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Extremsegler Boris Herrmann: "Schneller und sicherer durch die brutale See"


Meinung
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Extremsegler Boris Herrmann berichtet
"Schneller und sicherer durch die brutale See"

MeinungGastbeitrag von Boris Herrmann mit Andreas Wolfers

Aktualisiert am 15.11.2023Lesedauer: 5 Min.
Boris Herrmann mit Crew: Der Extremsegler will Klima und Umwelt schützen.Vergrößern des Bildes
Boris Herrmann mit Crew: Der Extremsegler will Klima und Umwelt schützen. (Quelle: Antoine Auriol/Team Malizia)
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Boris Herrmann ist der bekannteste deutsche Segler, nun berichtet er von der Jagd um den Sieg bei The Ocean Race. Und für welchen wichtigen Zweck er die Aufmerksamkeit nutzt.

2020 startete Boris Hermann bei der legendären Vendée Globe – mutterseelenallein jagte der deutsche Profisegler beim Solorennen mit seiner Yacht um die Welt. Drei Jahre später trat Herrmann zu einer weiteren gewaltigen Herausforderung an: The Ocean Race. Der Wettbewerb gilt als hart und fordernd, immerhin ist der Skipper nicht allein, sondern hat ein Team bei sich. Was es mitsamt Boris Herrmann erlebte, schildert der Extremsportler in seinem neuen Buch. Lesen Sie hier einen Auszug:

Gut dreißig Tage lang sind wir durch das Südpolarmeer gesegelt, rund um die Antarktis, vor ein paar Tagen haben wir Kap Hoorn umrundet. Wir haben inzwischen eine halbe Weltreise hinter uns – und trotzdem liegt unser schärfster Konkurrent in Sichtweite. Es ist, als seien wir vor der brasilianischen Küste gerade erst gestartet. Tagsüber sehen wir das schwarze Dreieck seiner Segel, nachts das glühende Topplicht.

Das Duell vor Brasilien gehört zu den magischen Momenten dieses Ocean Race. Als ich vor zwei Jahren an der Vendée Globe teilnahm, dem legendären Solorennen um die Welt, da zerrieb mich monatelang das Gefühl der Einsamkeit. Nun bin ich nicht allein. Ich teile mir das Schiff mit einer Frau und drei Männern, in gut hundert Tagen jagen wir um den Erdball. Und es berauscht mich, wie viel größer und intensiver ein Abenteuer ist, das man zusammen mit anderen erlebt.

Boris Herrmann, Jahrgang 1981, ist Segelsportler und als erster Deutscher bei der Vendée Globe gestartet. Die Regatta gilt als die härteste der Welt. Hermann engagiert sich seit langer Zeit für den Schutz von Umwelt und Klima. Seine Erlebnisse bei der Vendée Globe schilderte er in seinem Buch "Allein zwischen Himmel und Meer. Meine 80 Tage beim härtesten Segelrennen der Welt" (mit Andreas Wolfers). Gerade ist mit "Abenteuer Ocean Race. Mit meinem Team beim Rennen um die Welt" (mit Andreas Wolfers) die Schilderung seines neuen Abenteuers erschienen.

Alle zwanzig Minuten vergleicht unser Navigationsprogramm die Durchschnittsgeschwindigkeit der Malizia mit der unseres Gegners vor Brasilien. Leuchtet dann ein kleiner Ball auf dem Monitor in Grün auf, das Zeichen, dass wir schneller sind, ertönt im Cockpit Triumphgeschrei. Leuchtet der Ball in Rot, fallen wir gerade zurück. Für uns ist der rote Ball die Aufforderung, noch härter zu arbeiten. Wir versuchen alles, um die anderen nicht davonfahren zu lassen, ändern hier und da etwas am Trimm, justieren Kleinigkeiten, und starren gebannt auf den Bildschirm, ob sich das auswirkt.

Wir sind zu Tode erschöpft, doch die Speed-Ampel hält uns auf den Beinen wie eine Wachdroge. Zwei Tage und Nächte geht das schon so. Es ist, als hätten sich unsere beiden Schiffe ineinander verbissen. Die See ist sehr rau, die Böen erreichen Windstärke neun. Die Malizia rast über die Wellenberge, und unsere Finger kleben auf den Tasten des Autopiloten, der von diesen Bedingungen überfordert ist. Die pausenlose Konzentration strengt an, und alle halbe Stunde wechseln wir uns beim Steuern ab.

"Kritisch beäugt und belächelt"

Auf der digitalen Seekarte sehen wir den Gegner, zum Greifen nah. Wer wird länger durchhalten? Und dann passiert es: Das andere Boot kentert. Nach einer Hammerböe liegt es flach auf der Seite, Wasser dringt ins Cockpit ein, im Großsegel sind die Latten gebrochen. Später erfahren wir, dass die Crew fast eine Stunde braucht, um das Schiff wieder in Griff zu bekommen. Diese Stunde reicht uns. Wir erreichen als Erste die Ziellinie vor der brasilianischen Hafenstadt Itajaí.

Das tagelange Duell hat sich tief in meine Erinnerung gegraben. Mit ihm haben wir die Königsetappe durch das Eismeer gewonnen, die längste Etappe in der Geschichte des Ocean Race. Außerdem haben dieser Zweikampf und der wochenlange Ritt zuvor gezeigt, dass sich das Risiko, das wir beim Bau der neuen Malizia eingegangen sind, gelohnt hat. Wir wollten einen Rumpf entwerfen, der die Rennyacht schneller und sicherer durch die brutale See des Südpolarmeers rauschen lässt als die alte Malizia.

Wir sind damals einen eigenwilligen Weg gegangen, kritisch beäugt und belächelt. Denn wir haben mit einem Dogma des Yachtdesigns gebrochen. Bis dahin sollten Rennyachten unten flach und gerade sein, um wenig Widerstand zu erzeugen. Ich aber wollte ein Schiff, das von der Seite betrachtet eher bananenförmig aussieht. Ich erinnere mich, wie ich einem erfolgreichen Yachtarchitekten bei einem Telefonat von der Idee erzählte. Er bat mich, in die Küche zu gehen, den Wasserhahn zu öffnen und einen Löffel seitlich an den Strahl zu halten.

Ich tat es – und sah, wie der Löffel sofort angesaugt wurde. Dies sei der Grund, sagte der Architekt, weshalb wir keinesfalls ein rundliches Schiff bauen sollten. Aber nun lag die Rennyacht, die er designt hatte, vor Brasilien auf der Seite, nicht zum ersten Mal bei diesem Rennen. Was nützt dir ein schnelles Schiff, wenn es bei harten Bedingungen nicht sicher ist, nicht seetüchtig? Als wir mit unserem bananenförmigen Rumpf und 25 Knoten dem Etappenziel entgegenrasten, empfand ich dennoch keine Genugtuung, nur Erleichterung, große Erleichterung.

"Es ist ein Vagabundenleben"

Nachts, beim Überqueren der Ziellinie vor der brasilianischen Küste, umkreisten uns zahlreiche Boote. Wir standen zu fünft auf dem Vordeck, Arm in Arm, im Lichtkegel der Scheinwerfer. Wir hatten es geschafft! Ein Moment der Innigkeit, den ich nicht vergessen werde. Im Hafen von Itajaí erwartete uns das ganze Team Malizia. Bei der Preisverleihung stürmten alle 36 Leute die Bühne und jubelten und tanzten. Es war magisch, und ich hatte das Gefühl, mich in die Arme meines Teams fallen lassen, ihm einfach folgen zu können.

Das Ocean Race verdankt seine Faszination gleich mehreren Besonderheiten. Da ist diese unfassbare Herausforderung, der sich fünf Menschen monatelang auf engstem Raum stellen. Es ist die schiere Größe und Wildnis der ozeanischen Welt, die wir durchqueren. Und es ist das Leben, das alle Mannschaften mit ihren Teams an Land teilen, bei den Stopps in den Häfen zwischendurch. Es ist ein Vagabundenleben von dreißig, vierzig Frauen und Männern pro Team, die gemeinsam um die Welt reisen, ihre Camps in den Häfen aufbauen, mittags und abends an langen Bierzelttischen essen, manche Nächte durcharbeiten, an anderen bis Sonnenaufgang feiern.

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Eigentlich ist es ja zutiefst un-nützlich, um die Welt zu segeln. Aber das Rennen trägt viel dazu bei, Menschen mit Themen vertraut zu machen, an denen sie andernfalls vielleicht wenig Interesse hätten. Auch das macht für mich die Faszination Ocean Race aus. Auf den Kapverden haben wir auf einer Konferenz zum Ozeanschutz mit UN-Generalsekretär Guterres auf der Bühne gesessen und diskutiert. In Kapstadt und bei anderen Zwischenstopps haben wir mit Schulklassen darüber gesprochen, wie sie den Klimawandel erleben.

"Eine großartige Plattform, um etwas zu bewegen"

Wir haben Konferenzen mit Umweltaktivistinnen und unseren Sponsoren organisiert und erregte Debatten erlebt, die uns aus unserer Seglerblase holten und mit den großen Fragen unserer Zeit konfrontierten. Unser Sport, vor allem das Ocean Race bietet eine großartige Plattform, um die Welt der Ozeane ins Bewusstsein der Menschen zu holen, um auf ihre Gefährdung aufmerksam zu machen und gemeinsam etwas zu bewegen.

Während des Rennens haben wir viele Menschen mitnehmen können, über Monate hinweg haben sie unsere Reise in den Medien verfolgt. Das Abenteuer Ocean Race bekommt für mich so noch einen weiteren Sinn: indem wir es teilen. Auch mit Ihnen möchten wir es teilen, mit unseren Leserinnen und Lesern.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben die Meinung der Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

Verwendete Quellen
  • Boris Herrmann, Andreas Wolfers: "Abenteuer Ocean Race. Mit meinem Team beim Rennen um die Welt, München 2023
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