Die Nacht im Überblick Angriffe auf Charkiw – Selenskyj wartet auf EU-Geld
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj klagt über schleppende EU-Zahlungen. Im Osten gewinnen russische Einheiten weiter an Boden. Ein Überblick.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die verzögerte Auszahlung von EU-Finanzhilfen in Milliardenhöhe für sein Land beklagt. Er wolle nicht sagen, welches Land diesmal bremse, sagte er in einer Videoansprache in Kiew. Zuvor hatte aber der Vizechef seines Präsidialamtes, Ihor Schowkwa, Deutschland für die schleppende Auszahlung verantwortlich gemacht. Von neun Milliarden Euro Makrofinanzhilfe sei erst eine Milliarde gezahlt worden.
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Für Freitagmorgen wurde das Auslaufen von drei weiteren Schiffen mit Getreide aus ukrainischen Häfen erwartet. Sie haben zusammen rund 50.000 Tonnen Mais an Bord, wie Infrastrukturminister Olexander Kubrakow mitteilte. Aus dem Donbass wurden heftige Kämpfe gemeldet, bei denen die russischen Truppen allem Anschein nach Geländegewinne erzielten. Die ostukrainische Großstadt Charkiw wurde von Artillerie beschossen.
Ebenfalls am Freitag wollen sich die Präsidenten Russlands und der Türkei, Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdoğan, in der russischen Schwarzmeerstadt Sotschi treffen.
Wer verschleppt die Auszahlung der EU-Hilfe?
Bei den EU-Hilfen gebe es eine "künstliche Verzögerung", die entweder ein Verbrechen oder ein Fehler sei, sagte Selenskyj am Donnerstagabend. Jeden Tag erinnere er EU-Politiker daran, dass ukrainische Rentner, Flüchtlinge, Lehrer und andere auf Zahlungen aus dem Haushalt angewiesen seien. Sie dürften nicht zu Geiseln von "Unentschlossenheit oder Bürokratie" in der EU werden.
Das Bundesfinanzministerium hatte schon nach Schowkwas Äußerungen den Vorwurf zurückgewiesen, Deutschland bremse bei der Auszahlung. Nach Angaben der EU-Kommission sind für die ausstehende Summe möglicherweise Garantien von Mitgliedsstaaten nötig, weil eine Absicherung über den EU-Haushalt nicht möglich ist.
Heftige Kämpfe im Osten
Im ostukrainischen Gebiet Donezk gab es weiter intensive Kämpfe bei den Städten Bachmut und Awdijiwka. Nordöstlich und östlich der Nachbarstädte Soledar und Bachmut seien am Donnerstag russische Angriffe abgewehrt worden, teilte der ukrainische Generalstab in Kiew mit. Südlich von Bachmut dauerten die Kämpfe an. Zuvor hatte Brigadegeneral Olexij Hromow eingeräumt, dass sich ukrainische Truppen dort aus dem Dorf Semyhirja zurückziehen mussten.
Fortgesetzte Kämpfe gebe es auch bei der Industriestadt Awdijiwka, hieß es in dem Bericht. Hromow zufolge wurden südöstlich von Awdijiwka Positionen aufgegeben. Die Ukraine wehrt seit dem 24. Februar eine russische Invasion ab. Die russischen Truppen haben seitdem große Teile der Ost- und Südukraine erobert.
Die ostukrainische Großstadt Charkiw wurde nach Behördenangaben am Donnerstagabend von russischer Artillerie beschossen. Nach ersten Erkenntnissen seien drei Menschen verletzt worden, teilte Bürgermeister Ihor Terechow mit. Die ukrainische Armee hat russische Truppen zwar von der zweitgrößten Stadt des Landes abgedrängt; sie ist aber nicht ganz außer Reichweite der feindlichen Artillerie. In den von Russland eroberten Teilen des Gebiets Charkiw wurde eine russische Steuerverwaltung eingeführt, wie die Agentur Tass meldete.
Weitere Schiffe mit ukrainischem Getreide legen ab
Die mit Mais beladenen Frachter "Navi Star", "Rojen" und "Polarnet" sollten aus den ukrainischen Häfen Tschornomorsk und Odessa auslaufen. Genannt wurden Zeiten zwischen 4 und 7 Uhr MESZ.
Agrarexporte über die ukrainischen Schwarzmeerhäfen waren wegen des russischen Angriffskrieges monatelang blockiert gewesen. Am 22. Juli unterzeichneten die Kriegsgegner Ukraine und Russland unter UN-Vermittlung jeweils getrennt mit der Türkei ein Abkommen, um Getreideausfuhren aus der Ukraine wieder zu ermöglichen.
Ein Koordinierungszentrum in Istanbul ist mit Vertretern der vier Parteien besetzt. Die Inspektionen sollen unter anderem sicherstellen, dass Schiffe keine Waffen geladen haben. Am Montag hatte als erstes Schiff seit Kriegsbeginn ein mit 26.000 Tonnen Mais beladener Frachter den ukrainischen Hafen Odessa verlassen. Die "Razoni" soll am Sonntag im Libanon ankommen.
Das wird am Freitag wichtig
Wenn Putin und Erdoğan sich in Sotschi treffen, wird es neben dem Krieg in der Ukraine auch um die Lage in Syrien gehen. Die Türkei plant eine neue Offensive im Norden Syriens, Moskau hat zuletzt deutlich davon abgeraten.
Ankara pflegt sowohl zu Kiew wie zu Moskau enge Beziehungen und sieht sich als Vermittler. Zugleich ist die Türkei das Schlüsselland beim Nato-Beitritt von Schweden und Finnland. Die zwei nordischen Länder wollen wegen der russischen Aggression gegen die Ukraine ihre Neutralität aufgeben und dem westlichen Bündnis beitreten. Die meisten Nato-Länder haben bereits zugestimmt. Nur die Türkei hatte anfangs Vorbehalte, ihre endgültige Zustimmung steht noch aus.
- Nachrichtenagentur dpa