wenn auch unter anderen Voraussetzungen. Wir sind jetzt an vielen Stellen besser aufgestellt. Aber die Situation ist, wie sie ist: Wind und Wetter kann man nicht beeinflussen.
Es ist schon der zweite Großbrand. Im August 2018 haben Sie das schon einmal erlebt, da waren 330 Hektar Wald abgebrannt. Sehen Sie sonst noch Parallelen?
Es brennt.
Der Waldbrandschutzbeauftragte des Landes Brandenburg sagt, die Ausbruchsorte liegen nur einen Kilometer auseinander.
Der Ausbruchsort ist fast identisch.
Im Internet behauptet der Meteorologe Jörg Kachelmann, Brandstiftung sei die Brandursache. Könnte das ein mögliches Indiz sein?
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Zur Brandursache kann man derzeit noch überhaupt nichts sagen. Fakt ist: Es betrifft eine munitionsbelastete Fläche. Wir gehen davon aus, dass der Brand durch die Munition, die dort noch liegt, und durch die Witterungsverhältnisse begünstigt wurde.
Das heißt, das Feuer entstand durch den Phosphor an Patronen, das sich bei Temperaturen ab 22 Grad selbst entzündet?
So etwas in der Art. Ich bin kein Fachmann. Wir haben uns da Rat von Experten geholt. Es ist auch nur eine erste Einschätzung. Aber die Wahrscheinlichkeit ist recht hoch. Herr Kachelmanns Tweet geht ja in eine ähnliche Richtung. Er schreibt, etwas zünde sich an.
Trifft Sie der Schock mit derselben Wucht, oder waren Sie diesmal in gewisser Weise darauf vorbereitet?
Vorbereitet ist man auf so eine Situation nie. Die Abläufe funktionierten besser.
Haben Sie jetzt einen Notfallplan?
Den hatten wir vorher schon. Es gibt ja für alles Notfallpläne. Aber noch mal: Wenn der Wind innerhalb von einer halben Stunde dreht, kann man das nicht üben. Wir haben die Wasserversorgung seit 2018 verbessert und neue Technik angeschafft.
Was nutzt Ihnen das, wenn Sie nicht wirklich dicht ans Feuer herangehen können?
Nichts. Wenn man nur von den Wegen aus löschen kann, kann man das Feuer mit dem Wasserstrahl nur da drin halten. Wir haben es mit der Natur zu tun. Zum Glück war die Fläche nicht so groß wie 2018. Wir haben massive Übergriffe über die Bundesstraße, wie wir sie 2018 erlebten, verhindern und den Brand zu 75 Prozent innerhalb der alten Fläche halten können.
Hat Sie der Regen am Ende gerettet?
Allen, die die Daumen gedrückt und zum Herrgott gebetet haben, dass der Regen kommen möge, denen sei gedankt.
Drei Ortschaften mussten am Sonntag evakuiert werden: Klausdorf, Frohnsdorf und Tiefenbrunnen. Wie viele Bewohner mussten ihre Häuser verlassen?
Es waren 375 Frohnsdorfer, 65 Klausdorfer und 16 Bewohner aus Tiefenbrunnen.
Auf Ihrer Homepage steht: "Das ist KEINE Übung!“ Kann es sein, dass nicht alle Bewohner ihr Haus freiwillig verlassen haben?
Nein, das haben wir geschrieben, damit die Leute den Ernst der Lage erkennen. Es finden ja immer wieder bestimmte Übungen statt. Diesmal konnten wir die Leute zum Glück vorwarnen. Sie hatten mehr Zeit als fünf Minuten, um ihre Sachen zusammenzupacken.
Was muss man bei so einer Evakuierung mitnehmen?
Ich hab da keine Empfehlungen. Es geht einmal um Sachen des täglichen Bedarfs und der Hygiene. Den Rest muss jeder selbst bestimmen. Für den einen sind es Fotos der Familie, für den anderen das Kuscheltier oder Versicherungsunterlagen. Sie wissen ja nicht: Komme ich in mein Haus zurück?
Sind ältere Leute damit nicht überfordert?
Nein, das hat sehr gut funktioniert. Die Leute waren sehr diszipliniert und die Hilfsbereitschaft untereinander riesig.
Aber man hat auch von Leuten gelesen, die nicht freiwillig gehen wollten.
Auch diese Menschen haben aus dem Fenster geguckt und 900 Meter weiter die Flammen gesehen. Man musste die am Ende nicht überzeugen.
Brandenburg ist Hochrisikogebiet für Waldbrände. Dazu kommen die Munitionsreste im Erdboden. Leben Sie auf einer tickenden Zeitbombe?
Wir leben seit dem Zweiten Weltkrieg mit dieser Gefahr.
Was macht es mit den Bewohnern, wenn sie in der ständigen Angst leben, sie könnten Haus und Hof jederzeit verlieren?
Das müssen Sie die Anwohner fragen.
Sie selbst betrifft es gar nicht?
Ich wohne zum Glück in der Kernstadt, das ist weit genug weg. Aber natürlich war auch ich ab Freitag, 16 Uhr, immer vor Ort. Die Gefahr ist immer da. Man hofft, dass der Ernstfall nicht eintritt. Aber keiner konnte sich nach 2018 vorstellen, dass es uns in so kurzer Zeit schon wieder trifft. Man fragt sich: warum?
Hatten Sie eigentlich auch Seelsorger im Einsatz?
Ja, diesmal waren sie gleich vor Ort. Die größte Seelsorge war aber die Hilfsbereitschaft untereinander. In der Stadthalle haben nur sieben Leute geschlafen. Alle anderen kamen bei Verwandten, Freunden und hilfsbereiten Leuten unter.
Ist Brandenburg ein Opfer des Klimawandels?
Wir sind davon betroffen und müssen uns darauf einrichten, dass wir es immer wieder mit extremen Situationen zu tun haben. Diejenigen, die den Klimawandel leugnen, sollen sich die verbrannte Erde dort einfach mal ansehen. Gestern hatten wir 38 Grad, heute brauchte ich eine Jacke, weil es nur 17 Grad waren. Für morgen sind wieder über 30 Grad angesagt. Diese Schwankungen werden keine Ausnahme bleiben.
Die Gemeinde will jetzt neue Konzepte zur Waldbewirtschaftung diskutieren und ihre Kommunikation im Krisenfall verbessern. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) hat Hilfe vom Bund bei der Munitionsbeseitigung gefordert. Alles für sich wichtige Maßnahmen. Aber an den Ursachen für den Klimawandel kann die Gemeinde nichts ändern.
Nein, jeder kann nur persönlich überlegen: Kann ich persönlich etwas gegen den Klimawandel tun? Aber das ist ein Langstreckenlauf.
Vielen Dank für das Gespräch!
- Interview mit Michael Knape