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Corona-Pandemie und die Spanische Grippe 1918: Was wir lernen müssen


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Spanische Grippe 1918
Welche Lektionen die Welt für Corona lernen muss

Von Marc von Lüpke

08.11.2020Lesedauer: 5 Min.
Kanadische Bauern mit Mundschutz 1918: Die Spanische Grippe erforderte ähnliche Maßnahmen wie das Coronavirus.Vergrößern des Bildes
Kanadische Bauern mit Mundschutz 1918: Die Spanische Grippe erforderte ähnliche Maßnahmen wie das Coronavirus. (Quelle: Dick Loek/imago-images-bilder)
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Die Spanische Grippe kostete Millionen Menschen das Leben, der Herbst 1918 war ihre tödlichste Phase. Welche Lehren können wir in Zeiten von Corona aus der Vergangenheit ziehen?

Kämpfen wollen sie, kämpfen gegen die Deutschen, als der Ozeangigant "Leviathan" am 29. September 1918 von New Jersey aus in See sticht. Sie, das sind Tausende amerikanische Soldaten, auf dem Weg nach Frankreich Richtung Front. Doch ihr Kampf beginnt viel früher, schon bald nach dem Ablegen. Männer sterben qualvoll, der Schrecken geht um.

Zu ihrem Entsetzen sind Besatzung und Soldaten hilflos, denn der Feind an Bord der "Leviathan" ist unsichtbar: Es ist ein Virus, winzig, aber tödlich. Die Decks sind übersät mit Kranken, der Boden ist blutverschmiert. Die Pflegerinnen können wenig tun, um das Leid der Erkrankten und Sterbenden zu mildern. "Das Stöhnen und Rufen der geängstigten Kranken mischte sich wirr mit Hilfeschreien", wird sich später ein Zeitzeuge erinnern, zitiert von der Autorin Laura Spinney in ihrem Standardwerk "1918. Die Welt im Fieber".

Als die "Leviathan" schließlich das französische Brest erreicht, sind 2.000 Männer schwer erkrankt, rund 90 sind bereits tot. Sie sind Opfer der Spanischen Grippe, genauer gesagt, der zweiten Welle dieser verheerenden Pandemie, die laut Schätzungen nahezu 50 Millionen Menschen das Leben gekostet hat, bis sie 1920 abklang.

"Einige wenige Stunden, bis der Tod kommt"

Fieber, Kopfschmerzen und Halsweh – mit diesen Symptomen hatte sich die Spanische Grippe im Frühjahr 1918 bemerkbar gemacht. Zu diesem Zeitpunkt sorgte sie für keinerlei besondere Befürchtungen, die Todesrate war nicht außergewöhnlich hoch für die alljährlich wiederkehrende Plage der Menschheit namens Influenza.

Nach dieser ersten Welle folgte dann im August 1918 allmählich die zweite, sie stieß auf eine Welt in Aufruhr. Es herrschte weiterhin Krieg, Millionen Menschen waren mobil, viele oft geschwächt von den Entbehrungen und Belastungen der Kriegsführung. Die zweite Welle kündigte sich mit den gleichen Symptomen wie die erste an: Ihr weiterer Verlauf war aber wesentlich tödlicher.

"Es dauert nur einige wenige Stunden, bis der Tod kommt", beschrieb der Mediziner Roy Grist das Geschehen in einem Ausbildungslager der US-Streitkräfte im September 1918. "Es ist ein einziger Kampf um Luft, bis sie ersticken. Es ist schrecklich." Als "heliotrope Zyanose" beschrieben weltweit Ärzte den furchterregendsten Effekt dieser Welle: Bald nach Ausbruch litten zahlreiche Erkrankte an schweren Problemen mit der Atmung. Von den Füßen und Händen beginnend wechselte die Körpferfarbe hin zum Korpus, immer dunkler wurden die Körper aufgrund von Sauerstoffmangel bis hin zu schwarz. Der Tod war in vielen Fällen die Folge.

Der tödlichste Monat?

Irgendwann zwischen der ersten und zweiten Welle war das Virus wahrscheinlich mutiert, es wurde tödlicher. Vor allem, und zwar zur Überraschung der Forscher, gerade für eine Bevölkerungsgruppe, der eher gute Überlebenschancen bei Krankheiten zugerechnet wurde: die 20-bis 40-Jährigen. Sie hatten im Gegensatz zu Älteren wahrscheinlich keinen ausreichenden Schutz durch frühere Infektionen, wie eine Vermutung lautet. Der November 1918 wurde so der wahrscheinlich tödlichste Monat der Spanischen Grippe in den USA, wie der Historiker Jim Harris schreibt.

Dazu trug Fahrlässigkeit und Unkenntnis bei, zwei Faktoren, die auch heute bei der Bekämpfung des Coronavirus gefährlich sind. In der Metropole Philadelphia etwa hatten die Verantwortlichen zunächst vieles richtig gemacht. Husten und Niesen, auch das Spucken, versuchten die Offiziellen in der Öffentlichkeit zu unterbinden. Genau richtig, um die Verbreitung des Erregers der Spanischen Grippe zu erschweren.

Doch dann geschah das Unglück. Am 28. September 1918 strömten zahlreiche Menschen zu einer großen Parade zusammen, beste Gelegenheit für das Virus, weitere Personen zu infizieren. Rund 200.000 Menschen hatten der Parade zugesehen, wenige Tage später kapitulierten die Krankenhäuser vor dem Ansturm an Kranken. Fast 50.000 Menschen waren binnen sieben Tagen infiziert, die Zahl der Toten schnellte nach oben.

Öffentliches Leben kommt zum Stillstand

So ist Philadelphia bis heute ein mahnendes Beispiel dafür, was es bedeutet, in einer Epidemie zu spät und zu unentschlossen zu handeln. Rund 748 Tote pro 100.000 Einwohner beklagte die Stadt nach 24 Wochen, wie National Geographic, basierend etwa auf Studien im Proceedings of the National Academy of Sciences, berichtet. In St. Louis im US-Bundesstaat Missouri waren es 358 Tote pro 100.000 Einwohner. Warum? Weil in der Stadt nicht nur schnell, sondern auch konsequent gehandelt worden ist.

Behörden legten das öffentliche Leben weitgehend still: Versammlungen? Abgesagt, die anstehende Parade, anders als in Philadelphia, sowieso. Schulen, Kneipen und andere Orte, an denen normalerweise viele Menschen zusammenkommen, wurden geschlossen.

Im Gegensatz zu anderen Städten ging die Zahl der mit der Grippe Infizierten folglich relativ langsam in die Höhe. Ärzte, Pflegepersonal und Klinken hatten mehr Zeit sich vorzubereiten, auch mehr Zeit, die geringere Anzahl an Erkrankten zu behandeln. Und damit Menschenleben zu retten. So wie New York, das 1918 ebenfalls zu radikalen Maßnahmen wie St. Louis griff. Und wo ebenso vergleichsweise wenige Menschen an der Spanischen Grippe starben.

Lehren aus der Vergangenheit

All diese Maßnahmen des lebensrettenden Social Distancing wurden ohne genaue Kenntnis um den exakten Erreger der Spanischen Grippe getroffen. Erst in den Dreißigerjahren wurde das schuldige Virus als solches erkannt. Jahrzehnte später ist die Menschheit bei der gerade herrschenden Corona-Pandemie in medizinischer und technischer Hinsicht weit besser gewappnet: So lassen sich mit modernen Beatmungsgeräten viele Menschen retten, die früher wahrscheinlich nicht überlebt hätten.

Und nicht zuletzt lassen sich anhand der zweiten Welle der Spanischen Grippe konkrete Lehren aus der Vergangenheit ziehen. So zeigt das Beispiel St. Louis zwei Dinge zugleich: Zum einen, dass frühzeitige, beherzte Maßnahmen tatsächlich dabei helfen, die Infektionskurve zu verflachen und damit Zeit zu gewinnen. Heute etwa für einen möglichen Impfstoff.

Zum anderen aber auch, dass die Maßnahmen nicht zu früh beendet werden dürfen. Denn als die Stadt am Mississippi 1918 nach gut acht Wochen optimistisch angesichts der wenigen Toten wieder zum normalen Leben überging, kehrte die Spanische Grippe nochmals zurück.

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Vor allem lehrt die Betrachtung der Spanischen Grippe, dass Geduld der Schlüssel zum Erfolg ist. Fast über den gesamten Erdball wütete die zweite Welle, Australien blieb aufgrund einer strengen Abschottung weitgehend verschont. Zunächst. Zu Beginn des Jahres 1919 wiegten sich die zuständigen Stellen in Sicherheit und lockerten die Maßnahmen. Doch ein Killer wie der Erreger der Spanischen Grippe vergibt keine Fehler. 12.000 Australier starben in der dritten Welle.

1920 ebbte die Spanische Grippe schließlich ab. Der Medizinhistoriker Philipp Osten resümierte im Gespräch mit t-online: "Die Überlebenden waren immun, die anderen tot."

Verwendete Quellen
  • Laura Spinney: 1918. Die Welt im Fieber, München 2018
  • CDC: 1918 Pandemic Influenza Historic Timeline
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