Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Abschiedsängste eines Ministerpräsidenten Das Ende ist nah
Das himmlischste politische Amt in Deutschland? Ministerpräsident eines schönen Bundeslandes. Bodo Ramelow weiß deshalb, welcher Verlust ihm in Thüringen droht. Eine Aussicht, die ihn etwas wirr und wuschig macht.
Manche Reportereindrücke sind etwas fürs ganze Leben. Ihre Bilder gehen nie aus dem Kopf. Das können kleine Momente sein wie jener, als Angela Merkel einmal im Flugzeug in diesem winzigen fliegenden Konferenzraum, in dem wir ihr immer beinahe auf dem Schoß saßen, das streikende Mikrofon auf seine Funktion testete: indem sie erst hineinpustete und es sich dann prüfend ans Ohr hielt. Eine Szene von allergrößtem Liebreiz, die mir noch heute ein Lächeln ins Gesicht zaubert, wenn ich an sie denke.
Das können aber auch große Sachen sein wie die alljährliche Sommerreise eines Ministerpräsidenten in einem deutschen Bundesland, das sich Bacchus vermutlich als Bleibe unter allen deutschen Ländereien ausgesucht hätte. Bezaubernde Landschaften, schlängelnde Flüsse mit endlosen Weinterrassen auf der Sonnenseite. In Flussschleifen hineingekuschelte Fachwerkdörfer, erlesene Weine, herzhaftes Essen, lebensfrohe Menschen und ein ausgesprochen mildes Klima.
Zur Person
Christoph Schwennicke ist Politikchef und Mitglied der Chefredaktion von t-online. Seit fast 30 Jahren begleitet, beobachtet und analysiert er das politische Geschehen in Berlin, zuvor in Bonn. Für die "Süddeutsche Zeitung", den "Spiegel" und das Politmagazin "Cicero", dessen Chefredakteur und Verleger er über viele Jahre war. Bei t-online erscheint jeden Donnerstag seine Kolumne "Einspruch!"
Im Laufe der ersten Mitreise rief ich meinen damaligen Chef an, der den gleichen Vornamen hatte wie jener den Menschen und Genüssen seiner Gebietskörperschaft zugewandte Landesvater: "Du, Kurt", quoll es im Eindruck all dieser Sinnenfreuden aus mir heraus, "dieses Essen, dieser Wein, diese Landschaften! Und alle freuen sich und huldigen dir, wenn du des Weges kommst: Ministerpräsident hier, das ist der schönste Job der Welt!" Weinköniginnen umarmen, Menschen mit Umgehungsstraßen beglücken, und über den Bundesrat in der Bundespolitik mitmischen. Herrlich.
"Aus Wurst und Wein gebacken, gar hotzenplotzig anzuschau’n", hat einmal ein Kollege der "FAZ" unvergessen über Kurt Beck, den Reiseleiter dieser Exkursionen durch diesen Vorgarten zum Paradies, im Versmaß gedichtet.
Nun ist Bodo Ramelow nicht so dieser Becksche Typ, wirkt eher asketisch-protestantisch, aber selbst wenn der Wein hier (noch?) nicht so gedeiht: Sein Thüringen geizt ebenso wenig mit Reizen wie Rheinland-Pfalz. Sodass man alles Verständnis der Welt dafür aufbringen muss, wenn er bei dem Gedanken leidet, dass sein Dasein als Ministerpräsident bald wahrscheinlich ein jähes Ende finden wird.
Das vergangene Mal hat es schon nur so mit Hängen und Würgen gereicht, Stichwort: FDP-Kemmerich und der Blumenstraußwurf; politisch Interessierte werden sich erinnern. Manche in der Landespolitik sesshafte Kollegen schrieben schon damals was von einem Ministerpräsidenten, der an seinem Stuhl klebe.
Sein heiliger Zorn
Jetzt sieht es in den Umfragen noch schlechter aus. Je näher also der Wahltermin des 1. September rückt, umso verzweifelter und auch wirrer kämpft Bodo Ramelow gegen sein Schicksal an, das eng mit dem Namen Sahra Wagenknecht verbunden ist. Seit Wochen stänkert, stichelt und teufelt er über die abtrünnige Ex-Parteifreundin und deren Bündnis, das in Thüringen seine politische Premiere geben wird und drei Wochen vorher weitaus besser dasteht als Ramelows Linke.
Ramelows heiliger Zorn richtet sich deshalb auf die CDU. Deren Spitzenkandidat Mario Voigt sei zwar offenbar bereit zu einer Zusammenarbeit mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht, erregte sich Ramelow dieser Tage in einem Interview. Für seine Linke aber gelte das jedoch nicht wegen ihrer SED-Vergangenheit. Allerdings, Achtung!, sei es nun mal so, dass Wagenknecht in der SED gewesen sei, er selbst aber nicht. Nimm doch lieber mich!, will Ramelow Voigt wohl bedeuten.
Das hört sich erst mal so weit gut an. Wenn man aber der Logik zu ihrem Recht verhelfen möchte, dann ist das zwar in der Sache richtig, aber als Argument rachitisch. Wagenknecht war wie Ramelow in jener mehrmals mutierten Partei, die, ja, aus der Partei hervorging, die zum Beispiel für die mindestens 140 an der innerdeutschen Grenze erschossenen Menschen verantwortlich war.
In genau diese Nachfolgepartei ist aber Ramelow seinerzeit eingetreten und Wagenknecht jetzt ausgetreten. Er versucht sich also 30 Jahre später an einer Rote-Socken-Kampagne. Aber nicht wie seinerzeit die schwarze CDU. Sondern als rote Socke. Es ist übrigens nicht aktenkundig, dass Ramelow sich über seine Nach-wie-vor-Parteifreunde Gregor Gysi und Dietmar Bartsch echauffierte. Beide waren wie Wagenknecht ebenfalls in der SED. Der eine, Bartsch, seit 1977. Gysi fungierte zu Wendezeiten sogar als deren Vorsitzender.
Insofern bleibt es zwar in der inneren Logik des Bodo Ramelow, aber trotzdem schräg, was derzeit in den Straßen Jenas und Erfurts zu besichtigen ist: ein sympathisch lächelnder Ministerpräsident auf einem Plakat. Mit der Dachzeile: "Was Thüringen zusammenhält:" Schlagzeile: "Nähe und Vertrauen". Ramelows Variation auf das berühmte "Sie kennen mich!" von Angela Merkel. So weit, so normal. Nur findet sich auf dem Plakat nirgends auch nur ein Fitzelchen von Hinweis, für welche Partei dieser Amtsinhaber denn antritt. Kein Logo, keine einschlägigen CI-Farben, nichts.
Drei Wochen bleiben dem leicht panischen Bodo Ramelow nun noch, das Schicksal abzuwenden oder sich in selbiges zu fügen. Nicht mehr das schönste Amt in der deutschen Politik innezuhaben. Obendrein dürfte es mit der Linken als Partei spätestens in einem Jahr zu Ende gehen. Aber die verleugnet Ramelow ja auch jetzt schon.
Das soll ihm Trost und Hoffnung sein
Kurt Beck hatte nach einem überaus unglücklichen Intermezzo auf der Berliner Bundesebene für ein paar gute Jahre wieder ein froheres Leben als Vorsitzender der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung gefunden. Der Fall seines Kollegen aus Rheinland-Pfalz soll Ramelow ein Trost sein. So schwer es sein mag, sich ein Leben nach dem Ministerpräsidenten-Dasein vorzustellen: Es ist möglich.
- Selige Erinnerungen