"Agentin 00Sex" Russische Ex-Spionin macht Propaganda-Film – auf Deutsch
Vor 13 Jahren wurde Anna Chapman in den USA als russische Spionin enttarnt. Ihr Propaganda-Film hat das deutsche Publikum zum Ziel.
Ganz offensichtlich hat Anna Chapman ihr Leben dem russischen Staat gewidmet. Bekannt wurde sie 2010, als sie als Mitglied eines russischen Spionagerings in den USA enttarnt wurde. Nun hat sie Deutschland ins Auge gefasst. Für den mittlerweile in Deutschland verbotenen russischen Auslandssender "Russia Today" hat Chapman eine deutschsprachige "Dokumentation" gedreht, die den nicht gerade schüchternen Titel "Deutschland: Untergang eines Imperiums?" trägt.
Die Aufmachung ist dramatisch, offenbar haben sich die Macher von der Mystery-Fernsehsendung X-Factor inspirieren lassen. Chapman, die "Ermittlerin" genannt wird, sitzt vor einer dunklen Bücherwand in einem schweren Sessel. Auf dem historischen Tisch vor ihr steht eine Camera Obscura. Deren Nutzen? Unklar. Die Hauptsache ist offenbar, dass das ganze Setting den Eindruck von Wissen mit langer Tradition erweckt.
Chapman machte Snowden einen Heiratsantrag
Es ist ein neuer Abschnitt auf dem Lebensweg Chapmans. Nach ihrer Ausweisung aus den USA modelte sie, und erreichte in Russland den Status eines Celebrity-Girls. Dazu trugen auch eingängige Spitznamen wie "Spionin 90-60-90" oder "Agentin 00Sex" bei.
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Ihren angelsächsischen Nachnamen hat die Tochter des ehemaligen KGB-Offiziers Wassili Kuschtschenko übrigens von ihrem Ex-Mann Alex Chapman, einem Briten. Schlagzeilen machte die heute 40-Jährige im Jahr 2013, als sie dem nach Russland geflohenen NSA-Whistleblower Edward Snowden öffentlich einen Heiratsantrag machte.
Nun will Chapman nachzeichnen, wie sich Deutschland auf einen Abgrund zubewegt. Zweiter Weltkrieg, Wiedervereinigung – all das findet einen Platz in ihrer "Dokumentation", stets kommentiert von angeblichen russischen Experten. Die Erzählung folgt einem Strang: Deutschland werde von den USA kontrolliert und auf anti-russische Linie gebracht.
Deutsche "Kronzeugen" bestätigen Chapmans Weltsicht
Woran Chapman den Niedergang des "Imperiums" festmacht? Die angeblichen Argumente werden quasi im Minutentakt abgefeuert – allerdings meist ohne nähere Betrachtung. Eines davon: Junge und leistungsfähige Menschen verlassen in Scharen das Land. Quelle? Unwichtig. Einer dieser jungen Leistungsträger soll offenbar der frühere Radiomoderator und heutige Verschwörungserzähler Ken Jebsen (57) sein, den Chapman als einziges Beispiel für ihre Behauptung nennt. Dem in Deutschland durchaus bekannten Jebsen wurde das Leben in Deutschland nach eigener Aussage zu gefährlich, weil er offen seine Meinung sage.
Jebsen ist nicht ihr einziger deutscher "Kronzeuge": "Haben Sie auch das Gefühl, dass die Medien oft lügen und Ihre Meinung manipulieren?", fragt Chapman auf Russisch mit Simultanübersetzung in ihrer dunklen Bücherkammer in die Kamera. Sie zitiert Udo Ulfkotte, einen früheren FAZ-Journalisten, der vor allem in den späteren Jahren seiner Karriere zunehmend verschwörungstheoretische Positionen vertrat. 2014 veröffentlichte er das Buch "Gekaufte Journalisten", in dem unter anderem behauptet wird, dass ein Großteil der Journalisten von der CIA dafür bezahlt werden, antirussische Propaganda zu verbreiten. Ulfkotte starb drei Jahre später. Ein merkwürdiger Zufall, raunt Chapman.
Chapman verbreitet Kreml-Propaganda eins-zu-eins
Immer wieder taucht auch Liane Kilinc auf, Vorsitzende des Vereins "Friedensbrücke – Kriegsopferhilfe e. V.". Sie liefert nach eigenen Angaben Hilfsgüter in den von Russland besetzten Teil der Ostukraine. Chapman stellt sie direkt zu Beginn als die "Heldin" ihres Films vor. Kilinc "leistet wichtige und akribische Arbeit, nicht zu Showzwecken, nicht für den Ruhm und schon gar nicht für Geld", sagt Chapman.
Die Begeisterung ist nicht untertrieben, Kilinc liegt genau auf Chapmans Linie. Die Solidarität mit der Ukraine, die blau-gelben Fahnen, die nun seit Kriegsausbruch in Europa hängen, seien im Ergebnis Hetze gegen Russland, sagt Kilinc etwa und Chapman nickt zufrieden. In einem Einspieler nennt Kilinc die ukrainische Armee "Nazitruppe".
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Die Dokumentation ist gespickt mit solch russischen Propaganda-Erzählungen. Etwa, wenn die Besetzung von Teilen der Ostukraine als "Bürgerkrieg" bezeichnet wird, der die Region "heimgesucht" habe. Wenn es heißt, die ukrainische Armee hätte die Zivilbevölkerung in den selbsternannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk vor der russischen Invasion gezielt unter Beschuss genommen und so den Einmarsch Russlands unumgänglich gemacht. Diese seien als Schutztruppen dort. Es gleicht eins zu eins der Erzählung des Kremls, mit der dieser vor allem in den ersten Tagen der Invasion 2022 sein Treiben rechtfertigen wollte. Beweise legte der Kreml dafür nie vor, und auch Chapman reicht diese nicht nach.
Belege liefert sie nicht
Neu ist das, was Chapman macht, nicht. Sie nutzt die Methode vieler solcher Filme, die Verschwörungstheorien verbreiten. Zahlreiche verschiedene Szenen und Aussagen werden so zusammengeschnitten und miteinander vermengt, dass der Eindruck entsteht, alles hänge irgendwie zusammen – ohne dafür die nötigen Belege mitzuliefern.
Einige Beispiele: Die deutsche Nazi-Vergangenheit wird mit der angeblich nationalsozialistischen Ukraine gegengeschnitten. Soll sagen: Nazis unterstützen Nazis. Ganz gezielt wird das vermengt mit Bildern aus den Kriegsgebieten in der Ostukraine. Die Botschaft: Schaut her, das richtet die deutsche Unterstützung hier an – wieder tötet Deutschland russischsprachige Bürger. Die russischen Angriffe auf die ukrainische Zivilbevölkerung werden mit keinem Wort erwähnt.
Journalisten und die Frage nach dem Gas
Am stärksten scheint Chapman aber eine andere Frage zu beschäftigen: Wieso verhängt Deutschland Sanktionen gegen Russland, die die eigene Wirtschaft ebenfalls stark treffen? Diese taucht sowohl im Vorspann auf und wiederholt sich in der Mitte des Films. Auf der Suche nach einer Antwort wird es – wohl unfreiwillig – komisch.
"Deutsche Journalisten beschlossen der Frage auf den Grund zu gehen, warum Deutschland so abhängig von russischem Gas ist", sagt sie. Und fügt hinzu: "Dabei fanden sie heraus, dass Berlin viele Jahre vom billigen russischem Öl und Gas profitiert hat. Man sollte meinen, dass die Journalisten dankbar wären und die Wiederherstellung der Beziehungen zu Moskau fördern würden, oder?", sagt Chapman und reißt dabei immer wieder ihre Augen auf. Stattdessen aber seien die namenlosen Journalisten der Meinung, der russische Präsident Wladimir Putin sei an den Problemen Deutschlands Schuld.
Prosperieren könne Deutschland nur mit Russland
Dass die Sanktionen damit zu tun haben, dass ihr Heimatland einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen einen souveränen Staat begonnen hat, kommt ihr nicht in den Sinn. Stattdessen kehrt sie in ihrer Argumentation zu den USA zurück, die – wie bereits am Anfang behauptet – Deutschland auf einen antirussischen Kurs trieben. Prosperieren könne Deutschland aber nur, so bestätigten es ihre angeblichen Experten, in Freundschaft mit Russland. Dahin müsse Russland Deutschland nun drängen, befindet einer ihrer Gesprächspartner.
Chapman selbst schließt mit einem Satz, der einen nicht nur nach ihren Ausführungen in ihrer "Dokumentation", sondern auch vor dem Hintergrund des Angriffes auf die Ukraine ungläubig zurücklässt. Sie sagt: "Deutschland und Russland brauchen einander, damit es in Europa nie wieder einen Krieg geben wird."
- Eigene Recherche
- RT DE: Alarmstufe "Rot": Warum ist Deutschland so versessen auf Krieg?