Raubtiere ohne Scheu Wölfe streunen durch Wohngebiete
Der Wolf kehrt zurück - etwa 25 Rudel mit insgesamt rund 200 Tieren gibt es derzeit in Deutschland. Bislang wurde diese Wiederansiedlung als Beweis für gelungenen Naturschutz gefeiert. Doch einige Wölfe benehmen sich nicht so wie erwartet: Sie tauchten schon mehrfach in Wohnsiedlungen auf und bei Begegnungen mit Menschen kamen sie neugierig näher anstatt Reißaus zu nehmen.
"Es gibt mehr Wölfe, die nur eine geringe Scheu vor Menschen haben", sagt der Forstwissenschaftler Norman Stier. "Bei Tieren ohne diese Scheu können leichter kniffelige Situationen entstehen."
Neugierig durch Wohngebiet getrabt
Zuletzt war ein Wolf im niedersächsischen Wildeshausen durch eine Wohnsiedlung gestreunt. Unbekümmert trabte er durch die Kleinstadt und ließ sich von den Anwohnern fotografieren. "Er lief vor uns her und dann rechts die Böschung herunter", schilderte eine Frau ihr Aufeinandertreffen mit Tier. Zunächst verschwand der Wolf hinter Büschen. Später sei das Tier in Richtung einer Bushaltestelle gelaufen, dann aber umgedreht, als es dort einen Radfahrer stehen sah.
Auch in Goldenstedt bei Vechta ist die Stimmung derzeit etwas angespannt, seit eine Frau einen Wolf in der Nähe eines Waldkindergartens entdeckte. Die Eltern fühlen sich unwohl, einen Wolf in der direkten Nachbarschaft will dort niemand haben. Zu Recht, denn der Wolf ist kein Kuscheltier, er ist ein Raubtier.
Jungtiere suchen neue Reviere
Experten des Deutschen Jagdverbands sind davon überzeugt, dass solche Begegnungen von Wolf und Mensch in nächster Zeit eher noch zunehmen werden. Denn bevor im Mai die neue Welpen zur Welt kommen, werden im Frühjahr die jungen, fast einjährigen Wölfe aus dem Vorjahr aus ihrem Rudel vertrieben. Sie streifen umher und suchen nach neuen Revieren.
Deutschland erweist sich für sie als eine Art Schlaraffenland: Durch die intensive Landwirtschaft ist das Wild bestens gemästet, das Raubtier findet reiche Beute. Und weil die Wölfe hier unter strengem Schutz stehen, droht ihnen kaum Gefahr. Sie machen keine negativen Erfahrungen mit Menschen - und kommen bis in die Wohngebiete.
Gewöhnung an Menschen vermeiden
Der Wolf, der momentan durch Niedersachsen streift, ist bislang noch nicht durch aggressives Verhalten aufgefallen. Dennoch rät der Forstexperte Stier zum Handeln: "Die Tiere müssen schlechte Erfahrungen machen und dürfen sich nicht an den Menschen gewöhnen", sagt er.
Eine Sichtweise, die vom Umweltministerium in Hannover geteilt wird: Der gesichtete verhaltensauffällige Wolf soll mit Gummigeschossen verscheucht oder mit einem Betäubungsgewehr gestoppt werden. Falls das Jungtier Menschen bedrohe, dürfe es auch erschossen werden. Die Aufgabe solle nicht von Jägern, sondern von Tierärzten oder speziell ausgebildeten Polizeibeamten übernommen werden, heißt es.
Keine reale Gefahr durch den Wolf
In den letzten zwei Jahren hat sich die Zahl der Wölfe in Deutschland fast verdoppelt. Die Tiere beanspruchen große Gebiete für sich. Gerade junge Rüden kundschaften deshalb ihre Umgebung aus. In den betroffenen Regionen führt jede Sichtung zu sehr emotionalen Diskussionen. "Wer will denn die Verantwortung übernehmen, wenn wirklich ein Kind angefallen wird?", fragt beispielsweise der Bürgermeister von Goldenstedt, Willibald Meyer.
Nüchtern betrachtet ist die Gefahr vom Wolf getötet zu werden aber vergleichsweise gering. In den vergangen 50 Jahren sind in ganz Europa gerade einmal neun Personen durch einen Wolf zu Schaden gekommen. Der letzte Fall war 1970, damals starb in Spanien ein Kind.
Doch solche Hinweise werden bei den erhitzten Debatten häufig ignoriert. Wissenschaftler Stier stellt daher fest: "Die Tiere haben bei uns nur eine Chance, wenn sie auch breite Akzeptanz finden."