Impferfolge "im echten Leben" Corona-Modell-Land Israel
Tel Aviv (dpa) - Israel hat pro Kopf betrachtet deutlich höhere Corona-Infektionszahlen als Deutschland. Dennoch steht in dem Land mit seinen rund neun Millionen Einwohnern nur eine Verlängerung des Lockdowns um eine Woche im Raum. Der Grund: Die rasante Impfkampagne zeigt ermutigende Signale.
Als erster Israeli war Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am 19. Dezember geimpft worden. Binnen eines Monats gelang es, ein Viertel der Bevölkerung zu impfen. Experten führen dies unter anderem auf das digitalisierte Gesundheitssystem zurück. Daneben sicherte sich die Regierung frühzeitig eine große Menge des Impfstoffes der Hersteller Biontech und Pfizer. Erreicht wurde dies in zahlreichen Telefonaten Netanjahus mit dem Pfizer-Chef, wie der Regierungschef immer wieder betont. Ende März wird in Israel gewählt.
Berichten zufolge zahlt das Land für den Impfstoff mehr als üblich, doch die Basis für die Impfkampagne ist dadurch gelegt. Deren Erfolg - pro Kopf betrachtet impft kein Land schneller - veranlasst die Firma zu einer Kooperation mit dem Land. Der Deal lautet verkürzt: Impfstoff für Daten. Zu Jahresbeginn verkündet Netanjahu, es würden in den kommenden Wochen genügend Dosen geliefert, um allen Willigen ab 16 Jahren bis Ende März eine Impfung anzubieten. Damit einher geht die Beobachtung der Wirksamkeit des noch jungen Präparates unter Realbedingungen.
Erste vorläufige Ergebnisse machen Mut: Clalit, eine der größten Krankenkassen im Land, hat eine Gruppe von 200 000 Geimpften im Alter über 60 mit einer gleich großen Gruppe Nicht-Geimpfter verglichen. Demnach war die Zahl der Infizierten in der geimpften Gruppe bereits zwei Wochen nach der ersten Dosis um 33 Prozent niedriger als in der nicht-geimpften Gruppe.
Der Chief Medical Officer von Clalit, Ran Balicer, spricht von einem "ermutigenden Ergebnis, das zeigt, dass der Impfstoff auch bei älteren Menschen wirksam ist". Er rechne daher damit, dass die Zahl der schwerkranken Corona-Patienten in Kürze sinken werde. Man habe keine speziellen Tests initiiert, sondern die Testgruppen nur "im echten Leben beobachtet", erklärt er. Die Ergebnisse betreffen Menschen beider Gruppen, die aus verschiedenen Gründen Corona-Tests machen mussten.
Andere Untersuchungen hatten sogar noch bessere Ergebnisse: Die Krankenkasse Maccabi berichtete von 60 Prozent weniger Infektionen zwei Wochen nach der ersten Dosis, eine ranghohe Mitarbeiterin des Gesundheitsministeriums sprach von 50 Prozent weniger positiven Testergebnissen nach diesem Zeitraum. Außerdem berichten die Krankenkassen in Israel von überwiegend milden Nebenwirkungen.
In der Zusammenarbeit mit Pfizer diene Israel als "Modell-Land", sagt der israelische Epidemiologe Nadav Davidovitch vergangene Woche in einer Online-Konferenz zur Pandemie-Bekämpfung in Israel, Deutschland und Schweden. Er betont jedoch, die Impfkampagne mit dem Biontech-Pfizer-Impfstoff sei "kein Experiment". Israel unternehme gegenwärtig eine "Post Marketing Surveillance" (Überwachungsstudie nach Zulassung), "wie jedes andere Land auch". Es sei moralisch angemessen, die Impfinformationen mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und Pfizer zu teilen.
Nach Angaben des Unternehmens ermöglichen es die Daten, den Verlauf der Pandemie bei unterschiedlichen Impfraten längerfristig zu beobachten. So lasse sich auch erkunden, ob eine mögliche Abnahme der Fall- und Totenzahlen allein einem Impfschutz oder beidem - direktem Schutz und Herdenimmunität - zugeschrieben werden kann. Pfizer betont, die Erkenntnisse seien weltweit anwendbar und könnten Regierungen dabei helfen, die Pandemie endgültig zu besiegen.
Israels renommiertes Demokratie-Institut (IDI) kritisierte die Vereinbarung. Institutsmitglied Tehilla Shwartz Altshuler monierte etwa, man hätte die Zustimmung der Israelis einholen müssen, um deren Gesundheitsdaten verwenden zu dürfen. Der Epidemiologe Davidovitch wehrte sich gegen Vorhaltungen. "Leute werfen uns vor, wir wollten die Informationen verkaufen, aber das stimmt nicht", sagt der Forscher. "Wir haben die Verantwortung - wie Deutschland, so wie andere Länder - die Daten zu teilen, etwa über Nebenwirkungen."
Ein Ansatz, den Lothar Wieler teilt. Deutschland unterhalte in der Krise enge Verbindungen mit Israel, sagt der Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI) in der Online-Konferenz. "Während der gesamten Pandemie haben wir jederzeit unsere Ansichten ausgetauscht, damit wir voneinander lernen können. Wir müssen unsere Ideen mitteilen und uns darüber austauschen."
Gelegenheit zum Austausch haben am kommenden Donnerstag die europäischen Staats- und Regierungschefs. Dann wollen sie über eine Impfstrategie beraten. Mit Israel als Vorbild?