Genetiker auf Spurensuche Irland vor 5000 Jahren: Monumentalgräber und Inzest-Dynastie
Dublin (dpa) - Monumentale Grabanlagen und Inzest zwischen engsten Verwandten der Elite: Schon vor 5000 Jahren dominierten auf der irischen Insel offenbar Dynastien, wie sie von ägyptischen Pharaonen und den Gottkönigen der Inka bekannt sind.
Eine Genstudie rekonstruiert im Fachblatt "Nature", wie diese Machtstrukturen entstanden - und liefert den mit Abstand frühesten Nachweis für das Down-Syndrom. Zudem deutet sie darauf hin, dass ein irischer Mythos auf Jahrtausende alten tatsächlichen Begebenheiten basieren könnte.
Irland birgt Hunderte große Grabanlagen - sogenannte Passage Tombs, bei denen unter großen aufgeschütteten und in Randsteine gefassten Erdhügeln lange Gänge in Grabkammern führen. Die Anlagen stammen aus dem 4. Jahrtausend vor Christus und sind damit älter als etwa die ägyptischen Pyramiden von Gizeh.
Am berühmtesten ist das zwischen 3200 und 3000 vor Christus erbaute Newgrange im Osten der Insel nördlich von Dublin, das zum Unesco-Weltkulturerbe zählt. Die Grabanlage mit einem Durchmesser von etwa 90 Metern ist so ausgerichtet, dass das Licht zur Wintersonnenwende bei Sonnenaufgang durch den gut 20 Meter langen Gang bis in das innere Kammergewölbe mit dem Altar fällt. Newgrange ist etwa 500 Jahre älter als das englische Stonehenge.
Über die Erbauer der Anlagen war bislang wenig bekannt. Nun analysierte das Team um den Genetiker Daniel Bradley vom Trinity College Dublin die Genome von 42 Menschen dieser Zeit aus verschiedenen Gräbern und sowie von zwei Bewohnern der Insel vor jener Epoche.
Die Resultate zeigen, dass in diversen Großgräbern aus verschiedenen Regionen der Insel - etwa neben Newgrange auch in Carrowkeel und Carrowmore im Nordwesten - miteinander teils entfernt verwandte Menschen bestattet sind. "Das sieht nach einer mächtigen, verzweigten Verwandtschaftsgruppe aus, die über mindestens ein halbes Jahrtausend Zugang zu Grabanlagen der Elite in vielen Regionen der Insel hatte", wird Erstautorin Lara Cassidy in einer Mitteilung des Trinity College zitiert.
Besonders aufschlussreich ist ein in Newgrange bestattetes Mitglied dieser Gruppe: Die Eltern des Mannes waren Verwandte ersten Grades - also entweder Geschwister oder Eltern und direkte Nachkommen. Solche Inzest-Verbindungen sind nahezu weltweit tabuisiert - außer in bestimmten Herrscherdynastien, die so ihren familiären Machtanspruch sicherten. Ähnliche - allerdings jüngere - Beispiele gibt es aus dem Alten Ägypten und von den Inkas.
"Das Prestige dieser Bestattungsform spricht für eine extreme Hierarchie, in der die einzigen würdigen Partner der Elite Familienmitglieder waren", erläutert Studienleiter Bradley. Isotop-Analysen der menschlichen Relikte zeigen, dass die in diesen Gräbern beigesetzten Menschen viel Fleisch und tierische Produkte aßen, was die Forscher als weiteren Beleg für ihren Wohlstand deuten.
Kurioserweise passt der Inzest-Befund aus Newgrange zu einem aus dem 11. Jahrhundert überlieferten Mythos: Demzufolge sicherte der königliche Erbauer der benachbarten Grabanlage Dowth den täglichen Sonnenkreislauf durch Inzest mit seiner Schwester. Diese Parallele zu dem Studienbefund werfe die Frage auf, ob mündliche Überlieferungen vier Jahrtausende überdauern könnten, schreibt das Team.
Zudem findet die Studie bei einem Jungen aus dem Megalith-Grab Poulnabrone im Westen der Insel den mit Abstand frühesten Nachweis für das Down-Syndrom, die Trisomie 21. Dieses Grab ist etwa 5500 Jahre alt und damit den Forschern zufolge etwa 4000 Jahre älter als der bislang früheste Trisomie-21-Beleg.
Insgesamt schließen die Forscher aus ihren Daten, dass die frühe Bevölkerung der Insel, die vom Jagen und Sammeln lebte, von einer vor etwa 6000 Jahren eingetroffenen Bauernpopulation fast vollständig verdrängt wurde. Mit diesen Neuankömmlingen entstand im Lauf der folgenden Jahrhunderte jene hierarchische Gesellschaftsform, von der die großen Grabanlagen zeugen.
In einem "Nature"-Kommentar schreibt Alison Sheridan von den National Museums Scotland in Edinburgh von einer bahnbrechenden Studie mit spektakulären Resultaten. Die Wintersonnenwende sei für die frühen Bauern ein entscheidendes Datum gewesen. Wahrscheinlich seien Inselbewohner vor 5000 Jahren von nah und fern zur Feier der Wintersonnenwende angereist. Die Studie habe weitreichende Konsequenzen für das Verständnis früher Gesellschaften, betont Sheridan.