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Räumung von Lützerath: "Das ist Populismus, was Sie hier machen"


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Hitzige Stunden vor der Lützerath-Räumung
"Dann zieh deine Polizisten zurück"

Von Tobias Eßer, Erkelenz

Aktualisiert am 11.01.2023Lesedauer: 4 Min.
Die Polizei hat am Dienstag bereits erste Barrikaden und Demonstranten weggetragen: Die Stimmung ist vor Ort ist aufgeladen.Vergrößern des Bildes
Die Polizei hat am Dienstag bereits erste Barrikaden und Demonstranten weggetragen: Die Stimmung ist vor Ort ist aufgeladen. (Quelle: Christoph Hardt/imago-images-bilder)

Lützerath soll für die Kohlegewinnung weichen, Aktivisten haben das Dorf blockiert. Polizeipräsident, Landrat und Bürgermeister wollen sich nun den Fragen der Bürger stellen – und geraten in hitzige Wortgefechte.

Als die ersten "Buh"-Rufe schon zu Beginn der Veranstaltung durch den Raum hallen, zeigt sich, wie aufgeladen die Stimmung ist. Es ist Dienstagabend, das Forum um Berufskolleg Erkelenz ist gut gefüllt. In nicht einmal mehr 24 Stunden will die Polizei das Dorf Lützerath räumen, es soll einem Kohle-Tagebau weichen. Die Stimmung ist aufgeheizt, die Fronten klar.

Auch im Erkelenzer Saal: Auf den Zuschauerplätzen Bürger und Aktivisten. Auf dem Podium der Aachener Polizeipräsident Dirk Weinspach, der zuständige Landrat Stephan Pusch und Stephan Muckel, der Bürgermeister der Gemeinde.

Eigentlich sollen an diesem Abend die Bürger informiert werden, doch der Termin wird zu einem Offenbarungseid. Denn vor allem Landrat Pusch reagiert äußerst dünnhäutig auf die Wortmeldungen – und lässt sich sogar auf hitzige Wortgefechte ein.

"Buh"-Rufe im Publikum

Vom Start weg herrscht an diesem Abend eine konfrontative Stimmung. "Ab sofort ist mit dem Beginn der Räumung zu rechnen", sagt Polizeipräsident Weinspach, das Publikum quittiert die Ankündigung mit "Buh"-Rufen. Als der Landrat Pusch die Worte "Ich habe die Allgemeinverfügung (auf deren Basis Lützerath geräumt wird, Anm. d. Red.) unterzeichnet und die Polizei um ihre Durchführung gebeten" hinterher schiebt, wird es im Saal laut. "Buh" und "Pfui" schallt es durch den Raum. Schnell wird klar: Eine überwältigende Mehrheit im Saal ist gegen das Abbaggern der Kohle und die Zerstörung von Lützerath.

Doch der Heinsberger Landrat lässt sich nicht beirren. Lützerath sei von den Aktivisten zum Armageddon, zum letzten Kampf gegen die Kohle, hochstilisiert worden. "Die meisten Einwohner haben die Räumung des Ortes akzeptiert", sagt er. Höhnisches Lachen ertönt als Antwort. Dass es zivilen Widerstand gegen die Räumung gab und viele Einwohner des Dorfes bis zuletzt in ihren Häusern blieben, verschweigt Pusch an dieser Stelle.

"Die Besetzer sind bereit, menschliches Blut zu vergießen"

Vor allem der Landrat scheint an diesem Abend von den Reaktionen, die ihm entgegenschagen, überfordert zu sein. Als etwa David Dresen aus Kuckum, einem weiteren Ort der Gemeinde, der eigentlich zugunsten der Kohleförderung zerstört werden sollte, das Podium fragt, mit welchen politischen Mitteln der Klimaschutz vorangetrieben werden solle, verliert der Landrat die Fassung: "Das müssen Sie Frau Neubaur (Anm. d. Red: Klimaschutzministerin NRW) und Herrn Reul (Anm. d. Red. Innenminister NRW) fragen. Aber die sind ja nicht hier. Wobei, Frau Neubaur ist ja sogar von den Grünen. Aber die sind ja die neue CDU und an allem schuld".

Mit einem anderen Bürger verstrickt er sich in ein Wortgefecht: Wolfgang Genten aus Aachen meldet sich zu Wort, merkt in Richtung des Podiums an: "Sie bauen gemeinsam mit RWE unter gewaltigem Materialeinsatz die Räumungsstruktur aus und nennen es Deeskalation – obwohl eigentlich das Gegenteil passiert."

Man bewege sich im Rahmen des Gesetzes, antwortet Pusch und fügt hinzu: "Sie allerdings nehmen sich den Anspruch hinaus, sich darüber hinwegzusetzen." Die Antwort folgt prompt. "Das ist ziviler Ungehorsam, darauf gibt es auch ein Recht!", erwidert Genten. "Und wenn dann morgen jemand kommt und sagt 'Windkraft ist böse', was machen Sie dann?", wirft ihm der Landrat entgegen. Genten schaut ihn an: "Das ist Populismus, was sie hier machen".

"Die Besetzer sind bereit, menschliches Blut zu vergießen"

Besonders konfrontativ wird die Diskussion allerdings zwischen Aktivisten und dem Landrat. "Wir können die Diskussion über die Kohle in einem demokratischen Rahmen führen", sagt Pusch. Die Aktivisten seien daran allerdings nicht interessiert. "Für mich überschreitet die Gewalt, die in Lützerath vorbereitet wird, eindeutig eine Grenze. Die Besetzer sind bereit, menschliches Blut zu vergießen".

Er verstehe generell nicht, warum es überhaupt noch Protest gebe: "Die Symbolpolitik ist doch erreicht", ruft der Landrat in den Raum. "Man muss doch jetzt nicht für einen außergesetzlichen Kampf Menschenleben riskieren". Wieder reagieren Teile des Publikums im Raum mit höhnischem Gelächter und "Pfui"-Rufen, irgendjemand ruft "Dann zieh deine Polizisten zurück" durch den Saal.

Schlagabtausch mit Klimaaktivisten

"Wenn nicht irgendwann Schluss ist mit dem Abbaggern der Kohle, können wir das 1,5-Grad-Ziel vergessen", sagt Winfried Bernhard, einer der Sprecher der Klimaschutzgemeinschaft von Extinction Rebellion und fragt Landrat Putsch direkt: "Wie wollen Sie das mit ihrer Politik überhaupt noch erreichen?"

"Das haben die Regierungen in Berlin und Düsseldorf zu entscheiden", reagiert Pusch gereizt. "Die sind im Gegensatz zu Ihnen nämlich demokratisch gewählt und deren Entscheidungen habe ich als Bürger zu akzeptieren. Und sie besetzen einfach widerrechtlich einen Ort und sagen: 'Wir retten dieser dummen Regierung jetzt das 1,5-Grad-Ziel'. Das ist doch keine Lösung", sagt Pusch weiter.

Mit der Antwort des Landrats ist Bernhard nicht zufrieden. "Wenn wir kein sicheres Klima mehr haben, können wir alle einpacken", sagt der Extinction-Rebellion-Sprecher. Pusch schießt zurück: "Was machen sie denn konkret, um dieses Ziel zu erreichen?"

Applaus für den Bürgermeister

Erkelenz' Bürgermeister Stephan Muckel hingegen ist an dem Abend auf Ausgleich bedacht. "Der aktuell gewählte Rat der Stadt Erkelenz lehnt den Tagebau in seiner Grundlage ab", sagt der CDU-Politiker. "Deshalb habe ich mich geweigert, die Allgemeinverfügung zur Räumung des Dorfes Lützerath zu unterschreiben." Applaus im Saal. Aber auch Muckel warnt eindringlich vor Gewalt: "Wir wollen keine Leichtverletzten, keine Schwerverletzten – an Schlimmeres mag ich nicht denken." Was der Bürgermeister von den Protesten hält, hat er t-online in einem Videointerview berichtet.

Auch Dirk Weinspach, neben seiner Rolle als Aachener Polizeipräsident auch Mitglied der Grünen, versucht, die Situation zu beruhigen. "Ich antworte Ihnen jetzt nicht als Polizist, sondern als Privatmensch. Die Sorge, was passiert, wenn wir das 1,5-Grad-Ziel verfehlen, kann ich gut verstehen", sagte er. "Ich respektiere Ihr Engagement und habe die Hoffnung, dass unsere Politik die richtigen Entscheidungen trifft."

Verwendete Quellen
  • Recherche vor Ort
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