Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Geldnot in der Zeitenwende Staat, speck doch mal ab
Die fetten Jahre sind in Deutschland bis auf Weiteres vorbei. Finanzminister Christian Lindner gebührt das Verdienst, im Unterschied zum Kanzler offen darüber zu reden. Was aber heißt das für den Staatsapparat?
Mit dem Staat und der Bevölkerung ist es ein bisschen wie mit einem alten Ehepaar. Man kennt sich, man weiß, was man aneinander hat und auch, was vielleicht nicht so. Irgendwie ist man eine Einheit, und doch dann wieder zwei. Denn die kleinen Schwachstellen wie etwa ein über die Jahre wachsendes Pläuzlein stechen beim Gegenüber abends auf dem Sofa mehr ins Auge als die Wölbung über der eigenen Gürtelschnalle.
So verhält es sich auch in der aktuellen Politik. Es fehlt Geld an allen Ecken und Enden, zugleich erfordert die militärische Zeitenwende und eine bei der Vorgängerregierung verrottete zivile Infrastruktur Investitionen in nie dagewesenen Dimensionen. Da fällt Finanzminister Christian Lindner die kleine Plauze beim Gegenüber auf und er schwört das Land und seine Bevölkerung darauf ein, dass die fetten Jahre vorbei sind und der Gürtel nicht nur enger geschnallt werden muss, sondern sogar noch um ein Loch verkleinert. Abschlagsfreie Rente mit 63, Kindergrundsicherung und andere soziale Wohltaten sind für ihn aus der Zeit gefallen, Relikte aus einem wohligen Gestern. Ein Lebensstandard wie bisher sei nicht weiter finanzierbar. Es ehrt den Liberalen dabei, dass er im Unterschied zum Buddha-Kanzler nicht das Märchen erzählt, alles könne einfach so weitergehen.
Und doch sei an der Stelle ein Hinweis erlaubt: Bevor ich auf den kleinen Bauchansatz meiner Partnerin schaue, mich frage, ob sie noch fit genug ist für die nächste Tour mit dem Fahrrad – und das schlimmstenfalls dann auch noch thematisiere: Vielleicht mal den Blick senken und an sich selbst herniederschauen? Und sich fragen, ob da nicht auch ein bisschen viel Hüftgold sitzt?
Zur Person
Christoph Schwennicke ist Politikchef und Mitglied der Chefredaktion von t-online. Seit fast 30 Jahren begleitet, beobachtet und analysiert er das politische Geschehen in Berlin, zuvor in Bonn. Für die "Süddeutsche Zeitung", den "Spiegel" und das Politmagazin "Cicero", dessen Chefredakteur und Verleger er über viele Jahre war. Bei t-online erscheint jeden Donnerstag seine Kolumne "Einspruch!". Alle Artikel lesen Sie hier.
Die Staatsquote, also der Anteil der staatlichen Ausgaben am Bruttoinlandsprodukt nähert sich wieder den 50 Prozent. Aber um die Staatsquote solle es gar nicht in erster Linie gehen, sondern um den Staatsapparat im engeren Sinne: Ministerien, Behörden und staatliche Einrichtungen, Doppelstrukturen, Blähapparate, Sonderbehörden, wie sie in den vergangenen Jahren immer mehr geworden sind.
Oder die ebenfalls gerade von der Ampel stark aufgestockten Bundesbeauftragten, Sonderbeauftragten und Koordinatoren. 45 gibt es davon inzwischen. Darunter so illustre wie die "Bundesbeauftragte für die Behandlung von Zahlungen an die Konversionskasse", den "Sonderbeauftragten der Bundesregierung für die Neustrukturierung der Verwaltung und Dezentralisierung in der Ukraine" und erfrischenderweise auch einen "Koordinator der Bundesregierung für Bessere Rechtsetzung und Bürokratieabbau".
Es sollen jetzt gar nicht allzu viele herausgepickt werden aus der Liste, die frei einsehbar ist. Einfach mal draufklicken und staunen. Und dann im Kopf haben, dass hinter jedem dieser Posten ein Stab von bis zu einem halben Hundert Mitarbeitern steht.
Dann die Mitarbeiterzahlen der Bundesministerien. Schon klar, dass das Auswärtige Amt da mit 13.762 (Stand 2023) Leuten weit vor dem zweitplatzierten Bundesverteidigungsministerium mit 3.000 Stellen liegt. Aber müssen es, Botschaften in aller Welt hin oder her, wirklich so viele Menschen sein, wie eine Kleinstadt Bewohner hat? Müssen es zusammengenommen mehr als 34.000 Beschäftigte in den 14 Bundesministerien sein? Zuzüglich der 620 im Bundeskanzleramt. Und warum müssen eigentlich 30 Jahre nach der Wiedervereinigung immer noch sechs der Ministerien ihren Hauptsitz in Bonn haben, was seit Jahrzehnten auch im Zeitalter von Zoom und Co. eine große Pendelei mit dem Flugzeug bedeutet?
Muss so viel Geld für Bella Figura sein?
Und, etwas kleinteiliger, zugegeben: Muss es wirklich sein, dass Außenministerin Annalena Baerbock in zwei Monaten mehr als 11.000 Euro für Friseure und Visagisten ausgegeben hat, wie Regierungssprecher Steffen Hebestreit unlängst einräumte? Tun es nicht auch knapp 2.500 Euro, die die optische Optimierung des Kanzlers im gleichen Zeitraum gekostet hat? Oder die 300 Euro, die bei den Kabinettskollegen Hubertus Heil und Klara Geywitz angefallen sind? Natürlich soll die deutsche Außenministerin in der Welt Bella figura machen, aber geht's da nicht auch eine Nummer kleiner?
Öffentliche Verwaltungen haben die offenbar unausrottbare Eigenschaft, Bundesrechnungshof hin oder her, sich aufzublähen wie ein Pferd beim Satteln. Beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk wird das immer wieder einmal kritisch thematisiert und infrage gestellt.
Wieso geht die Bundesregierung nicht mit gutem Beispiel voran und zeigt, was "Zeitenwende" für aufgeblähte Staatsapparate bedeutet? Niemand erwartet davon die ganz große Einsparung, die mit Schnitten ins Soziale oder der Verweigerung neuer sozialer Segnungen einhergehen. Aber die Akzeptanz einer neuen Zeit der engeren Verteilungsspielräume würde eine solche Staatsdiät am eigenen Körper enorm steigern. Da bin ich mir ganz sicher.
- Eigene Überlegungen, https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/themen/ministerium/liste-beauftragte-bundesregierung.pdf?__blob=publicationFile&v=14; https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1380537/umfrage/mitarbeitende-der-bundesministerien-nach-ressort/