"Prügeln sollten wir uns nicht" Bundestag startet mit Eklat – Dreifach-Pleite für AfD
Gleich zum Auftakt kracht es im neuen Bundestag. Bei der Vizepräsidentenwahl wird die AfD ausgebremst. Schäuble mahnt zur Fairness: "Prügeln sollten wir uns hier nicht." Ganz nebenbei gibt es einen Vorgeschmack auf Jamaika.
Der neue Bundestag ist mit einem Eklat gestartet. In der konstituierenden Sitzung fiel der AfD-Kandidat Albrecht Glaser bei der Vizepräsidentenwahl drei Mal hintereinander durch. Der Sitz der Rechtspopulisten im Präsidium bleibt damit bis auf weiteres unbesetzt.
Der bisherige Finanzminister Wolfgang Schäuble wurde mit nur 71,2 Prozent der Stimmen - dem zweitschlechtesten Ergebnis seit den 60er Jahren - zum Parlamentspräsidenten gewählt. Neben der AfD votierten Abgeordnete mindestens einer anderen Fraktion gegen ihn. Der CDU-Politiker mahnte Respekt zwischen den politischen Lagern an. "Prügeln sollten wir uns hier nicht", sagte er. "Das sollten wir auch nicht verbal tun."
Gelassenheit und Respekt
Mit 709 Abgeordneten und sechs Fraktionen ist der Bundestag so groß wie nie und so vielfältig wie seit den 50er Jahren nicht mehr. Mit der AfD ist erstmals seit 1961 wieder eine Partei rechts von der Union im Bundestag. Es gibt Befürchtungen, dass die Nationalkonservativen die Debattenkultur im Parlament beschädigen.
Trotz des turbulenten Auftakts sagte Schäuble in seiner Antrittsrede, er sehe den parlamentarischen Auseinandersetzungen der nächsten Jahre "mit Gelassenheit" entgegen. Der Grundkonsens gehöre genauso wie die Auseinandersetzung zur parlamentarischen Demokratie. "Demokratischer Streit ist notwendig, aber es ist Streit nach Regeln", sagte er. Es komme auf einen respektvollen Stil an. Töne der Verächtlichmachung und Erniedrigung hätten keinen Platz in einem zivilisierten Miteinander. Im Parlament schlage "das Herz unserer Demokratie", es sei der Ort des emotionalen, sachlichen, nachvollziehbaren Streits.
Glaser boykottiert
Die AfD hatte bereits vor der konstituierenden Sitzung angekündigt, Schäuble nicht zum Präsidenten wählen zu wollen - unter anderem, weil der CDU-Politiker die Partei als "Schande für Deutschland" bezeichnet hatte. Die 173 Gegenstimmen und 30 Enthaltungen bei der Wahl Schäubles kamen aber nicht nur aus der AfD, die nur 92 Abgeordnete stellt.
Der AfD-Kandidat Glaser wurde wegen islamkritischer Äußerungen von der großen Mehrheit der Abgeordneten der anderen Fraktionen boykottiert. Sie werfen ihm vor, die Religionsfreiheit zu missachten. Der 75-jährige erhielt im ersten Wahlgang 115, im zweiten 123 Ja-Stimmen und im dritten 114. Damit votierten auch Abgeordnete aus mindestens einer anderen Fraktion für ihn. Auch im dritten Wahlgang scheiterte er wegen der 545 Nein-Stimmen.
Die Sitzung des Bundestags wurde daraufhin beendet. Die AfD kann Glaser nun nur mit Einverständnis des Ältestenrats erneut antreten lassen, also mit Zustimmung der anderen Fraktionen. Sie kann aber auch einen anderen Kandidaten benennen oder den Präsidiumssitz langfristig frei lassen. Normalerweise ist es üblich, dass die Präsidiumsmitglieder fraktionsübergreifend gewählt werden.
"Wir alle haben gleiche Pflichten"
Die Kandidaten der anderen Fraktionen für die Vizepräsidentenposten wurden überwiegend mit deutlicher Mehrheit gewählt. Das schlechteste Ergebnis erhielt der frühere SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann mit 396 von 703 Stimmen. Daneben wurden gewählt: der frühere Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU, 507 Ja-Stimmen), FDP-Vize Wolfgang Kubicki (489 Ja-Stimmen), die bisherige Bundestagsvizepräsidentinnen Petra Pau (Linke, 456 Ja-Stimmen) und Claudia Roth (Grüne, 489 Ja-Stimmen).
Schon zur Eröffnung der Sitzung hatte Alterpräsident Hermann Otto Solms zu gegenseitigem Respekt im Bundestag aufgerufen: "Wir alle haben das gleiche Mandat, gleiche Rechte, aber auch gleiche Pflichten." Der FDP-Politiker warnte daher davor, auszugrenzen oder zu stigmatisieren.
Solms ist mit den zweitmeisten Dienstjahren (33) im Bundestag Alterspräsident. Eigentlich hätte Schäuble mit seinen 45 Dienstjahren das Rederecht zur Eröffnung gehabt - er verzichtete aber. In der vergangenen Legislaturperiode waren noch die Lebensjahre für die Bestimmung des Alterspräsidenten ausschlaggebend. Kurz vor der Wahl wurde diese Regel aber geändert. Andernfalls hätte der 77 Jahre alte AfD-Politiker Wilhelm von Gottberg die erste Sitzung eröffnet.
Jamaika gegen SPD
Die AfD protestierte gegen dieses Vorgehen. "Wie groß muss die Angst vor der AfD und ihren Wählern sein, wenn Sie zu solchen Mitteln greifen", hielt der parlamentarische Geschäftsführer Bernd Baumann den anderen Fraktionen vor. Der alte Bundestag sei abgewählt worden. "Das Volk hat entschieden, nun beginnt eine neue Epoche", sagte Baumann in der ersten Rede eines AfD-Abgeordneten im Bundestag.
Obwohl die formellen Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition noch nicht einmal begonnen haben, gab es im Bundestag schon einen ersten Vorgeschmack auf ein solches Bündnis. Gemeinsam schmetterten Union, FDP und Grüne einen SPD-Vorstoß ab, jetzt schon die Regeln für die Regierungsbefragung zu verschärfen. Ein entsprechender Antrag wurde zur späteren Beratung in den Ältestenrat überwiesen.
"Vernebelungsstrategie"
Die SPD schlug in der Auftaktsitzung bereits einen harten Oppositionston an. Der parlamentarische Fraktionsgeschäftsführer Carsten Schneider warf Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vor, sie habe mit ihrem Politikstil zum Erfolg der AfD und zu deren Einzug in den Bundestag beigetragen. Sie habe im Wahlkampf die politische Auseinandersetzung verweigert und mit ihrer "Vernebelungsstrategie" dafür gesorgt, "dass die politischen Ränder stärker wurden denn je".
Kanzlerin Merkel und die Minister der bisherigen Koalition aus Union und SPD sind mit der Konstituierung des Bundestags nur noch geschäftsführend im Amt. Wie im Grundgesetz vorgesehen, bat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Merkel allerdings am Morgen, die Amtsgeschäfte bis zur Bildung einer neuen Regierung fortzuführen.
Die geschäftsführende Regierung hat dieselben Befugnisse wie eine reguläre. Es ist aber üblich, dass sie ihre politischen Entscheidungen auf das Nötigste begrenzt, um der kommenden Regierung keine Vorgaben zu machen.