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Todesfahrt in Mannheim: Diese Militärtechnik hilft gegen Angstzustände


Combat-Coaching
Was tun bei Angst und Panik? Diese Militärtechnik hilft

InterviewVon Ellen Ivits

04.03.2025 - 15:03 UhrLesedauer: 4 Min.
Polizisten sichern Tatort in Mannheim: Combat-Coaching lehrt, in Krisen handlungsfähig zu bleiben.Vergrößern des Bildes
Polizisten sichern Tatort in Mannheim: Combat-Coaching lehrt, in Krisen handlungsfähig zu bleiben. (Quelle: Heiko Becker/reuters)
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Messerattacken, Anschläge, Amokfahrten – in der Gesellschaft wächst das Unsicherheitsgefühl. Doch sind diese Ängste rational? Und was kann man im Alltag dagegen tun?

Erneut ist ein Auto in einer deutschen Großstadt mitten in eine Menschenmenge gerast – mit tödlichem Ausgang. In der Mannheimer Innenstadt kamen nach Angaben der Polizei am Rosenmontag zwei Menschen ums Leben, fünf Menschen wurden schwer, fünf leicht verletzt.

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Solche willkürlichen Vorfälle lösen Ängste aus. Doch ein erprobtes System zeigt, wie jeder in Krisen schnell handlungsfähig bleibt. Thomas Loew, Professor für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Universität Regensburg und Chefarzt der dortigen psychosomatischen Abteilung, entwickelte das sogenannte Combat-Coaching für die Bundeswehr. Im Interview mit t-online erklärt er, wie jeder in Krisen handlungsfähig bleibt und irrationale Ängste unter Kontrolle bekommt.

t-online: Messerattacken, Anschläge, jetzt die Todesfahrt von Mannheim: Solche Vorfälle lösen in der Gesellschaft Ängste und ein Gefühl der Unsicherheit aus. Was kann man tun, um sich besser vorbereitet zu fühlen?

Thomas Loew: Zunächst einmal ist es essenziell, Menschen zu befähigen, mit Stresssituationen umzugehen. Wir wissen nicht, was in Zukunft auf uns zukommt – sei es durch politische Entwicklungen oder Naturkatastrophen. Daher brauchen wir Programme, die psychologische Erste Hilfe systematisch vermitteln.

Was stellen Sie sich konkret darunter vor?

Jeder Mensch sollte die Grundlagen der psychischen Selbstregulation erlernen. Genauso wie wir Erste Hilfe für den Körper kennen, brauchen wir Erste Hilfe für die Seele. In anderen Ländern gibt es bereits erfolgreiche Konzepte. In Deutschland ist der einzige verpflichtende Erste-Hilfe-Kurs der für den Führerschein – das reicht nicht aus. Jeder Schüler sollte psychologische Erste Hilfe lernen, um besser auf Extremsituationen vorbereitet zu sein.

Wie würde das in der Praxis aussehen?

Wir könnten etwa ein zweistündiges Training in Schulen einführen, das grundlegende Techniken zur Stressbewältigung vermittelt. In Regensburg wurde während der Pandemie eine App zur Selbstregulation angeboten. Solche Maßnahmen sind hilfreich, doch oft bleibt es bei Pilotprojekten, anstatt sie flächendeckend zu etablieren.

Viele Erwachsene haben ihren Erste-Hilfe-Kurs vor Jahrzehnten absolviert und erinnern sich kaum daran. Wie könnten sie erreicht werden?

Das ist ein großes Problem. Wir müssten niedrigschwellige Angebote schaffen, ähnlich wie regelmäßige Auffrischungskurse für den Erste-Hilfe-Kurs. Gleichzeitig könnten digitale Angebote helfen.

Sind denn die Unsicherheit und die Ängste nach blutigen Vorfällen und Verbrechen berechtigt?

Hier muss man zwischen gefühlter und tatsächlicher Gefahr unterscheiden. Ängste in bestimmten Situationen sind normal – Polizisten, Feuerwehrleute oder Sanitäter erleben das täglich. Doch wir können mit einfachen Techniken lernen, uns zu stabilisieren.

Haben Sie ein Beispiel für eine solche Technik?

Eine Methode ist die sogenannte "LAGE-Analyse": Man fragt sich in einer stressigen Situation: Wie ist meine Laune? Wie angespannt bin ich? Fühle ich mich gehetzt? Wie erschöpft bin ich? Dadurch gewinnt man Distanz zur eigenen Emotion und kann ruhiger reagieren.

Thomas Loew
Thomas Loew (Quelle: UKR Regensburg)

Zur Person

Thomas Horst Loew ist Psychotherapeut und Facharzt für Psychiatrie und Psychosomatik. Er ist seit 2001 Professor für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Universität Regensburg und Chefarzt der dortigen psychosomatischen Abteilung, außerdem Chefarzt der psychosomatischen Station der Klinik Donaustauf.

Ist denn die Angst vor einem Gewaltverbrechen irrational?

Das ist ein klassisches Beispiel für eine verzerrte Risikowahrnehmung. Statistisch gesehen ist die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines Gewaltverbrechens zu werden, sehr gering. Es hilft, sich diese Zahlen bewusst zu machen. Die Wahrscheinlichkeit, an einem Autounfall zu sterben, ist zum Beispiel viel höher als die, in eine Messerattacke verwickelt zu werden. Trotzdem haben viele Menschen keine Angst vor dem Autofahren.

Also hilft es, sich auf Fakten zu besinnen?

Genau. Die Welt mit den "vier Grundrechenarten" zu verstehen, hilft uns, Risiken realistischer einzuschätzen. Das bedeutet nicht, dass wir leichtsinnig werden sollen, aber übertriebene Ängste nützen niemandem. Stattdessen brauchen wir ein Bewusstsein für effektive Prävention und Selbstschutzstrategien.

Wie kann man in sehr stressigen oder angstauslösenden Situationen ruhig bleiben?

Ein bewährter Ansatz ist ein strukturiertes Vorgehen in mehreren Schritten. In der Bundeswehr wird insbesondere ein System genutzt, das Soldaten hilft, in Extremsituationen einen klaren Kopf zu bewahren – etwa wenn ein Fahrzeug explodiert und sie handlungsunfähig in einem gefährlichen Umfeld ausharren müssen. Ein zentraler Bestandteil dieses Systems ist das sogenannte Check-and-Change-Prinzip: Zuerst wird die Situation überprüft (Check), dann folgt ein schrittweises Vorgehen zur Veränderung (Change). Nach jedem Schritt wird geprüft, ob der nächste möglich ist – falls nicht, geht man einen Schritt zurück. So entsteht eine Art innere Leitlinie, die hilft, sich aus der Panik zu lösen und wieder handlungsfähig zu werden. Entscheidend ist dabei nicht nur, "Ruhe zu bewahren", sondern aktiv innere Ruhe zu entwickeln.

Wie geht das?

Für solche Situationen habe ich für Einsatzkräfte das Combat-Coaching entwickelt. Es besteht aus den 7 Cs - das sind sieben spezifische Schritte.

1. Control: Durch wiederholtes Herunterschalten über kleine Bewegungen wiegt man sich in Sicherheit. Mit Atemberuhigung gewinnt man zunächst auf der körperlichen Ebene die Selbstkontrolle wieder.

2. Cognition: Auf dieser Stufe klärt man seine Gedanken. Was ist jetzt wichtig?

3. Chance: Was habe ich für Möglichkeiten, welche Alternativen in der jeweiligen Situation?

4. Calculate: Hier wägt man die vorhandenen Möglichkeiten ab.

5. Coordinate: Wer ist noch beteiligt, unterstützt, muss informiert sein?

6. Concentrate: Man konzentriert sich auf das Wesentliche.

7. Change: Erst im siebten Schritt schreitet man zur Tat, nachdem alle Möglichkeiten abgewogen worden sind.

Ein weiteres Problem ist, dass manche Gruppen Angst gezielt schüren, etwa durch politische Aussagen. Wie sollte man damit umgehen?

Hier ist politische Bildung entscheidend. Wir müssen lernen, zwischen berechtigter Sicherheitsdebatte und Panikmache zu unterscheiden. Wer Lösungen anbietet, statt nur Ängste zu schüren, trägt zu einem gesellschaftlichen Sicherheitsgefühl bei.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Thomas Horst Loew
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