Die subjektive Sicht zweier Autoren auf ein Thema. Niemand muss diese Meinungen übernehmen, aber sie können zum Nachdenken anregen.
Streik mit Aktivismus? Ein Ausdruck purer Verzweiflung
Es ist Freitag und Fridays for Future ist auf der Straße. Neu allerdings: mit der Gewerkschaft Verdi. In der Folge können wir alle nicht Bus fahren. Ergibt das Sinn? Ein Pro und Kontra.
Fridays for Future brachten immer wieder freitags Schülerinnen und Schüler auf die Straße, doch die Demonstrationslüste lagen irgendwann brach und inzwischen interessieren Demonstrationen gegen Rechtsextremismus mehr Menschen. Heute gibt es wieder Proteste – diesmal im öffentlichen Nahverkehr.
Denn die Bewegung Fridays for Future ruft heute zusammen mit der Gewerkschaft Verdi zum Streik des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) auf. Carla Reemtsma, Mitbegründerin von Fridays for Future, erklärt im Interview mit t-online: "Klimaschutz geht nur mit einer echten Verkehrswende. Wir brauchen einen Ausbau des ÖPNVs, aber auch gute Jobs, denn gerade scheitert der Ausbau des ÖPNVs unter anderem daran, dass niemand mehr die Busse und Bahnen fahren möchte."
Wer instrumentalisiert hier eigentlich wen? Unsere Pro- und Kontra-Autoren fragen sich:
Ist es sinnvoll, dass sich Fridays for Future mit Verdi zusammentut?
Aber natürlich – die Klimakrise trifft uns alle!
"Klima-Extremisten", "Klima-RAF" oder einfach: "Terroristen". Wer sich aktuell in Deutschland für Klimagerechtigkeit starkmacht, der muss sich vieles anhören. Das sah vor einigen Jahren noch ganz anders aus, als sich Schülerinnen und Schüler jeden Freitag zum Klimastreik zusammenfanden. Als die Massenproteste abebbten, hatte ich die Bewegung Fridays for Future ehrlicherweise bereits abgeschrieben. Doch die Klimakrise ist aktueller denn je. Umso besser, dass die Aktivisten jetzt in die politische Praxis übergehen – das ist genau der richtige Schritt.
Die Klebe-Blockaden der "Letzten Generation" werden immer wieder scharf kritisiert. Und das vollkommen zu Recht – sie trafen die Falschen und waren destruktiv. Aber es braucht vor dem Hintergrund der Krise, die unser aller Existenz bedroht, dringend aufmerksamkeitsstarke Aktionen. "Ende Gelände" hat es mit Massenblockaden von Kohlekraftwerken vorgemacht – Protest mit Nachdruck bringt Menschen zum Nachdenken. Nur so baut sich Druck auf Politik und Wirtschaft auf, nur so entsteht gesellschaftlicher Wandel. Schützenhilfe für die Bediensteten im Nahverkehr ist genau die richtige Steigerungsform. Sich für die Angestellten starkzumachen, die in einem Schlüsselsektor auf dem Weg zur Klimaneutralität arbeiten und dort die meiste Arbeitslast zu tragen haben – das ist nicht nur taktisch klug, sondern muss die logische Konsequenz aus den Protestreden der zurückliegenden Jahrzehnte sein. Es ist an der Zeit, dass die Klimabewegung vom Reden ins Machen kommt, sonst ist sie ihrem sicheren Untergang geweiht. Dabei dürfen die Aktivisten allerdings nicht in puren Aktionismus verfallen, wie es die "Letzte Generation" anfangs tat. Der Schritt von Fridays for Future ist konstruktiver und geht in die richtige Richtung.
Wer in diesem Bündnis wen als Hebel nutzt, ist die falsche Frage. Sie entspringt der protokapitalistischen "Logik" des Marktes und dient, wenn überhaupt, nur dazu, die Seiten gegeneinander auszuspielen. Das schadet den Anliegen der Gewerkschaften wie denen der Klimaschützer.
Ein Blick zu unseren französischen Nachbarn zeigt, dass es auch anders geht. Sich in Massenstreiks für gesellschaftliche Forderungen einzusetzen, ist hier gesellschaftspolitischer Alltag – mit Erfolg, wie die Gelbwestenproteste anschaulich gezeigt haben. Natürlich sind die sogenannten Generalstreiks in Deutschland verboten. Aber ist nicht der Urgedanke von Protest, ein besseres Leben für alle zu erwirken, und das über alle Widerstände hinweg?
Nein, denn Gewerkschafter sind keine Klimaschützer
Auf den ersten Blick wirkt der Zusammenschluss von Verdi und Fridays for Future wie eine logische Allianz. Wenn mehr Menschen vom Auto auf Bus und Bahn umsteigen, ist das nicht nur gut fürs Klima, sondern auch für die Beschäftigten im öffentlichen Nahverkehr. Denn mit mehr Fahrgästen im Rücken können Letztere leichter Druck auf die Arbeitgeber machen, dann wirken Streiks stärker.
Doch wie bei allem lohnt auch in diesem Fall ein zweiter Blick. Und der zeigt: Hier kommen zwei ungleiche Partner zusammen. Genauer: Die Klimaaktivisten lassen sich vor den Karren der Gewerkschaftsinteressen spannen – und drohen damit am Ende zu den Verlierern zu werden.
Denn die Gewerkschafter, die Arbeitnehmervertreter in den Kontrollgremien kommunaler Verkehrsgesellschaften, sind nicht per se Klimaschützer. Ihnen geht es qua Funktion zuallererst um das Wohl ihrer Mitglieder und der Angestellten. Und nicht ums Weltklima. Sie kämpfen für mehr Lohn, bessere Arbeitsbedingungen, nicht zuletzt für die Existenz einzelner Jobs.
In der Praxis heißt das beispielsweise: Wollen die klammen Kommunen etwa Geld in klimafreundliche, aber teure E-Busse investieren, sind es häufig genug die Arbeitnehmervertreter, die dagegen Einspruch einlegen. Ihre Logik ist simpel: Oh, es ist noch extra Geld da? – Dann bitte her damit, das kann prima in ein größeres Lohnplus für die Angestellten fließen.
Und, um beim Beispiel E-Busse zu bleiben: Diese erfordern aufgrund ihrer Technik einen deutlichen geringeren Wartungsaufwand. Das heißt, in den Werkstätten der großen Verkehrsbetriebe werden mit ihrer Anschaffung perspektivisch weniger Mechaniker gebraucht. Auch das dürfte Verdi ein Dorn im Auge sein.
Wer im Bündnis Gewerkschafter-Klimaschützer der Koch und wer der Kellner ist, ist damit schnell geklärt. Dass sich Fridays for Future Verdi anschließt, um zwischen den anderen Klimaprotesten überhaupt noch Aufmerksamkeit zu bekommen, ist deshalb vor allem eines: ein Ausdruck purer Verzweiflung.
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