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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Hundertjähriger Krieg Für ihre größte Feindin bezahlten die Engländer ein Vermögen
Englands Soldaten trieben Frankreich in die Enge, dann wendete sich das Kriegsglück. Jeanne d'Arc hörte erst Stimmen, dann ritt sie in den Kampf. Eine neue Biographie blickt hinter den Mythos.
Wir befinden uns im Jahre 1429 nach Christus. Ganz Frankreich ist von den Engländern besetzt ... ganz Frankreich? Nein! Aber dennoch stehen weite Teile im Norden mitsamt Paris unter Fremdherrschaft, die Lage scheint hoffnungslos.
Allerdings nicht vollkommen. Im Dorf Domrémy in Lothringen machte sich Ende 1428 ein Bauernmädchen namens Jeanne d'Arc auf den Weg, ihr Ziel war Chinon unweit der Loire. Karl VII., Thronfolger Frankreichs, weilte zu dieser Zeit an diesem Ort, unwissend, wie lange er angesichts des Verlaufs des Hundertjährigen Krieges zwischen England und Frankreich überhaupt noch etwas zu beherrschen hätte.
Von himmlischen Stimmen geleitet
Jeanne d'Arc konnte weder Lesen noch Schreiben, das musste sie auch gar nicht. Denn sie wähnte die Mächte des Himmels auf ihrer Seite. Die um 1412 geborene Jeanne hörte nach eigenen Angaben Stimmen, seit sie 13 Jahre alt war. Der heilige Michael, begleitet von Engeln, spräche etwa zu ihr, schließlich gaben ihr die Stimmen auch eine Mission auf. Die Rettung Frankreichs, so lässt es sich zusammenfassen.
Wer aber war diese Jeanne d'Arc, jung und ungebildet, tiefreligiös und charismatisch, die gewissermaßen aus dem Nichts kam und trotzdem den Verlauf eines ganzen Kriegs verändern sollte? Der Historiker Gerd Krumeich beschreibt in seiner Biographie den Lebensweg Jeanne d'Arcs, nah an den vorhandenen Quellen, umsichtig im Urteil. Vor allem aber entzaubert Krumeich die Mythen um die Jungfrau von Orléans, die sie zum Spielball der Nachwelt gemacht haben.
Orléans ist eben der Ort, an dem die Legende der Jeanne d'Arc ihren ersten Höhepunkt feierte. 1429 war die belagerte französische Stadt an der Loire für Engländer und die mit ihnen verbündeten Burgunder der Schlüssel zur Beherrschung Frankreichs. Das Glück war den Soldaten von jenseits des Ärmelkanals im seit 1337 wütenden Hundertjährigen Krieg immer wieder hold gewesen, 1415 hatten die Franzosen in der Schlacht von Azincourt eine vernichtende Niederlage erlitten.
"Wie ein Engel Gottes"
Frankreich und Orléans brauchten dringend ein Wunder – das in Gestalt von Jeanne d'Arc auch erschien. Was den Feinden blühen sollte, hatte sie bereits im sogenannten Engländerbrief verkündet: "Ich bin von Gott, dem König des Himmels, hierher gesandt, um Euch, Mann für Mann, aus Frankreich hinauszuschlagen." Als "wenn sie ein Engel Gottes wäre", wurde die Jungfrau schließlich von den Bürgern Orléans' erwartet. Und Jeanne d'Arc hielt Wort.
Nach erbitterten Kämpfen, bei der die Jungfrau von Orléans auch in erster Reihe gekämpft hatte, brachen die englischen Truppen letztlich die Belagerung von Orléans ab. Ganz Frankreich war erleichtert. Nicht zuletzt Karl VII.
Warum aber setzte der Herrscher, Abkömmling der Dynastie der Valois, sein Vertrauen auf die Bauerntochter Jeanne aus Lothringen? Warum nicht, lässt sich umgekehrt nach der Lektüre von Krumeichs Buch fragen. Karl VII. hatte wenig zu verlieren, aber alles zu gewinnen angesichts seiner Situation. Zumal die Symbolkraft und die Faszination, die Jeanne d'Arc auf die Menschen ausübte, durchaus eine schwer zu ignorierende Tatsache war.
Denn die Menschen des Spätmittelalters waren sehr fromm, auch überzeugt, dass göttliche Kräfte auf das Leben der Menschen Einfluss nahmen. Oder, wie es Krumeich schreibt, "dass Gott im strengen Sinn allgegenwärtig ist und dass er, der alles kann, jederzeit fähig ist, etwa eine Eiche mit einem Schilfhalm zu kappen, wenn er denn so will." Dass jemand die Gabe eines Sehers und Propheten besaß, gar Werkzeug zur Erfüllung des himmlischen Willens wurde, war in der Vorstellung der Zeit keinesfalls abwegig. Auch nicht in der Jeanne d'Arcs. Den Hang mancher Publikationen, der Jungfrau von Orléans Halluzinationen zu unterstellen, weist Biograf Krumeich als Spekulation zurück.
"Gott schickt mich zu Dir"
Gleichwohl war Karl VII. nicht arglos, ließ Jeanne immer wieder hinsichtlich der Stimmen befragen; und ihre Jungfräulichkeit prüfen. Nicht zuletzt, gefiel Karl VII. auch durchaus, was Jeanne d'Arc ihm erzählte: "Gott schickt mich zu Dir, um Dich nach Reims zu geleiten, wo Du die Krone und die Salbung erhalten wirst."
Denn darin bestand tatsächlich das Hauptproblem des Dauphin, wie der französische Thronfolger genannte wurde. Er war weder als Herrscher gesalbt noch gekrönt, was einen einfachen Grund hatte: Reims in der Champagne, wo die Zeremonie durchgeführt werden musste, befand sich in feindlicher Hand. Die durch Jeanne d'Arc entfachte Mischung aus religiöser und nationaler Begeisterung führte letztlich nach zahlreichen Kämpfen doch dazu, dass Karl VII. sein großes Ziel erreichte. Am 17. Juli 1429 wurde er in der Kathedrale von Reims zum König gekrönt.
Er dankte es der Frau, die ihm diesen Triumph ermöglicht hatte, schlecht. Am 23. Mai 1430 wurde Jeanne d'Arc bei Compiègne von Soldaten Burgunds gefangengenommen. Was tat Karl VII. zur Befreiung seiner wichtigsten Verbündeten? Nichts. Die Engländer wurden hingegen sehr wohl aktiv, angesichts der Möglichkeit, ihrer Nemesis habhaft zu werden. 10.000 Francs ließen sie sich die Übergabe von Jeanne d'Arc kosten.
Lebendig verbrannt
Ein Inquisitionsprozess folgte, am Ende wurde die Jungfrau von Orléans am 31. Mai 1431 in Rouen in der Normandie verbrannt. Denn England war sehr daran gelegen, Jeanne d'Arcs Eingebungen in Form der Stimmen, eher mit dem Satan als dem Himmel in Verbindung zu bringen. Denn welcher christliche Soldat, ob Engländer oder Franzose, wollte gegen Gott zu Felde ziehen?
Nach Jeanne d'Arcs Tod begann ein Nachleben. 1456 wurde sie in einem weiteren Prozess rehabilitiert, 1909 von der Katholischen Kirche selig, später dann heilig gesprochen. Überaus populär war sie zuvor schon im 19. Jahrhundert geworden. Woran ein deutscher Dichter namens Friedrich Schiller nicht unschuldig ist. Sein Stück "Die Jungfrau von Orleans" von 1801 wurde insbesondere in Frankreich äußerst beliebt.
In den nächsten Jahrzehnten wurde sie so Symbolfigur der nationalen Befreiung wie des Katholizismus zugleich. Im später laizistischen Frankreich eine nicht einfache Kombination. Und auch der ganz weit rechts angesiedelte Front National, heute Rassemblement National, konnte seine Finger nicht von Jeanne d'Arc lassen. Und versuchte sie seit den 1980er Jahren für seine Zwecke zu instrumentalisieren. Da hat die Jungfrau von Orléans besseres verdient.
Korrektur: In einer vorherigen Version hieß es, die französischen Truppen hätten die Belagerung von Orléans abgebrochen. Es waren aber selbstverständlich die englischen. Wir haben den Fehler korrigiert und bitten um Entschuldigung.
- Eigene Recherchen
- Gerd Krumeich: Jeanne d'Arc. Seherin, Kriegerin, Heilige, München 2021