Absehbares Ende der Ampel Er ist gescheitert
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Die Ampel ist am Ende. Jetzt endgültig. Lindners Papier, Habecks Papier: Das sind Dokumente der inneren Zerrüttung. Dem Kanzler ist seine Koalition entglitten.
Zu Beginn eine Geschichte von und über Olaf Scholz, die Sie noch nicht kennen. Sie hat sich wirklich so zugetragen, das ist verbürgt. Also: Wir gehen kurz zurück in die Zeit vor der letzten Bundestagswahl. Scholz ist noch nicht Kanzler, aber Kandidat. Im Kreis seiner engsten Mitarbeiter wird über den Wahlkampf gesprochen, auch darüber, ob der leise Hanseat die Menschen wirklich erreicht. Scholz beruhigt seine Leute mit einem Gleichnis: Stellt euch vor, ihr wollt als Passagiere mit einem Schiff auf hohe See hinausfahren. Im Hafen bewerben sich mehrere Kandidaten um den Job des Kapitäns. Der eine sieht besonders gut aus. Der andere kann besonders gut reden. Und dann ist da einer, der viel Erfahrung und die nötige Ausbildung hat, ein Schiff auch durch schwere See zu steuern. Wen würdet ihr wählen?
Klar, den erfahrenen Olaf, der die Navigation beherrscht. Den Mann, der im Sturm die Nerven nicht verliert. Den haben Sie ja auch gewählt, jedenfalls viele von Ihnen – sonst wäre er heute nicht Bundeskanzler.
Zur Person
Uwe Vorkötter gehört zu den erfahrensten Journalisten der Republik. Seit vier Jahrzehnten analysiert er Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, er hat schon die Bundeskanzler Schmidt und Kohl aus der Nähe beobachtet. Als Chefredakteur leitete er die "Stuttgarter Zeitung", die "Berliner Zeitung" und die "Frankfurter Rundschau". Er ist Herausgeber von "Horizont", einem Fachmedium für die Kommunikationsbranche. Nach Stationen in Brüssel, Berlin und Frankfurt lebt Vorkötter wieder in Stuttgart. Aufgewachsen ist er im Ruhrgebiet, wo man das offene Wort schätzt und die Politik nicht einfach den Politikern überlässt. Bei t-online erscheint jeden Dienstag seine Kolumne "Elder Statesman".
Aber was ist aus dem stolzen Schiff geworden? Die MS Deutschland gleicht einem havarierten Seelenverkäufer, der richtungslos auf dem Ozean dümpelt. Ein paar schwere Stürme haben ihr zugesetzt, Wasser dringt ein, im Maschinenraum streiken die Seeleute. Der Erste Offizier will nach Backbord steuern, dort ist angeblich der rettende Hafen, der zweite vermutet ihn auf der Steuerbord-Seite. In der Kombüse gehen die Vorräte aus, im Casino meutert das Führungspersonal. Der Kapitän sagt, keine Sorge, ich weiß, was zu tun ist. Was zu tun ist, sagt er nicht.
Das ist die Lage: Es ist vorbei. Der Bundeskanzler hat die Kontrolle über sein Schiff, die Koalition, verloren. Das liegt nicht allein an ihm. Seine Partner, die Grünen und die FDP, konnten gemeinsam Politik machen, solange es um Cannabis und das dritte Geschlecht ging. Und solange Geld keine Rolle spielte. Jetzt ist das Geld alle, es geht um die Zukunft der deutschen Wirtschaft, und nichts verbindet sie außer der gegenseitigen Abneigung. Scholz kann die Gegensätze nicht mehr überbrücken, zwischen Lindners Sparpolitik und Habecks Ausgabenpolitik gibt es keinen dritten Weg. Der Kanzler hat seine Koalition verloren. Er ist gescheitert.
Anleihen bei Gerhard Schröder
Alles, was jetzt passiert, ist bereits Folge dieses Scheiterns. Scholz sucht den Schulterschluss mit der Industrie. Er nimmt Anleihen bei Gerhard Schröder, der sich einst als Autokanzler und als Genosse der Bosse inszenierte. Aber was bei Schröder eine imposante Geste war, wirkt bei Scholz schüchtern und verdruckst. Was hat er mit den Chefs der Dax-Konzerne besprochen? Hat er einen Plan für den volkseigenen Betrieb in Wolfsburg? Man weiß es nicht, alles vertraulich, der Dialog wird fortgesetzt. Die Botschaft sollen wir trotzdem verstehen: Scholz redet mit den Chefs, aber vor allem hat er, der Sozialdemokrat, die Beschäftigten im Blick. Der Kanzler kümmert sich um Standorte, um Arbeitsplätze. Persönlich. Ohne Lindner, ohne Habeck. Olaf Scholz, der Betriebsrat der Republik.
Das ist bereits die vierte Rolle, die Scholz als Kanzler spielt. Zuerst war er der Fortschrittskanzler, der Deutschland modernisieren, transformieren und digitalisieren wollte. Als Putin die Ukraine überfiel, wurde er notgedrungen zum Krisenkanzler. Schon kurz darauf mutierte er zum Übergangskanzler, der seine disharmonische Koalition nur noch einigermaßen unbeschadet durch den Rest der Wahlperiode bringen wollte. Daraus wird nichts. Jetzt versucht der Industriekanzler, für den aufziehenden Wahlkampf zu retten, was nicht mehr zu retten ist.
Olaf Scholz trat sein Amt mit einem markigen Spruch an: "Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch." Vielleicht sollte das eine Drohung sein, vielleicht ein Versprechen. Erfüllt hat er die Ankündigung nie. Ja, er rief die Zeitenwende aus, als der Krieg in der Ukraine begann, er leitete die Kehrtwende in der Verteidigungspolitik ein. Das war richtig. Aber nach dem 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr war sein Elan schnell erschöpft, die Finanzierung der Landesverteidigung ist heute wieder so unsicher wie zuvor.
Die Bedrohung ist Alltag
Scholz berief sich immer wieder auf seinen Führungsanspruch. Zum Beispiel, als er eine andere, viel strengere Migrationspolitik ankündigte. In der parlamentarischen Praxis ist davon nicht viel übrig geblieben. Als er eine Kehrtwende für mehr innere Sicherheit versprach – aber seine Innenministerin verlor sich im Detail. Scholz erklärte mit der ganzen Autorität seines Amtes, jüdisches Leben dürfe in Deutschland nie mehr von Antisemiten bedroht werden. Die Bedrohung ist Alltag.
Wenn der Kanzler seine verfassungsmäßig verbriefte Richtlinienkompetenz tatsächlich nutzte, ging es um Kleinigkeiten: Drei Monate liefen die letzten Atommeiler länger als geplant – diese Richtlinien-Entscheidung war für die Energieversorgung des Landes irrelevant. Einmal wies er die grüne Außenministerin an, einen Asylkompromiss in Brüssel nicht länger zu blockieren, einmal den grünen Wirtschaftsminister, gegen Strafzölle auf E-Autos aus China zu stimmen. Die Strafzölle sind jetzt trotzdem in Kraft.
Auf der europäischen Ebene hat Scholz es mit der Führung erst gar nicht versucht. Das größte Land der EU hat sich in seiner Amtszeit in wichtigen Fragen enthalten müssen, weil die Ampel sich intern nicht einig war – der Begriff "German Vote" ist zum verbreiteten Spott in Brüssel geworden. So war es auch beim Lieferkettengesetz, das gerade in Lindners Papier wieder eine wichtige Rolle spielt – wegen der neuen Bürokratie, die es in die Unternehmen trägt. "Das kommt weg", hat der Kapitän Scholz den Wirtschaftskapitänen vor zwei Wochen kurz und bündig versprochen. Aber das kommt nicht weg. Der Kanzler verspricht viel.
Eine Geschichte der Enttäuschungen
Bei allen internen Querelen, trotz aller tiefgreifenden politischen und weltanschaulichen Differenzen, die Rot, Gelb und Grün trennen: Auf der internationalen Bühne kann, könnte der Kanzler des größten EU-Landes glänzen. Er hätte glänzen können. Aber Olaf Scholz hat keine Ambition erkennen lassen, die EU im Innern zu reformieren und ihre geopolitische Rolle nach außen zu stärken. Scholz und Macron: Das ist ein Nicht-Verhältnis. Scholz und Tusk: Das ist eine Geschichte der Enttäuschungen. Scholz und von der Leyen: Die beiden Deutschen verbindet eine dröge Arbeitsbeziehung, nicht mehr.
Stattdessen hat Olaf Scholz seine außenpolitischen Aktivitäten an Joe Biden ausgerichtet, vor allem wenn es um die Unterstützung der Ukraine ging. Hinter dem breiten Rücken der Amerikaner kann man sich gut verstecken. Wie lange wird Good Old Joe noch im Amt sein? Ach so.
Sie können einwenden, es ist doch ungerecht, das Scheitern der Ampel und den Stillstand in Europa dem Kanzler in die Schuhe zu schieben. Ja, die Koalition ist auch an Habeck und vor allem an Lindner gescheitert. Und in der EU reden noch 26 andere Regierungen mehr oder weniger gleichberechtigt mit. Aber das war auch bei Merkel so; trotzdem war ihre Führungsrolle in Brüssel unbestritten. Scholz führt weder in Brüssel noch in Berlin. Hat er noch eine Mehrheit im Bundestag? Nein, eine Vertrauensfrage würde er nicht überstehen.
Das Amt ist eine Nummer zu groß
Das Gleichnis vom vielleicht etwas glanzlosen, aber fachkundigen und zuverlässigen und besonnenen Kapitän steht für die Selbstwahrnehmung von Olaf Scholz. Die Wahrnehmung von außen ist eine ganz andere. Da hat der Kapitän sein Schiff nicht auf Kurs halten können, die Passagiere haben das Vertrauen in ihn längst verloren. Auch wenn das hart klingt: Das Kanzleramt war für Olaf Scholz eine Nummer zu groß. Pardon, das Amt ist eine Nummer zu groß.
Noch, aber das geht jetzt zu Ende. An Nikolaus ist GroKo-Aus, reimte Kevin Kühnert einst über die Große Koalition. Ersetzen Sie GroKo durch Ampel, dann liegen Sie richtig.
- Eigene Überlegungen und Erlebnisse