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Nächste Krise rollt an | Extremwetter in Griechenland: "Einzige Katastrophe"


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Extremwetter in Griechenland
"Ich bin eingeschlossen und isoliert"

Von Wassilis Aswestopoulos

07.09.2023Lesedauer: 5 Min.
EUROPE-WEATHER/GREECE-STORMVergrößern des Bildes
Zerstörte Straße in Volos: Nichts hält den Wassermassen stand. (Quelle: LOUISA GOULIAMAKI)
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Nach Hitze und Waldbränden wird Griechenland von schweren Regenfällen getroffen. Die Not der Menschen ist groß – und die nächste Katastrophe schon im Anmarsch.

Griechenland im Auge des Sturms: Wie eine biblische Heimsuchung brechen seit Monaten Naturkatastrophen über das Land herein. Im Sommer zerstörten riesige Brände vor allem auf Rhodos und im Osten des Landes zahlreiche Naturschutzgebiete und Wälder. Dazu kamen Hitzewellen, die das Leben in Griechenland kaum erträglich machten.

Und nun treffen das Land die wohl schwersten Regenfälle in der Geschichte Griechenlands. Das Meer hat sich erhitzt, erklären die Meteorologen, weswegen ganze Städte jetzt unter Wasser stehen. Neben Volos, Pilio und anderen Orten hat die Flut am Mittwochnachmittag auch Athen erreicht und dort bereits nach zehn Minuten für ein Verkehrschaos gesorgt.

Erste U-Bahn-Stationen standen schnell unter Wasser, der Halt am zentralen Evangelismos-Krankenhaus im Regierungsviertel musste ganz geschlossen werden. Auch der Peloponnes ist nun betroffen. Die Extremwetterlage soll bis Donnerstagabend anhalten.

"Ich fühle mich nicht mehr sicher"

Um sich die Menge der Wassermassen bewusst zu machen: In der Hafenstadt Volos fiel am Dienstag innerhalb weniger Stunden so viel Regen wie in der gesamten Großregion um die Hauptstadt innerhalb von 18 Monaten für gewöhnlich niedergeht.

"Ich fühle mich nicht mehr sicher", klagt Anna B. am Telefon, die ihren echten Namen nicht sagen will. Sie sitzt in Pili, einem kleinen Hafenort auf der Insel Euböa, Griechenlands zweitgrößter Insel. Seit 28 Stunden regnet es ununterbrochen. Der kleine Hafen ist zerstört, die drei kleinen Flüsse, die das Dorf umschließen, haben sich im Hafen zu einem einzigen reißenden Strom vereint.

Die Folgen sind verheerend: Autos versinken im Wasser, Häuser werden überflutet, Grundstücksmauern eingerissen. Nichts hält den Wassermassen stand. Erdrutsche und Steinschläge an Klippen haben den malerischen Ort in eine dystopische Landschaft verwandelt. Es ist lebensgefährlich. Stundenlang gibt es weder Strom noch fließendes Wasser.

Eingeschlossen von den Fluten

Die Straße zum nun zweigeteilten Nachbardorf Vlachia wurde samt einer neuen Brücke weggespült. Dort herrscht Ausgangssperre. Auch die Straße zur Inselhauptstadt Chalkida ist von herabfallenden Felsbrocken in der Derveni-Schlucht blockiert. "Ich traue mich nicht aus dem Haus raus", sagt Anna. "Ich bin eingeschlossen und von der Außenwelt isoliert."

Nur: Offiziell wird das nicht bestätigt.

Der Sprecher der örtlichen Feuerwehr, Giannis Artopoios, erklärte am Mittwochvormittag bei einem Pressebriefing, dass wegen des Ausmaßes der Katastrophe nur Personen, bei denen akute Gefahr für Leib und Leben besteht, als "eingeschlossen und in Not" betrachtet werden. Als Beispiel gab er an, "ein Tourist in einem Hotel, in dem 20 Zentimeter Wasser stehen, gehört explizit nicht dazu."

Komplette Orte drohen zu verschwinden

Diese Eindrücke lassen sich auf nahezu ganz Griechenland übertragen und werden von den Freunden und Bekannten vor Ort bestätigt – wenn sie noch einen halbwegs vollen Akku auf ihrem Handy haben. Der Zugverkehr in weiten Teilen des Landes ist eingestellt. Die Hauptverkehrsader, die Autobahn von Athen nach Thessaloniki, ist ebenso gesperrt wie Nebenstrecken.

Es gibt Orte, wie Mantoudi auf Euböa, die nach 2018 und 2020 nun zum dritten Mal in fünf Jahren überflutet werden. Das Gymnasium in Mantoudi sollte am Montag für das neue Schuljahr die Pforten öffnen. Es steht unter Wasser. Im Norden Euböas, der 2021 von Waldbränden weitgehend zerstört wurde, musste die Feuerwehr Straßen wegreißen, um den Wassermassen einen Ausweg zu geben.

Ansonsten drohte das Wasser komplette Orte wie Pyrgos samt Bewohner von der Flut mitzureißen.

Telefonverbindungen sind lebenswichtig

Ein Bekannter des Autors, der aus Pilio bei Volos stammt, hat seit gestern Abend keine Nachricht mehr beantwortet. Das Telefon ist in der Katastrophe lebenswichtig. Die Regierung schickt mehrmals Cell-Broadcast-Warnungen an alle Telefone, die im griechischen Mobilfunknetz eingeloggt sind. Über dieses seit neuestem auch in Deutschland genutzte System werden Orte evakuiert, Ausgangsverbote verhängt und weitere Anweisungen für die persönliche Sicherheit übermittelt.

Diesem System, in Griechenland kurz "112" genannt, ist es zu verdanken, dass es bislang lediglich drei bestätigte Todesfälle und drei Vermisste gibt.

Nicht immer kommt das bei den Bürgern gut an, nicht nur, weil es mehrere Fehlalarme gab, wie zuletzt auch in Thessaloniki. "Heute in der Buchhandlung im Zentrum waren rund zehn Leute und die 112 begann nacheinander Alarmnachrichten zu schicken. Alle Telefone schrillten auf. Wir reagierten mit Sätzen wie 'Ach, lass uns in Ruhe!'" sagt Foteini S. aus der Stadt Larissa. Sie ist Lehrerin und fürchtet um ihre Schule.

Glück im Unglück: Larissa, nur 50 Kilometer von der stark betroffenen Hafenstadt Volos entfernt, verfügt über ein in den 80er-Jahren überaus großzügig konstruiertes Abwassersystem. Der damalige Bürgermeister Aristeidis Lambroulis hatte zu jener Zeit gegen viele Widerstände Rohre mit Durchmessern von 60 Zentimetern quer durch die gesamte Stadt verlegen lassen und darauf geachtet, dass sie entlang früher trockengelegter Bachverläufe installiert wurden.

"Es ist eine einzige Katastrophe"

Und der heutige Bürgermeister Apostolis Kalogiannis verdient Lob, weil er sämtliche Gullys und Abflüsse rechtzeitig reinigen und leeren ließ. Zudem sorgt eine Kameraüberwachung samt Spezialmaschinen dafür, dass die Abflusskanäle in Larissa offenbleiben. So können die Fluten besser abfließen.

Das ist nicht überall in Griechenland so. Denn das Extremwetter trifft auf Städte mit unzureichender, verschmutzter oder vernachlässigter Infrastruktur. Das "andere Griechenland" beginnt für Foteini S. außerhalb des Stadtgebiets von Larissa, dort, wo auch ihre Schule steht, genauer: unter Wasser steht.

"Es ist eine einzige Katastrophe. An den Küsten der Präfektur Larissa, in Agiokambos und den Gebieten Sotiritsa, Velika und bis Kokkino Nero schwollen die Bäche an und spülten Treibgut und Schlick an. Alles ist überschwemmt."

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S. spart nicht mit Kritik an der Regierung: Der Staat verspreche Hochwasserschutzprojekte, doch es bleiben "Lippenbekenntnisse", sagt sie. "Nichts davon wird eingehalten." Die Lehrerin ist wütend auf die Politik und ihr Zögern. Das Land müsse endlich gegen die Klimakrise und die immer extremeren Wetterereignisse geschützt werden, so S.

Folgen der Flut betreffen ganz Europa

Die Liste der im Land überschwemmten Orte erscheint endlos. Die Folgen gehen über Griechenland hinaus: In Thessalien etwa wurden Getreidesilos überflutet. Das wegen des Ukraine-Krieges knappe Gut ist verloren. In den Bergen um Volos liegt Griechenlands Kerngebiet der Apfelproduktion. Noch sind die Obstplantagen für eine Schadenskontrolle nicht zugänglich. Doch erste Bilder von Tausenden Äpfeln in den Fluten lassen das Schlimmste befürchten. Die zerstörte Ernte wird sich auf die Lebensmittelpreise auswirken – in ganz Europa.

Doch der Super-GAU für Griechenland wäre ein Dammbruch im "Kambos von Thessalien", dem Herzstück der griechischen Landwirtschaft. "Wir wissen nicht, was wir ernten sollen", klagen die Bauern im gesamten Land. Bereits die Olivenernte hat unter den Klimakapriolen stark gelitten – und damit auch die Produktion von Olivenöl. Das "flüssige Gold", wie Homer es nannte, ist Hauptbestandteil der mediterranen Küche. Dieses Jahr wird es um 125 Prozent teurer als 2022. Griechenland ist einer der Hauptexporteure von Olivenöl.

Ob der Kambos, und damit ein Großteil der griechischen Agrarproduktion gerettet werden kann, hängt vom weiteren Verlauf des Unwetters ab. Verschärft sich die Lage weiter, droht dem Land die nächste Katastrophe.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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