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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Folge der Block-Entführung "Die ganze Welt der Kinder wird zu Fall gebracht"
Die mutmaßliche Entführung der "Block-Kinder" könnte die 13-Jährige und den Zehnjährigen vor allem psychologisch treffen. Kindertherapeut Christian Lüdke klärt über mögliche Folgen auf.
In der Silvesternacht schlugen bisher Unbekannte Stephan Hensel, Ex-Mann von Steakhaus-Erbin Christina Block, nieder, zwangen die Kinder des Paares in ein Auto und fuhren davon. Kurz darauf tauchten die 13-Jährige und der Zehnjährige in Hamburg bei ihrer Mutter auf. Wie die "Bild" berichtet, soll inzwischen nach Christina Block per Europäischem Haftbefehl gefahndet werden (lesen Sie hier mehr dazu).
Die Situation bleibt undurchsichtig, eins steht aber fest: Die Kinder sind wohl die Hauptleidtragenden in diesem Fall. Wie sich Gewalt und öffentliche Konflikte auf die Psyche von Kindern auswirken können, erklärt der Kindertherapeut Christian Lüdke im Gespräch mit t-online.
t-online: Herr Lüdke, die Kinder von Christina Block und Stephan Hensel mussten mit ansehen, wie ihr Vater niedergeschlagen wird, sie selbst sollen in ein Auto gezerrt worden sein. Was machen solche Gewalterfahrungen mit Kindern?
Christian Lüdke: Gewalterfahrungen ändern in der Regel das gesamte Weltbild der Kinder. Ihr grundlegendes Sicherheitsgefühl geht in Fällen wie diesem oftmals verloren. Für junge Kinder sind die Eltern typischerweise die ganze Welt. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die ganze Welt der Kinder zu Fall gebracht wird: Sie sind hilflos, sie haben keine Kontrolle mehr und das ist dann schon eine emotionale Extremsituation – die in einem Trauma enden kann.
Es steht derzeit der Vorwurf im Raum, dass Christina Block die Entführung ihrer eigenen Kinder in Auftrag gegeben haben könnte. Welche Auswirkungen können solche Fälle auf die Mutter-Kind-Beziehung haben?
Erst einmal gibt es die Gewalterfahrung an sich, die mit großen Ängsten besetzt ist, denn die Kinder wussten ja nicht, was passiert. Es kann durchaus sein, dass sie auch Todesangst hatten. Und wenn sich dann herausstellen sollte, dass ein eigener Elternteil beteiligt ist, kommt noch ein enormer Vertrauensverlust hinzu. Therapeutisch gesprochen ist das eine extrem negative Bindungserfahrung und eine extrem negative Beziehungserfahrung.
Das kann bei Kindern und Jugendlichen dazu führen, dass die eigene emotionale Autonomie unterdrückt wird. Die Bindung von Kindern zu ihrer Mutter ist in der Regel noch etwas stärker als die zu den Vätern – aufgrund von Geburt und Schwangerschaft. Die Situation ist keine vertrauensbildende Maßnahme – ganz im Gegenteil: Die Beziehung zwischen Kindern und Mutter wird hier massiv auf die Probe gestellt. Das ist wirklich ein Härtetest und keine gute Grundlage für eine stabile, vertrauenswürdige und liebevolle Beziehung zwischen Mutter und Kind.
Zur Person
Christian Lüdke ist Traumaexperte und approbierter Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut mit mehr als 30 Jahren Berufserfahrung. Lüdke ist auch Mitglied der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie sowie Buchautor. In seinem Kinderbuch "Wer hat Stella & Tom die Angst gemopst?" beschäftigt sich Lüdke mit Angststörungen bei Kindern und vermittelt ihnen durch Geschichten Strategien, um besser mit ihrer Angst umzugehen.
Christina Block und ihr Ex-Mann Stephan Hensel fechten ihre Beziehungsprobleme schon seit Jahren in der Öffentlichkeit aus. Wie wirkt sich das auf die Kinder aus?
Das ist wie ein Ausverkauf der Seele für die Kinder. Wenn der Konflikt der Eltern so groß über die Medien verbreitet wird, ist das eine permanente Demütigung für die Kinder. Außerdem sind die Kinder schutzlos, es gibt quasi keine Privat- oder Intimsphäre mehr für sie. Zudem werden sie auch von den Eltern funktionalisiert. Das ist eine sehr belastende Situation, die sich langfristig sehr negativ auf die Entwicklung auswirken kann.
Ich kenne das aus meiner eigenen therapeutischen Erfahrung, da sagen Kinder: "Warum soll ich mich noch mal binden, wenn ich sowieso wieder verraten werde?" Also ist eine solche Erfahrung eine ganz massive Erschütterung des Selbstwertgefühls und auch des Vertrauens in die Welt.
- Christina Block und Stephan Hensel: Die Chronologie ihres Rosenkrieges
Jetzt haben Sie schon einige Folgen eines solchen Erlebnisses aufgezählt. Gibt es weitere?
Kinder sind aus fachlicher Sicht sogenannte Symptomträger. Das bedeutet, dass Kinder in vielen Fällen Verhaltensänderungen zeigen. Beispielsweise können sie verstummen, sich isolieren oder sich von Freunden zurückziehen. Auch Aktivitäten, die ihnen sonst Spaß bereitet haben, können plötzlich aus dem Leben der Kinder fallen. Teilweise kommt es auch zu Aggressionen – teils gegen andere Personen – teils aber auch zu Selbstverletzungen.
Am häufigsten entstehen nach derartigen Situationen Ängste und ein ungesundes Verhältnis zu den eigenen Gefühlen, die dann regelmäßig unterdrückt werden – Angststörungen oder Depressionen können die Folge sein. Eine solche Erfahrung ist also eine große Belastung für Körper, Seele und Geist der Kinder.
Wie können Kinder nach derartigen Erfahrungen behandelt werden?
Erst einmal muss gesagt werden, dass die Kinder nicht krank sind. Unter Therapeuten wird hier von der sogenannten Normalität der Symptome gesprochen. Das heißt, dass die Symptome, die die Kinder zeigen – egal wie außergewöhnlich – eine normale Reaktion auf ein derartig emotionales Ereignis sind. Das einzig "Unnormale" in solchen Fällen ist das Ereignis selbst. In einem Fall wie diesem, in dem Streitigkeiten in der Öffentlichkeit ausgetragen werden bis hin zu einer mutmaßlichen Entführung, ist es wichtig, dass die Kinder Ruhe, Stabilität und Abstand finden.
Außerdem sollte die Aufmerksamkeit der Kinder auf angenehme Dinge umgeleitet werden, ohne ihre Erfahrung zu verdrängen. Für Kinder ist dafür das Spielen enorm wichtig. Das, was Geld für Erwachsene ist, ist Spielen für Kinder – quasi ihre eigene Währung. Im vorliegenden Fall müsste also besonders mit stabilisierenden Maßnahmen entgegengewirkt werden.
Haben Kinder, die solch traumatische Erfahrungen gemacht haben, eine Aussicht auf ein geregeltes Leben?
Natürlich ist die erste Zeit nach dem Ereignis extrem schwierig für die Kinder. Aber Therapien können helfen, Umgebungsbedingungen zu schaffen, die es den Patienten ermöglichen, positive Veränderungen zu durchleben. Das heißt, die Therapie hilft Kindern dabei, mit den Belastungen zurechtzukommen und Strategien zur Selbstberuhigung zu erlernen – quasi einen mentalen Werkzeugkoffer. Eine Therapie ist daher immer eine gute Möglichkeit und hat bei Kindern meistens sehr positive Effekte. Die Prognose für eine erfolgreiche Therapie ist also außerordentlich hoch, sofern die Kinder dazu bereit sind.
Was raten Sie den Eltern der Kinder – Christina Block und Stephan Hensel – hinsichtlich des Wohls ihrer Kinder?
Den Eltern würde ich dringend raten, hier sehr beruhigend auf ihre Kinder einzuwirken und ihre Streitigkeiten nicht weiter in der Öffentlichkeit auszutragen. Als Kindertherapeut sprechend, geht es hier um eine mögliche Kindeswohlgefährdung. Die womöglich auch schon eingetreten ist, sollten sich die Entführungsvorwürfe bestätigen. Und das Kindeswohl steht immer über dem Wohl der Eltern.
Herr Lüdke, vielen Dank für das Gespräch.
- Interview mit Christian Lüdke