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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Nach dem Tod von Valeriia "Alle suchen besser als Deutschland"
Je schneller ein vermisstes Kind gefunden wird, desto größer ist die Chance, dass es lebend zu seiner Familie zurückkehrt. Moderne Medien können dabei helfen – allerdings nicht in Deutschland.
1996 wurde in den USA der sogenannte Amber-Alert entwickelt. Er hilft seither in vielen Ländern bei der Suche nach Vermissten – in Deutschland wird er jedoch nicht eingesetzt.
Das Alarmsystem war eine bittere Lehre aus dem Fall der entführten neunjährigen Amber Hagermann: Ein Nachbar hatte beobachtet, wie das Mädchen gegen seinen Willen in ein Auto wurde. Trotz intensiver Suche wurde das Kind erst vier Tage später tot aufgefunden. Der Täter ist bis heute flüchtig.
Alle Chancen zur Suche nutzen
Der Amber-Alert hat bis heute genau ein Ziel: Er soll die Suche nach entführten oder vermissten Kindern effektiver machen. Er funktioniert mittels einer Kooperation von Polizei, Rundfunkbetreibern und Telekommunikationsanbietern: Die Polizei löst Suchmeldungen über vermisste Kinder aus, Radiostationen und Verkehrsinformationstafeln verbreiten sie. Auch bei Facebook oder Google werden die Meldungen eingeblendet.
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Auch Handy-Warnsysteme, die etwa vor Unwettern warnen, werden verwendet, um Vermisstenmeldungen zu versenden. Je nach ermittlungstaktischer Überlegung kann dies regional begrenzt oder flächendeckend erfolgen.
Ob das System tatsächlich dazu beigetragen hat, mehr Kinder wieder aufzufinden, lässt sich bisher nicht eindeutig belegen. Das Amber-Alert-System wurde jedoch in vielen Ländern übernommen und ist in Teilen auch in die EU-Gesetzgebung eingeflossen: Suchmeldungen über Vermisste lassen sich laut dem Europäischen Institut für Telekommunikationsnormen über die "Cell Broadcast"-Warnungen versenden. Alle europäischen Länder haben dies übernommen – außer Deutschland.
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Nur Deutschland nutzt keine elektronische Unterstützung
Lars Bruhns von der privaten "Initiative vermisste Kinder" fordert seit Jahren die Einführung des Amber-Alerts für Deutschland. Die Initiative hat selbst Kooperationen mit digitalen Bildschirmsystemen organisiert, die auch für Warnmeldungen verwendet werden. Zudem lobbyiert sie bei Unternehmen wie Facebook oder Google, ob ein Warnsystem nicht auch für Deutschland installiert werden könnte.
Aber die Kooperation steht und fällt mit der Beteiligung der Sicherheitsbehörden. Diese müssten die Suchmeldungen auslösen, damit in den Fällen per Öffentlichkeitsfahndung gesucht wird. Doch bisher gab es bei den Sicherheitsbehörden kein Interesse, berichtet Bruhns. Er kommt zu dem Schluss: "Alle anderen Länder Europas suchen besser nach vermissten Kindern als Deutschland."
Warum liegt Deutschland so weit zurück?
Ein Grund für die Zurückhaltung der Sicherheitsbehörden sind Hoheitsfragen. So werden Vermisstenfälle zunächst auf Landesebene bearbeitet und erst nach einem Tag ans Bundeskriminalamt weitergeleitet. Und selbst dort gibt es keine Spezialeinheiten für Vermisstenfälle.
"Wir brauchen polizeiliche Experten, die auch unabhängig von Arbeitszeiten, etwa auch am Wochenende, helfen können", sagt Bruhns, "Spezialisten für die Suche im Wald, im Wasser, im Nahumfeld, bei Entführungsverdacht." Diese Experten könnten dann auch einschätzen, wann eine Öffentlichkeitsfahndung hilft oder zumindest nicht schadet. Doch auch diese Experten gibt es laut Bruhns nicht.
Die Suche ist nicht gezielt
Bisher ist die Situation in Deutschland so, dass die Polizei Vermisstenmeldungen teils selbst veröffentlicht. Hin und wieder werden diese in der Presse aufgegriffen, aber nicht immer. "Und so schön bundesweite Anteilnahme ist", sagt Lars Bruhns, "so wenig hilft sie oft den vermissten Kindern und den Ermittlern, weil die Ansprache nicht gezielt und lokal passiert."
Er möchte die Hoffnung nicht aufgeben, dass tragische Fälle wie der weiterhin verschwundene Arian oder die getötet aufgefundene Valeriia zu einem Umdenken führen: "Wenigstens das könnten wir den betroffenen Eltern zurückgeben: Dass wir die Maßnahmen verbessern, damit zukünftige Fälle glimpflicher ausgehen können." Es würde auch für das Sicherheitsgefühl von Eltern und Kindern einen Unterschied machen, sagt Bruhns.
2024 wurden 1.752 Kinder vermisst gemeldet
Auf Anfrage von t-online hat sich das Bundesinnenministerium bisher nicht zu der Frage geäußert, warum der Amber-Alert in Deutschland nicht eingeführt wird. Das Bundeskriminalamt (BKA) äußert sich ebenfalls nicht und verweist auf die Bearbeitungshoheit der Länder. Statistiken über vermisste Kinder führt das BKA allerdings. Die Zahlen liegen für die vergangenen sechs Jahre zwischen 14.454 (2021) und 18.125 (2019) vermissten Kindern im Jahr. Im vergangenen Jahr (2023) waren es 16.471 vermisste Kinder.
Die Zahlen steigen also nicht, sondern bleiben in etwa auf einem Niveau. Die meisten Fälle werden im Laufe eines Jahres aufgeklärt. Am Ende bleiben rund 500 Fälle pro Jahr ungeklärt. Manche davon bereits seit Jahrzehnten. Der älteste registrierte Vermisstenfall eines Kindes stamme aus dem Jahr 1968, so das BKA. Im Jahr 2024 wurden bis zum 1. Mai 2024 bundesweit 1.752 Kinder als vermisst gemeldet, erklärte das BKA t-online.
- BKA: Die polizeiliche Bearbeitung von Vermisstenfällen in Deutschland
- Telefonat mit Lars Bruhns am 12.06.2024
- Initiative vermisste Kinder: Amber-Alert Deutschland