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Ramadan im Iran: "Moscheen sind nicht systemrelevant"


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Einschränkungen wegen Corona
Ramadan im Iran: "Moscheen sind offenbar nicht systemrelevant"


08.05.2020Lesedauer: 4 Min.
Menschen im Iran bei einer Beerdigung: Wegen des Coronavirus müssen Menschen auf rituelle Begräbnisse verzichten.Vergrößern des Bildes
Menschen im Iran bei einer Beerdigung: Wegen des Coronavirus müssen Menschen auf rituelle Begräbnisse verzichten. (Quelle: Ebrahim Noroozi/ap)

Im Iran hat der Ramadan begonnen. Doch wegen der Corona-Pandemie bleiben die Moscheen geschlossen. Wird in der Islamischen Republik der Stellenwert der Religion neu überdacht?

Es ist Anfang Mai, als im Iran ein Gottesdienst stattfindet, der wirkt wie eine Filmvorführung im Autokino: Hunderte Wagen parken eng gedrängt auf einem Platz in Teheran. Die Zuhörer haben die Fenster heruntergekurbelt, durch ihre Autoradios hören sie dem Prediger zu. Frequenz FM 103,10. Der Prediger sitzt im dunklen Anzug vorn auf der Bühne und hält seine Rede.

Videos mit solchen Szenen finden sich vermehrt auf YouTube. Sie zeigen eine neue Normalität der muslimischen Gottesdienste in Teheran, der Hauptstadt des Iran, wo der schiitische Islam die Staatsreligion ist. Der Iran ist nach offiziellen Angaben mit mehr als 100.000 Infizierten und knapp 6.500 Toten im Nahen Osten mit am stärksten vom Coronavirus betroffen. Die Regierung hat darum das Land in drei Zonen unterteilt: in rote, gelbe und weiße.

In den roten Zonen – dazu gehört Teheran sind Moscheen und heilige Stätten geschlossen. Auch Freitagsgebete entfallen ein Novum in der Geschichte der Islamischen Republik. Teilweise ähneln die Gottesdienste jetzt einer Vorführung im Autokino, aber dauerhaft können sie die Zusammenkünfte in den Moscheen nicht ersetzen. Besonders die gemeinsamen Freitagsgebete sind für viele Muslime wichtig. Dazu kommt: Die strikten Maßnahmen fallen in den Monat Ramadan, für Muslime die wichtigste Zeit des Jahres. Doch ausgerechnet jetzt muss die Religion zum Wohle der Gesundheit zurückstecken. Entkernt damit das Coronavirus den Islam im Iran?

Fatwa gegen das Fasten

Zumindest hat der oberste iranische Führer Ayatollah Ali Khameini sogar zum Ramadan während der Corona-Krise eine sogenannte Fatwa erlassen: Gläubige werden vom religiösen Fasten entschuldigt, wenn es "eine Krankheit verursachen, verstärken oder verlängern" kann. Eine Fatwa ist ein religiöses Rechtsgutachten, dass nur von muslimischen Autoritäten ausgesprochen wird. Dass so eine Fatwa im Iran überhaupt existiert, ist ein Beleg dafür, wie ernst die geistliche Elite die Corona-Krise mittlerweile nimmt.

Noch vor wenigen Wochen war das anders: Als Mitte Februar die ersten Corona-Toten in der Stadt Ghom gemeldet wurden, verschwieg die Regierung die Vorfälle. Anfang März bezeichnet Irans oberster Führer Ali Khameini in einem Tweet das Ganze dann als "keine so große Tragödie". Und nachdem sich die Sache nicht mehr verleugnen ließ, griff die Führung zu Verschwörungstheorien: So solle laut Revolutionsführer Ali Khamenei hinter der Corona-Epidemie eine "biologische Attacke stecken". Auch der Chef der Revolutionsgarden Hassan Salami sagte ähnliches und machte die USA als Schuldigen aus.

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"Moscheen sind nicht systemrelevant"

Für Iran-Experte David Jalilvand sind die aktuellen Maßnahmen der iranischen Regierung, "wenngleich spät ergriffen, in gewisser Hinsicht dennoch beachtenswert". Denn "sie sind ein implizites Eingeständnis, dass Moscheen und Gottesdienste offenbar auch in einer Islamischen Republik nicht systemrelevant sind", sagt Jalilvand. "Antworten auf die Corona-Krise werden jenseits der Religion gesucht." Jalilvand ist Associate Fellow bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und Geschäftsführer der Nahost-Unternehmensberatung Orient Matters.

Jalilvand merkt aber auch an, dass Irans zögerliches Vorgehen weitere Gründe hat: "Wegen der US-Sanktionen ist die iranische Wirtschaft angeschlagen", sagt Jalilvand. "Die Regierung fürchtete die ökonomischen Folgen umfassender Corona-Maßnahmen und sorgte sich vor einer Verschärfung der sozialen und politischen Krise."

Geistliche kritisieren Maßnahmen

Aber nicht alle Kleriker im Iran befürworten die Einschränkungen der Regierung: So zitiert das Nachrichtenportal "nau.ch" den ultrakonservativen Prediger Ahmad Alamolhoda: "Es ist inakzeptabel, dass kommerzielle Unternehmen geöffnet sind, die Mausoleen und Moscheen aber nicht", sagt der Geistliche. "Wir haben Ramadan, den Monat Gottes. Da kann man Gläubigen für ihre Rituale nicht die Tore der heiligen Stätte blockieren."

Alamolhoda ist Chefprediger des Freitagsgebets von Maschhad, der zweitgrößten Stadt des Iran. Bereits Ende Februar hatte der Geistliche das Aussetzen der Freitagsgebete als "ungerecht" bezeichnet. Und Mitte März hatten sogar strenggläubige Muslime kürzlich verschlossene Heiligtümer in der Stadt Ghom gestürmt. Laut Iran-Experte Adnan Tabatabai von der Nahost-Denkfabrik CARPO dürften solche Aktionen aber nicht zu hoch bewertet werden: "Radikale gibt es in jedem Land", sagt Tabatabai. "Die sind aber auch im Iran in der Minderheit. Die wichtigsten iranischen Geistlichen tragen die Entscheidungen der Regierung mit."

Coronavirus macht Bevölkerung religiöser

Mittlerweile hat Präsident Hassan Rohani verkündet, dass wegen der Verbesserung der Lage 132 Städte als weiße Zonen deklariert werden. Hier sollen die Einschränkungen weitgehend aufgehoben werden. Tatsächlich schienen die religiösen Einschränkungen viele Iraner aber nicht gestört zu haben. Die Drive-In-Zeremonien zeigen zudem, dass die Menschen auch ohne Moscheen ihrem Glauben nachkommen können.

Freiwillige nutzten Berichten zufolge sogar leere Moscheen in Städten wie Teheran oder Shiraz, um Masken zu nähen. Auch zeigt eine aktuelle Umfrage, dass bei der Hälfte der Befragten die "Bedeutung für Gott und Religion" seit dem Coronavirus-Ausbruch zugenommen habe. Nur bei 3,5 Prozent sei das Gegenteil der Fall.

Was das für den Islam und den Iran bedeutet, darüber lässt sich aber nur spekulieren. Denn laut dem Iran-Analysten Raz Zimmt wenden sich generell viele Iraner der Religion in Zeiten von Krisen zu, schreibt er auf "atlanticcouncil.org.". Er vermutet zudem, dass die iranischen Behörden "ihre Bemühungen fortsetzen, ein positives Bild des Islam im Einklang mit Vernunft und Wissenschaft aufrechtzuerhalten". Fügt aber hinzu: "Es ist jedoch höchst zweifelhaft, dass diese Versuche das Bild der iranischen Geistlichen, die in den letzten vier Jahrzehnten an der Macht waren, verbessern können."

Trotz allem gibt es eine islamische Tradition, auf die viele Iraner nur schwer verzichten können – wegen des Coronavirus aber müssen: Beerdigungen und den anschließenden Zyklus von Trauerzeremonien drei, sieben und vierzig Tage nach dem Todestag. Wegen der Pandemie dürfen diese nur im engsten Kreis und unter strengen Auflagen stattfinden. "Verwandte können sich so nicht vernünftig nach islamischer Tradition verabschieden", sagt Iran-Experte Tabatabai. "Dieser Abschiedsschmerz ist für viele schwerer zu ertragen als geschlossene Moscheen oder Heiligtümer."

Verwendete Quellen
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