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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Scholz in Indien Das könnte einen Preis haben
Kanzler Scholz und seine Minister wollen in Indien neue Freunde gewinnen. Besonders die wirtschaftliche Zusammenarbeit der beiden Länder ist für Deutschland fast unverzichtbar. Doch sie könnte einen Preis haben.
Sara Sievert berichtet aus Neu-Dheli
Als Olaf Scholz und Narendra Modi den Saal betreten, wird auf der Bühne der Asia-Pazifik-Konferenz von einem "besonderen Moment" gesprochen. Hunderte Menschen im Publikum stehen auf, applaudieren, zücken aufgeregt ihre Kameras. Man ist an diesem Freitagmorgen in Neu-Dheli schwer bemüht darum, die guten Beziehungen zwischen Deutschland und Indien immer wieder in aller Deutlichkeit zu betonen. Denn der Ausbau der Zusammenarbeit ist wichtig – für beide Seiten.
"Wir treffen uns heute in der weltweit größten Demokratie, der am schnellsten wachsenden Wirtschaft der Erde", sagt der Bundeskanzler gleich zu Beginn seines Grußwortes. Die Asien-Pazifik-Konferenz sei hier an den richtigen Ort gekommen.
In den Worten von Scholz schwingt eine Botschaft mit. Sie lautet: Indien entwickelt sich nicht mehr, es kommt nicht, sondern ist schon da.
Darum brauchen Modi und Scholz einander
Es ist ein Lobeslied, das bei dem indischen Premier Modi gut ankommen dürfte. Scholz erschafft in seiner Rede ein "Wir", das sind die stabilen Demokratien, die sich vor "denen", das sind Russland und Konsorten, schützen müssen. So sagt der Kanzler etwa: "Viele Demokratien stehen nicht nur unter inländischem Druck – sie sind auch durch Populisten und Extremisten bedroht, die simple Lösungen für hochkomplexe Probleme anbieten."
Und tatsächlich haben sowohl Indien als auch Deutschland etwas davon, wenn beide in Zukunft eng zusammenarbeiten. Für das Exportland Deutschland ist Indien als seit Jahren am schnellsten wachsender G20-Staat und angesichts der immer größeren Bedenken im Umgang mit China wirtschaftlich geradezu überlebenswichtig geworden. Beide Länder brauchen einander als Handelspartner – aber auch geopolitisch.
Denn während Deutschland und die EU weiter mit Sorge auf den russischen Aggressor blicken und auf einen möglichen Frieden in der Ukraine hoffen, dürfte Modi vor allem China im Blick haben. Beide Länder, also Russland und China, eint, dass sie dem Westen die Vormachtstellung entziehen wollen. Bei China kommt hinzu, dass es besonders den Indo-Pazifik wirtschaftlich und militärisch dominieren will, was nicht im Interesse Indiens ist.
Indien pflegt zwar gute Beziehungen zu Russland, allerdings ist es auch weiter mit dem Westen verbunden. Nun wird der Kanzler sich hüten, einen der führenden Staaten des globalen Südens auf eine in irgendeiner Form belehrende Art und Weise weg von Russland und auf die Seite des Westens zu ziehen. Das hätte mit einer Beziehung auf Augenhöhe nicht viel zu tun. Gelingt es aber, die Beziehungen auszubauen, Indien zu unterstützen, unabhängiger zu werden und dabei eine klare Abgrenzung von Russland zu schaffen, wäre das ein Erfolg.
Die Frage, die in vielerlei Hinsicht bleibt, ist nur: Wie ehrlich ist man dabei?
Scholz betont in Neu-Dheli die Bedrohung durch Putin
Bei seinem Besuch betont Scholz wieder und wieder, wie gefährlich die Bedrohung vonseiten des Russen ist – nicht für die Ukraine oder Europa, sondern für die Welt insgesamt. Während Modi sich bemüht, diplomatische Formulierungen zu finden, um Putin nicht auf die Füße zu treten, sagt der Kanzler in Neu-Dheli gleich mehrfach Sätze wie: "Wenn Russland mit seinem illegalen, brutalen Krieg gegen die Ukraine Erfolg haben sollte, dann wird das Auswirkungen weit über die Grenzen Europas hinaus haben. Ein solches Ergebnis wäre gefährlich für die globale Sicherheit und Wohlstand als Ganzes."
Der Kanzler weiß, dass Indien im Zweifel, auch mit Blick auf Russland, vor allem seine wirtschaftlichen Interessen im Blick hat. Erst in dieser Woche hatte der Vizechef des russischen Finanzriesen Sberbank, Anatoli Popow, verkündet, dass sich Russlands Handel und Finanzströme mit Indien trotz westlicher Sanktionen gut entwickelten. Also versucht Scholz es noch mal etwas anders. Bei der Asia-Pazifik-Konferenz sagt er zwar: "Lasst uns tun, was wir können, um etwas zu erreichen bei der politischen Lösungen dieser Konflikte. Lösungen, die auf internationalem Recht basieren und auf den Grundsätzen der UN-Charta." Aber er erklärt eben auch: "Dies ist nicht nur eine ethische und politische Verpflichtung. Sie ist auch unerlässlich, wenn wir Wohlstand, Freihandel und Wirtschaft sichern wollen."
Am Ende sagt Modi nur: "Alles klar, alles gut"
Als der Kanzler und Modi nach den deutsch-indischen Regierungskonsultationen vor die Presse treten, versucht Scholz sich noch einmal an so etwas wie einem diplomatischen Spagat. Er sagt, Deutschland und Indien würden gleichermaßen von dem Vertrauen ineinander profitieren. Gerade in diesen Zeiten sei das Land ein wichtiger Stabilitätsanker in Südostasien. Dann wird er doch deutlich und betont, niemand könne vor diesem Konflikt die Augen verschließen. Und: er befürworte es ausdrücklich, "dass Indien für einen dauerhaften und gerechten Frieden eintritt".
Wenn Scholz sagt, dass er sich über die Bereitschaft freue, die verlässlichen Beziehungen zu allen Parteien zu nutzen, um zu einer politischen Lösung des Konflikts beizutragen, dann könnte er damit durchaus das Vermittlungsangebot von Modi meinen. Etwa könnte in Indien eine potenzielle Friedenskonferenz stattfinden, an der sowohl die Ukraine als auch Russland teilnehmen. Erst recht, nachdem der Ukraine-Gipfel in Ramstein aufgrund der kurzfristigen Absage des US-Präsidenten Joe Biden gecancelt werden musste. Biden war aufgrund eines Hurrikans nicht aus den USA weggekommen.
Auch Modi geht am Freitag auf seine Bereitschaft zu Vermittlungen ein. Indien sei bereit, auf "jedem möglichen Weg" dazu beizutragen, dass es Frieden gebe. Auch er unterstreicht, dass die Konflikte in Asien und der Ukraine beide Länder, also Deutschland und Indien, betreffen würden. Von einem russischen Angriffskrieg spricht Modi jedoch nicht.
Außerdem ist nach wie vor unklar, was es mit einer Recherche der britischen "Financial Times" auf sich hat. Demnach soll nicht nur China Russland im Krieg gegen die Ukraine mit Mikroelektronik für Waffen eindecken. Auch in Indien soll die russische Rüstungsindustrie heimlich Mikrochips und andere Elektronik, die für den Waffennachschub unverzichtbar sind, kaufen.
Wie realistisch tatsächliche Friedensvermittlungen also sind und was sie bedeuten würden, bleibt weiter offen. Teil der Wahrheit ist am Ende wohl auch, dass Deutschland Indien als neuen Freund sehen wird, dabei aber womöglich die Augen vor dem Verhältnis zu Russland verschließt.
Wie sagte Modi zum Schluss seines Statements so schön: "Alles gut, alles klar."
- Eigene Beobachtungen und Recherchen vor Ort