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Tag der Deutschen Einheit: "Es wird auf sehr hohem Niveau gejammert"


Tag der Deutschen Einheit
"Es wird auf sehr hohem Niveau gejammert"


02.10.2024 - 23:46 UhrLesedauer: 4 Min.
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Monika Schaefer und Michael Brack: Die t-online-Nutzer wuchsen in unterschiedlichen Systemen auf.Vergrößern des Bildes
Monika Schaefer und Michael Brack: Die t-online-Nutzer wuchsen in unterschiedlichen Systemen auf. (Quelle: t-online / Heike Aßmann)

Vereint oder gespalten? Zum Tag der Deutschen Einheit verraten ost- und westdeutsche t-online-Leser, wie sie zur Wiedervereinigung und den Wahlergebnissen im Osten stehen.

Seit 1990 erinnert der 3. Oktober jedes Jahr an die Wiedervereinigung Deutschlands. Nach mehr als drei Jahrzehnten ist die Deutsche Einheit längst vollzogen und kein Thema mehr, oder etwa nicht? Angesichts der jüngsten Wahlergebnisse fragt sich mancher Bürger, wie geeint die Nation wirklich ist.

Ein ehemaliger Stasi-Häftling aus Brandenburg und eine Westdeutsche mit Ostverwandtschaft berichten von ihren Erfahrungen mit der Wende und wie sie die Wahlergebnisse einschätzen.

Michael Brack, Brandenburg

Michael Brack wurde 1949 in Westberlin geboren, zog aber als Junge in den Ostteil der Stadt, weil seine Familie dort ein Haus erbte. Als er zwölf Jahre alt war, wurde die Mauer errichtet. Bis dahin konnte er problemlos seine geliebte Oma in Neukölln besuchen, dann war es kaum noch möglich. "Da war schon mein erster Bruch mit dem Staat DDR", verrät er.

Als er 1969 gegen die gewaltsame Niederschlagung des Prager Frühlings demonstrierte, wurde der damals 20-Jährige von der Stasi verhaftet und saß ein Vierteljahr im Stasi-Gefängnis. "Nach dem Gefängnis war in der DDR keine große Karriere mehr möglich", sagt er. Ein Schauspielstudium musste er abbrechen, als er zum Wehrdienst eingezogen wurde.

Studenten wurden in der Regel zwar nicht eingezogen. "Aber so bösen Leuten wie mir musste man ja zeigen, wo der Hammer hängt. Ich habe in meinen Stasi-Akten einen Vermerk gefunden, dass die Armee dafür sorgen soll, dass der Brack nicht mehr auf Kosten der DDR studiert."


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So bösen Leuten wie mir musste man zeigen, wo der Hammer hängt.


Michael Brack, Brandenburg


Nach dem Zwangsdienst war sein Plan, in den Westen zu gehen. "Ich hatte in der DDR keine Zukunft mehr für mich gesehen, habe dann aber meine Frau kennengelernt, mit der ich heute noch zusammenlebe." Also blieb er und züchtete Schafe auf einem Bauernhof, den seine Frau und er sich mithilfe seiner Eltern leisten konnten.

Michael Brack glaubte, nichts mehr mit der Stasi zu tun haben zu müssen, doch das war ein Irrtum. Bis Anfang der Achtzigerjahre wurden er und seine Frau überwacht. Das erfuhren sie jedoch erst Jahrzehnte später.

Die einzigen positiven Aspekte der DDR waren für ihn die formale Gleichberechtigung der Frau sowie das zentrale Schulsystem. Dem Rest weint er keine Träne nach. 1990 wählten ihn die Bürger seiner brandenburgischen Gemeinde zum Bürgermeister, ein Amt, das er acht Jahre lang innehatte.

Bis zum Renteneintrittsalter war er als Geschäftsführer einer Kultureinrichtung tätig, ist jetzt ehrenamtlicher Richter eines Verwaltungsgerichts und arbeitet zudem gelegentlich in der Gedenkstätte Hohenschönhausen, dem ehemaligen Stasi-Gefängnis.

Auf die Frage, ob er die Wiedervereinigung für gelungen hält, antwortet er mit einem eindeutigen Ja. Ihn stört, dass Menschen sich heutzutage oft beschweren. "Sehr viele Leute in den ostdeutschen Ländern haben Dinge, von denen sie vor der Wiedervereinigung nur hätten träumen können. Autos, Reisen und andere Dinge können sie sich nun leisten. Da wird auf einem sehr hohen Niveau gejammert."


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Es wird auf sehr hohem Niveau gejammert.


Michael Brack, Brandenburg


Das sei jedoch nicht nur bei Ostdeutschen zu beobachten: "In Schleswig-Holstein und Bayern wird genauso gemeckert, wenn etwas nicht gleich funktioniert oder nicht nach dem Willen der Bürger läuft."

Die Wahlergebnisse in seinem Bundesland machen den Grünen-Wähler traurig. "Viele erkennen die Chancen nicht, die die Demokratie mit sich bringt. Sie laufen den Rattenfängern mit ihren Parolen in die Falle."

Der 75-Jährige könne Menschen nicht per se als Ost- oder Westdeutsche identifizieren. "Ich sehe da keine Unterschiede. Die regionalen werden bleiben, Gott sei Dank. Denn das macht den Reiz einer Region aus. Ich beurteile Menschen nicht danach, wo sie herkommen, sondern danach, wie sie handeln und wie sie denken."

Video | Deutsche Einheit: Sind Ost und West gespaltener denn je?
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Quelle: t-online

Monika Schaefer, Hamburg

Monika Schaefer hatte immer Kontakt zu ihrer Ostverwandtschaft, auch als die Mauer noch stand. Jährlich besuchten sie und ihre Eltern ihre Tanten "drüben". Die Grenzkontrollen mit den Schäferhunden empfand sie als belastend, erinnert sie sich. Sie hatte Angst, beim Schmuggeln von Westprodukten erwischt zu werden.

Auch wenn der damaligen Bremerin bewusst war, dass es mit der DDR nicht mehr lange weitergehen würde, kam die Wende für sie sehr plötzlich. "Damit hatten wir nicht gerechnet, dass das möglich war. Das war eine unfassbare Freude, dass unsere Verwandten einfach rüberkommen konnten. Ich bin jetzt noch ganz emotional, wenn ich daran denke."


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Ich bewundere die Politiker, die im Osten für die Demokratie kämpfen.


Monika Schaefer, Hamburg


Sie stört, ebenso wie Michael Brack, wenn Ostdeutsche heute über den Staat schimpfen: "Ich will nicht die blöde Dankbarkeitsmasche aufbringen, aber ich glaube, es ist bei vielen vergessen worden, was es für ein Gefühl ist, eingesperrt zu werden, in einer Diktatur zu leben, seine Meinung nicht sagen zu dürfen, weil man bespitzelt wird, weil man vielleicht ins Gefängnis kommt."

Die Ergebnisse der Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg bestürzen Monika Schaefer: "Das ist für mich ganz gruselig, erschütternd und macht mich unglaublich traurig. Ich verstehe nicht, wie das so möglich ist. Ich bewundere die Politiker, die im Osten für die Demokratie kämpfen." Dennoch ist es ihr wichtig, nicht alle Menschen über einen Kamm zu scheren.

"Es gibt solche und solche", sagt die Hamburgerin in Bezug auf Ost- und Westdeutsche. Insgesamt findet sie, dass die Unterschiede zwischen ihnen gar nicht mehr so groß ausfallen: "Die geistige und menschliche Ausstattung ist schon enorm angeglichen." Bis sie ganz verschwunden sind, wird es vielleicht noch zwanzig Jahre brauchen, sagt sie.

Verwendete Quellen
  • Videointerviews mit den t-online-Nutzern Michael Brack und Monika Schaefer
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