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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Unwetter bei "Rock am Ring"? "Bei einem Gewitter ist es wie in einem Kriegsgebiet"
Wenn sich über einem Festival ein Unwetter entlädt, wird es gefährlich. Wetter-Experte Jörg Kachelmann erklärt, wie sich Besucher verhalten sollten. Und wie einfach Veranstalter für Sicherheit sorgen könnten.
Am Wochenende beginnt die Festivalsaison in Deutschland. Neben Camping, reichlich Musik und ebenso viel Alkohol gehören dazu leider auch immer wieder Regen und Gewitter. Während heftige Unwetter in den Städten schon für ein mittelschweres Chaos sorgen, können sie auf einem Festivalgelände richtig gefährlich werden – auch, weil bei den Besuchern oft viel Unwissenheit und Unbedachtheit im Spiel ist.
Wetterexperte Jörg Kachelmann erklärt im Interview mit t-online.de, wie man ein Festival trotz Wolkenbruch und Unwetter unbeschadet überstehen kann. Und mit welchen einfachen Konzept Festival-Betreiber für Sicherheit sorgen könnten.
Herr Kachelmann, nach dem Wetter zu "Rock am Ring" müsste ich eigentlich nicht fragen – schließlich regnet es dort immer mal. Auch in diesem Jahr?
Am Donnerstag und Freitag gibt es noch das Risiko von Schauern und Gewitten, Richtung Sonntag wird es dann besser.
Wenn Gewitter drohen – ab wann sollte ich das Konzert vergessen und mich stattdessen in Sicherheit bringen?
Junge Menschen schätzen Risiken falsch ein, sie haben ein Unverwundbarkeitsgefühl und eine Menge Sorglosigkeit in sich. Bei einem Festival muss jedem klar sein: Es wird sich niemand um mich kümmern. Sind an einem Festival-Tag Unwetter angesagt, würde ich permanent auf mein Handy schauen. Es gibt Wetter-Apps, die einen Unwetter-Radar haben. Über dieses Storm-Tracking kann ich sehen, wann ein Gewitter das Gelände erreicht. Spätestens 20 Minuten bevor das passiert, würde ich mich in Sicherheit bringen. Es ist dann zwar blöd, wenn ich eine Band verpasse, aber mir passiert auch nichts. Gefährlich wird es, wenn junge Menschen den falschen Aberglauben über Gewitter, der momentan durch die Medien geht, glauben und sich fälschlicher Weise sicher fühlen.
Sicherheit gibt es nur im Auto oder im Haus – letzteres ist auf einem Festival kaum zu finden. Wohin sollte ich mich verdrücken?
Der Einschlag eines Blitzes in unmittelbarer Nähe ist wie ein Sechser im Lotto, ein direkter Einschlag in den Menschen wie ein Sechser mit Zusatzzahl. Aber: Alle auf dem Gelände haben die gleiche Chance, von einem Blitz getroffen zu werden.
Jörg Kachelmann ist Meteorologe und Unternehmer. Er arbeitet seit vielen Jahren als Wetterexperte für das Fernsehen. Zudem hat er seine eigenen Wetterdienste gegründet. Seit 2015 ist er Chef der Wetter-Plattform Kachelmannwetter.com.
Was ist mit dem Zelt: Bin ich dort geschützt?
Nein. Dabei ist es auch völlig egal, ob das Zelt aus Metall ist oder nicht. Kann ich mich nicht mehr in Sicherheit bringen, gibt es nur noch Minimalprävention. Das heißt in die Hocke gehen und die Füße eng beieinander halten. Es ist nämlich so: Ein Blitz schlägt viel seltener in einen Menschen ein, als in den Boden. Er hat dort eine gigantische Spannung und verliert von dort aus immer mehr von seiner Intensität. Strom ist der Ausgleich zwischen zwei unterschiedlichen Spannungen. Stehen die Beine weit auseinander, gibt es einen Spannungsunterschied zwischen den beiden Stellen, auf denen die Füße stehen. Der Strom zwischen den Spannungsunterschieden fließt durch den Körper hindurch. Sind die Füße eng beieinander, ist die Schrittspannung geringer.
Das Camping-Gelände auf dem Festival könnte also zu einer tödlichen Falle werden?
Es ist wie beim Roulette. Bei einem Gewitter ist es wie in einem Kriegsgebiet, auf das geschossen wird: Man weiß nicht, wen es erwischt, es ist eine Frage von Glück und Pech, nicht Metall oder Nichtmetall. Stellen wir uns vor, dass in die schlafende Zeltstadt nachts ein großer Blitz hämmert. Dann reden wir von Dutzenden Toten. Schuld ist wieder der Spannungsunterschied zwischen Kopf und Füßen, wenn man auf dem Boden liegt. In Deutschland werden solche Warnungen immer als Panikmache gedeutet. Man spricht nicht gerne darüber. Irgendwann wird es passieren und die Medien werden schreiben, man sei vom Gewitter überrascht worden, was immer gelogen ist. Niemand, der bei Trost ist, wird von einem Gewitter überrascht. Nur der Blitztod wird überraschend sein.
Der einzig sicherere Ort wäre also das Auto?
Fast alle Festival-Besucher kommen mit dem Auto an. Dort müsste also genug Platz sein.
Die Veranstalter von Festivals wurden schon mehrfach für ihr Unwettermanagement kritisiert.
Es sollte auf jedem Festival einen Meteorologen geben, der die Autorität hat, die Veranstaltung anzubrechen. Ich selbst war einmal für ein Open-Air-Theater in der Schweiz verantwortlich. Und immer wenn es ein Gewitter-Risiko gegeben hat, war ich vor Ort. Ich hatte die Macht, alles abzusagen und die Leute in Autos und Häuser schicken und das muss auch so sein.
Wie könnte das auf einem Festival aussehen?
Der Veranstalter müsste dafür verantwortlich sein, dass sich schon beim Ticketkauf alle Besucher einen Platz in einem Auto organisieren. Es müsste im Vorfeld darauf hingewiesen werden, was getan werden muss, wenn ein Gewitter kommt. Wenn es für die Veranstalter schon nicht um Menschenfreundlichkeit geht, dann sollte es wenigstens um die ökonomischen Interessen gehen. Denn wenn einmal Dutzende Tote nach einem Gewitter in ihren Zelten liegen, würde das gravierende Konsequenzen haben, auch für die Veranstalter. Wie immer erst nach der Katastrophe.
Sind denn nur Blitze gefährlich?
Erst vor ein paar Wochen hatten wir einen Tornado in Deutschland. Nichts Unübliches. Aber selbst bei einem Sturm wird es schon gefährlich. Bei Windgeschwindigkeiten von 150 Stundenkilometer fliegen Zelte und Pavillons weg und können Menschen treffen. Stellen Sie sich Hagelkörner mit fünf Zentimeter Durchmesser vor, die auf eine Zeltstadt einschlagen. Es kann Panik ausbrechen. Eigentlich dürften solche Veranstaltungen bei gewissen Wetterlagen überhaupt nicht stattfinden. In den USA würde ein Festival an solchen Tagen von vornherein abgesagt werden. In Deutschland ist man da extrem laissez-faire, was Unwetter betrifft, was eigentlich überraschend ist.
Vielen Dank für das Gespräch.