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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Anne Will" zur CDU-Krise "Können nicht 25 Prozent der Wähler in Quarantäne stellen"
Deutschland ist auf der Suche nach Alternativen. Aber wo bleiben die echten Lösungen? Söder will weder vor rechts noch vor links kapitulieren. Baerbock meint: Damit erweist die Union der Demokratie keinen Dienst.
Die Gäste
- Saskia Esken, SPD-Parteivorsitzende
- Annalena Baerbock, Parteivorsitzende Bündnis 90/Die Grünen
- Markus Söder, CSU-Parteivorsitzender und bayerischer Ministerpräsident
- Gerhart Baum (FDP), Innenminister a. D.
- Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur "Die Zeit"
Die Positionen
Thüringen hat gezeigt: Demokratie kann eine Zumutung sein und Haltung ist ein zweischneidiges Schwert. Bei der Haltung zur AfD waren sich die Anwesenden grundlegend einig. Die Frage ist bloß: Welchen politischen Handlungsauftrag zieht man daraus? "Mit solchen Leuten redet man nicht", reiche als stereotype Antwort nicht länger aus, warnte di Lorenzo. "Wir können doch nicht 25 Prozent der Wähler in den neuen Bundesländern wie nach so einer Corona-Erkrankung auf einem Kreuzfahrtschiff erst einmal in Quarantäne stellen. Irgendwann muss sich doch jeder die Frage stellen: Was hilft denn?", fragte der Journalist und kritisierte: "Es gibt meines Erachtens keinen sichtbaren Ansatz, wie man die AfD wieder eindämmt."
"Wer hält das Land noch zusammen?", fragte Anne Will angesichts des Offenbarungseids von Erfurt. Annalena Baerbocks Antwort: aufrechte Bürger. Die Grünen-Chefin warnte: "Ich finde es gefährlich, von Systemkrise zu sprechen." Denn damit werde die Wortwahl der AfD vom "System in der Krise" übernommen. Die Politik sei natürlich angeschlagen. "Was mir aber Hoffnung gibt: die Zivilgesellschaft", sagte Baerbock. Während Politiker auf Twitter dem FDP-Mann Thomas Kemmerich noch zur Ministerpräsidentenwahl gratuliert hätten, sei von Bürgern eine Protestwelle ausgelöst worden, die dem "Dammbruch" nach 72 Stunden ein Ende bereitet habe.
Die Regierung habe schnell reagiert, meinte hingegen Saskia Esken. "Insofern haben wir Handlungsfähigkeit bewiesen." Ganz anders sah das di Lorenzo: "Schlimmer kann man sich kaum darstellen. Das war eine erbärmliche Vorstellung der beteiligten Parteien." Für Gerhart Baum ist der Auftrag der Wähler an die Politiker nun eindeutig: "Kümmert euch darum, dass ihr regierungsfähig bleibt." Dazu sei nötig, dass die CDU mit der Klärung der Kanzlerkandidatenfrage nicht noch anderthalb Jahre warte: "Die Leute wollen Klarheit haben."
Söder warnte hingegen davor, schon jetzt einen Nachfolger von Angela Merkel auszurufen. "Wenn man dem schaden will, kann man das machen", sagte der CSU-Chef. Den Parteivorsitz müsse die CDU allein klären. "Beim Kanzlerkandidaten geht es nur gemeinsam", betonte Söder wiederholt, unterstrich jedoch: "Mein Platz ist in Bayern." Der Ministerpräsident hatte sich früh gegen die Wahl Kemmerichs mit Stimmen der AfD gestellt. Aussagen von thüringischen Lokalpolitikern, man könne die AfD-Wähler nicht einfach ausgrenzen, bewertete er als "Kapitulation" vor den Rechtspopulisten. "Die spielen doch mit der Demokratie. Wir dürfen denen dieses Spiel nicht durchgehen lassen", sagte Söder. "Man muss kämpfen."
Der Aufreger des Abends
Doch wie genau wird dieser Kampf am klügsten geführt – wann ist Kompromisslosigkeit gefragt, wann Pragmatismus? Die Union erschwert in Thüringen die Regierungsbildung mit ihrem Grundsatz, weder mit der AfD noch mit der Linkspartei zusammenzuarbeiten. Diesen Unvereinbarkeitsbeschluss bekräftigte Söder bei "Anne Will". Er bezeichnete den ehemaligen thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow als "verbrannt" und dessen Linke als Partei, die "für Dinge wie Mauern und Stacheldraht" stehe. "Die Linkspartei ist aus meiner Sicht keine Partei, mit der jetzt zusammengearbeitet werden muss. Natürlich darf geredet werden, aber es gäbe auch andere Möglichkeiten", sagte Söder mit Blick auf Neuwahlen oder neue Mehrheiten.
Die AfD wolle die Demokratie zerstören, das sei doch etwas ganz anderes, warf Baum dazwischen. "Jetzt setzen Sie (AfD und Linke) wieder gleich", warf Baerbock Söder vor. Die Unterstützung für Ramelow sei seit der Wahl gestiegen: "Jetzt ist es an der CDU, in diesem entscheidenden Moment zu sagen, wir unterstützen einen demokratisch gewählten Kandidaten, dessen Partei auf dem Boden des Grundgesetzes ist, damit Thüringen überhaupt wieder handlungsfähig wird."
Di Lorenzo forderte von der Union ebenfalls moralische Flexibilität. Der Abgrenzungsbeschluss sei einfach nicht praktikabel und Ramelow tauge kaum zum linken Schreckgespenst. "Da muss man einfach ein bisschen pragmatisch vorgehen und so sehen das auch viele Leute in der CDU", sagte der "Zeit"-Chefredakteur. Ganz anders sei das bei Direktiven aus Parteizentralen, dass die Wahl rückgängig gemacht werden müsse: "Da haben die Leute das Gefühl: Wir werden verschaukelt und das ist nicht richtig demokratisch."
Das Zitat des Abends
Friedrich Merz, Armin Laschet, Jens Spahn – beim CDU-Personalkarussell kam di Lorenzo mit den Vornamen schon ganz durcheinander. Baerbock warnte davor, sich auf diese Personalfragen zu konzentrieren und die großen Themen für Deutschland und Europa zu vernachlässigen. Das fand auch Baum. "Wichtig ist, dass die Leute wissen, woran sie sind, und dass die Parteien sich nicht nur mit sich selbst beschäftigen", mahnte der ehemalige Innenminister.
- Eigene Beobachtungen