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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Fraktion entscheidet gegen die Chefs Eine Niederlage nicht nur für Merkel
Merkels Mann verliert. Die Union hat Volker Kauder als Fraktionschef abgewählt – gegen den Wunsch der Kanzlerin. Aber nicht nur für sie ist die Entscheidung ein Problem.
Wieder sprachen manche von einer Revolution. Wieder rechnete kaum jemand wirklich damit. Doch diesmal wurde das Unwahrscheinliche Wirklichkeit. Die Abgeordneten der Unionsfraktion haben Volker Kauder als Fraktionschef abgewählt, sie haben sich für Ralph Brinkhaus entschieden.
Aber mit 125 zu 112 Stimmen in geheimer Wahl haben sie mehr getan: Sie haben gegen Angela Merkel entschieden, gegen Horst Seehofer und auch gegen Alexander Dobrindt.
Erstens und vor allem, weil die CDU-Chefin und der CSU-Chef Kauder vorgeschlagen, sich auch noch in der Fraktionssitzung für ihn ausgesprochen hatten. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt äußerte sich nach Angaben von Teilnehmern nicht in der Sitzung; zuvor hatte er aber auch für Kauder geworben. Zweitens, weil Kauders wichtigste Botschaft Stabilität war, die seines Konkurrenten Brinkhaus war Wandel. Merkel sagte, jetzt sei nicht der richtige Zeitpunkt für einen Wechsel. Die Abgeordneten widersprachen durch die Stimmabgabe. Der Wandel richtet sich immer gegen die, die schon lange oben sind.
Kauder war länger im Amt als fast alle vor ihm
So wie Merkel und Seehofer, aber eben auch Volker Kauder. Er war schon so lange Fraktionschef wie Angela Merkel Kanzlerin ist, 13 Jahre. Er machte den Job länger als fast alle anderen jemals; nur Wolfgang Mischnick (FDP) und Herbert Wehner (SPD) amtierten länger am Stück. Und Kauder gilt als enger Vertrauter Merkels. Dabei ist er viel gläubiger als sie, und damit in vielem konservativer. Aber er gilt als loyal.
Das reichte offenbar, um ihn jetzt abzusetzen. Obwohl er die Fraktion ruhig führte. "Sein größter Trumpf: Man kann sich verlassen", sagte Horst Seehofer noch kurz vor Beginn der Fraktionssitzung. Kauder habe noch nie getrickst. Gegenteiliges hört man aus der Union nicht.
Trotzdem wurde er durch Ralph Brinkhaus ersetzt, dessen größtes Versprechen lautete, nicht Volker Kauder zu sein.
Merkels Gegner verstanden es offenbar so: nicht Merkels Mann zu sein.
Denn Brinkhaus ist in den vergangenen Monaten nicht als Lautsprecher aufgefallen, nicht als Vordenker, nicht als konservativer Hardliner, nicht als Revolutionär in Reserve. Er ist eigentlich überhaupt nicht aufgefallen. Außerhalb des Berliner Regierungsviertels und seiner Heimat Rheda-Wiedenbrück bei Gütersloh dürfte der Haushaltspolitiker weitgehend unbekannt sein.
Kaum jemand rechnete mit Brinkhaus' Sieg
Mit seinem Sieg rechnete kaum jemand. Womöglich nicht einmal er selbst. Jedenfalls habe er sehr verdutzt gewirkt, berichten Teilnehmer. Den Eindruck machte er, soweit sich das sagen lässt, auch bei seinem kurzen Statement im Bundestag, das knapp ausfiel wie das eines Fußballers nach einem Spiel: "Ich freue mich riesig". "Ich freue mich auf die nächsten Tage, auf die nächsten Wochen, auf die nächste Zeit". Jetzt gehe es an die Arbeit. "Alles andere werden wir dann später auch erläutern."
Schon Brinkhaus‘ brave Kandidatur war außergewöhnlich. Weil es die erste Kampfkandidatur um den Unionsfraktionsvorsitz seit 1973 war. Aber auch, weil sie so halbherzig ausfiel. Brinkhaus verzichtete auf knallige Interviews. Er wolle Wandel und er wolle die Fraktion eigenständiger machen, das war seine Botschaft, die er auch in der Fraktionssitzung wiederholte.
Noch außergewöhnlicher ist sein überrschender Sieg. Aber was bedeutet er? Im Bundestag wurde nach der Verkündung viel getuschelt, noch mehr gerätselt. Das hier war wichtig, es war groß, so viel war klar. Aber auf welche Art groß und wichtig?
"Da gibt es nichts zu beschönigen"
Die Kanzlerin selbst machte in ihrem kurzen Statement deutlich, wie sie die Entscheidung aus ihrer Perspektive wertet: "Das ist eine Stunde der Demokratie. In der gibt es auch Niederlagen. Da gibt es auch nichts zu beschönigen." Für sie heißt es, dass die Bereitschaft in der Partei, sich ihr zu fügen, weiter gesunken ist.
Die Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer, die als ihre Wunschnachfolgerin gilt, hat sie auf dem Parteitag im Februar noch problemlos durchbekommen. Im Unionsstreit um Seehofers Forderung nach der Zurückweisung einiger Flüchtlinge an der deutsch-österreichischen Grenze im Sommer war es knapper. Kurzzeitig war nicht klar, ob die CDU-Abgeordneten eher Merkel oder eher Seehofer stützen. Dann aber sammelten sich die Merkelianer. Nun hat sie zum ersten Mal eine Entscheidung nicht durchbekommen.
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Entscheidend wird nun der Parteitag im Dezember. Dann steht die Wiederwahl der CDU-Chefin an. Bisher sah es so aus, als käme Merkel mühevoll, aber doch ohne Niederlage dorthin. Plötzlich scheint alles denkbar: Dass sie nicht mehr antritt. Dass sie ein schlechtes Ergebnis bekommt. Oder sogar verliert – Wahlen können ihre eigene Dynamik entwickeln.
Aber es geht nicht nur um Merkel. Diesmal standen nicht Merkel und ihre Unterstützer gegen die kleine Gruppe der Konservativen in der CDU um Gesundheitsminister Jens Spahn und gegen die CSU; diesmal waren sich Kanzlerin, CSU-Chef und CSU-Landesgruppenchef einig.
Problem für Dobrindt
Dass Horst Seehofer in seiner Partei wenig Rückhalt hat, dass er als Mann gesehen wird, dessen Zeit vorbei ist, ist schon länger klar. In bayerischen Bierzelten voller CSU-Anhänger spricht man über ihn zurzeit entweder ablehnend oder mitleidig.
Wichtiger ist die Entscheidung daher eigentlich für Alexander Dobrindt. Er versucht schon seit der Wahl mit seiner CSU-Landesgruppe, was Brinkhaus jetzt für die ganze Fraktion verspricht: Sie eigenständiger zu machen und selbstbewusster. Die Landesgruppe heißt deshalb jetzt "CSU im Bundestag". Er war Kauders erster Stellvertreter. Er sollte in seiner Fraktion mehr Gewicht haben als Merkel oder auch Seehofer. Also scheint auch er seine CSU-Abgeordneten nicht im Griff zu haben. Sie haben auch gegen seinen Rat entschieden. Und damit gegen ihn.
Für einen, dem Ambitionen auf den Parteivorsitz nachgesagt werden, der aber nicht übermäßig große Unterstützung in der Partei zu Hause in Bayern hat, muss das alarmierend klingen.
Schließlich wird sich auch die Fraktion neu aufstellen. Für Brinkhaus, der Stellvertreter war und aus Nordrhein-Westfalen kommt, muss ein Ersatz gefunden werden. Die Landesgruppe Baden-Württemberg, die mit Kauder das Spitzenamt verliert, will kompensiert werden. Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Michael Grosse-Brömer, ein über die Lager anerkannter Kauder-Vertrauter, muss überlegen, ob er noch einmal antreten will. Diese Wahlen wurden nach Brinkhaus' Sieg vertagt. Die CDU muss sich erst einmal sammeln. Die CSU auch.
- Eigene Recherchen