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Fall Tony Nicklinson: Zum Leben verurteilt


Fall Tony Nicklinson
Zum Leben verurteilt

spiegel-online, Von Anna-Lena Roth

Aktualisiert am 18.08.2012Lesedauer: 3 Min.
Tony Nicklinson will selbst über sein Leben und seinen Tod bestimmenVergrößern des Bildes
Tony Nicklinson will selbst über sein Leben und seinen Tod bestimmen (Quelle: dapd)
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Blinzeln ist die einzige Verbindung, die Tony Nicklinson zur Außenwelt hat. Der Brite lebt seit sieben Jahren mit dem Locked-in-Syndrom: Sein Körper ist gelähmt, sein Geist aber topfit. Vor dem Obersten Gerichtshof in London hat er für sein Recht auf den Tod gestritten - und verloren.

Tony Nicklinson darf nicht sterben. Seit Jahren kämpft der Brite für sein Recht auf den Tod. Vergebens. Am Donnerstag hat nun auch der Oberste Gerichtshof in London entschieden, dass der 58-Jährige weiterleben muss, dass ihm kein Arzt helfen darf, sein Leben zu beenden.

Bilder und Videoaufnahmen zeigen seine Reaktion nach dem Urteil: Nicklinsons Körper bebt, er schaukelt vor und zurück, gibt stöhnende, jaulende Laute von sich, die Tränen laufen, er scheint in sich zusammenzusacken.

Nicklinson leidet am Locked-in-Syndrom, er ist Gefangener seines eigenen Körpers: halsabwärts vollkommen gelähmt, geistig aber topfit. Der 58-Jährige kann nicht selbstständig essen, nicht reden - und sich nicht selbst umbringen. Er war Bauingenieur und Rugbyspieler, er liebte Bier, Whisky und Reisen, schreibt die Zeitung "The Independent". Während einer Geschäftsreise in Athen erlitt er im Juni 2005 einen Schlaganfall. Seitdem sitzt er im Rollstuhl und íst permanent auf Hilfe angewiesen.

Die einzige Art, mit der Außenwelt in Kontakt zu treten, sind seine Augen. Sie nutzt Nicklinson, um mit seiner Frau zu kommunizieren und um mithilfe einer Computersoftware Wörter und kurze Texte entstehen zu lassen. Er schreibt an seinen Memoiren und twittert seit dem 13. Juni regelmäßig. Für Texte, die andere in 20 Minuten schaffen, braucht er eigenen Angaben zufolge drei Stunden.

Nicklinson schreibt über seinen Alltag, über Interviews mit Journalisten und über seine Familie: Ehefrau Jane und seine Töchter Beth und Lauren unterstützen ihn in seinem Vorhaben. Der Brite twittert aber auch über Banales: Er schreibt über die Blähungen seines Hundes, macht Witze über Nonnen und Huren.

In den Unterlagen des Londoner Gerichts ist Nicklinsons Leben auf wenigen Seiten zusammengefasst. Er selbst bezeichnet es demnach als "langweilig, miserabel, erniedrigend, würdelos und unerträglich". Er bekomme nur püriertes Essen, Flüssigkeiten würden direkt in seinen Magen geleitet. Er huste oft, zudem müsse ihm regelmäßig der Speichel aus seinem Gesicht gewischt werden.

In einer E-Mail, die in den Unterlagen abgedruckt ist, bat Nicklinson die Richter eindringlich, ihn sterben zu lassen. Er ist dafür auf Unterstützung angewiesen, doch Sterbehilfe ist in Großbritannien grundsätzlich verboten. "Ich will mein Leben seit 2007 beenden, es ist also nicht bloß eine Laune", heißt es in der E-Mail. Eine Entscheidung gegen ihn würde ihn zu einem Leben in zunehmendem Elend verdammen, schrieb er.

Die Richter in London wehrten seine Klage dennoch ab, sie wollten sich nicht auf ein Grundsatzurteil einlassen. Trotz der "tragischen Lage" des 58-Jährigen könne die Justiz die Gesetzeslage nicht missachten, nach der jede "vorsätzliche Sterbehilfe ein Mord" sei, entschieden die Richter. Die Frage, die aufgeworfen wurde, sei zu wichtig, um in einem Gerichtssaal entschieden zu werden. Nur das Parlament als Vertretung des gesamten Volkes könne sie beantworten.

Betroffen von diesem Urteil ist neben Nicklinson auch ein Mann, den das Gericht "Martin" nennt. Auch der 47-Jährige erlitt einen Schlaganfall, auch er hat das Locked-in-Syndrom, auch er darf nicht sterben. Er war vor Gericht gezogen, damit ihn Freiwillige in die Dignitas-Klinik in der Schweiz bringen dürfen, ohne juristische Konsequenzen fürchten zu müssen. Er scheiterte ebenfalls. Nach dem Urteil ließ er über seinen Anwalt mitteilen, er sei nun "noch wütender und frustrierter".

Mit ihren Klagen hätten die Männer ein "zutiefst ethisches, moralisches, religiöses und soziales Thema" aufgebracht, heißt es in der Urteilsbegründung. Ihnen zu erlauben, sich beim Sterben helfen zu lassen, hätte jedoch weitreichende Konsequenzen über ihre konkreten Fälle hinaus, sagte Richter Roger Toulson.

Bis Ende des Jahres will Nicklinson Berufung gegen das Urteil einlegen, zitiert der "Guardian" seine Ehefrau Jane. Bis dahin heißt es für ihn: weitermachen. Sich um 8.30 Uhr aus dem Bett hieven lassen, sich waschen, anziehen und füttern lassen; vormittags schreiben, nachmittags fernsehen; sich um 22.30 Uhr ausziehen lassen, sich waschen und wieder ins Bett hieven lassen. Und sich in der Nacht zwischen drei- und viermal wenden lassen.

Nicklinson habe nun zwei Möglichkeiten, sagte seine Frau dem Zeitungsbericht zufolge. Er könne abwarten, was die Berufung bringe. Oder sich zu Tode hungern.

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