Die subjektive Sicht zweier Autoren auf ein Thema. Niemand muss diese Meinungen übernehmen, aber sie können zum Nachdenken anregen.
Kindergrundsicherung Ein seltsames Menschenbild
Die Ampel streitet über die Kindergrundsicherung – schon wieder. Braucht es das Projekt in diesen Zeiten noch? Oder sollte man es einfach sein lassen?
Eine Kindergrundsicherung – und dafür 5.000 neue Verwaltungsjobs? Ausgerechnet jetzt, wo das Geld knapp ist und die Wirtschaft schwach? Die FDP findet: So geht es nicht, viel zu viel Bürokratie. Sie argumentiert seit einigen Tagen, der Staat habe keine staatliche "Bringschuld", damit das Geld auch bei jenen Kindern ankommt, denen es zusteht, die derzeit aber leer ausgehen, weil ihre Eltern die bestehenden Leistungen nicht komplett beantragen.
Die Grünen verteidigen das Projekt ihrer Familienministerin Lisa Paus. Dass sie mehr Kinder erreichen soll, ist für sie gerade das Wichtige am "Systemwechsel". Die zusätzlichen Staatsbediensteten braucht es aus ihrer Sicht, damit mehr Kinder erreicht werden und der Familienservice alles verwalten kann. Für die Familien, das ist ihr Argument, sinke so die Bürokratiebelastung.
Braucht es eine solche Kindergrundsicherung? Ein Pro und Kontra:
Ja, Millionen arme Kinder können wir uns nicht leisten
Können wir uns eine Kindergrundsicherung leisten? Die Frage ist naheliegend, aber sie weist in die falsche Richtung. Richtig muss sie lauten: Können wir uns Millionen arme Kinder leisten? Und zwar genauso kühl-berechnend ökonomisch, wie es klingt. Antwort: Nein.
Armut führt zu Bildungsarmut. Und Bildungsarmut führt wieder zu Armut. Je früher im Leben eines Menschen versucht wird, diesen Teufelskreis zu durchbrechen, desto besser sind seine Chancen. All das beobachten Forscher seit Jahren. Der eigentliche Skandal ist, dass die Erkenntnis noch nicht dazu geführt hat, das Problem zu lösen.
Wie bei jedem Teufelskreis können Lösungen an unterschiedlichen Stellen ansetzen. Das müssen sie endlich auch. Schulen müssen besser werden, durchlässiger, inklusiver, das bleibt richtig. Kleinere Klassen, zusätzliche Sozialarbeiterinnen und Pausenbrot-Verteilaktionen reichen aber nicht. Der Staat muss mehr Kinder aus der häuslichen Armut holen.
Dieses "Mehr" stellt die FDP nun infrage. Sie bezweifelt, dass es eine "Bringschuld" des Staates gibt, mehr als bislang nur ein Drittel der Kinder mit dem Geld zu erreichen, das ihnen zusteht. Genau dafür werden die 5.000 Jobs gebraucht, damit es überhaupt ein "Mehr" gibt (Stichwort: "Kindergrundsicherungs-Check") und damit das "Mehr" verwaltet werden kann.
Man kann darin eine moralische "Bringschuld" sehen, muss man aber gar nicht. Deutschland sollte ein Eigeninteresse daran haben. Nicht nur Armut und Bildung hängen zusammen, auch Bildung und Wohlstand tun es. Fehlende Fachkräfte sind eine der größten Gefahren für unseren Wohlstand. Wir dürfen sie nicht schon im Kindesalter verlieren.
Nein, die Kindergrundsicherung passt nicht in die Zeit
Deutschland ächzt unter der Bürokratie. Ein Antrag hier, eine Regel dort, und immer gibt’s noch einen Beamten, der mitmischen will. Noch ein Amt, das prüft, verschleppt, verzögert.
Nicht nur die Wirtschaft, auch jeder Einzelne klagt zu Recht: So geht's nicht weiter. Der Staat muss schlanker werden – und nicht fetter.
Anachronistisch, fast abstrus, ist angesichts dessen die von Familienministerin Lisa Paus geplante Kindergrundsicherung. 5.000 Extra-Stellen beim Staat will Paus dafür schaffen, eine komplett neue Behörde aus dem Boden stampfen, die die Kindergrundsicherung verwaltet. Ein bürokratisches Monstrum, für das es keine Notwendigkeit gibt.
Die staatlichen Leistungen nämlich, die Paus in der Kindergrundsicherung bündeln will, können Eltern bereits heute beantragen. Schon jetzt bewilligen sie existierende Staatsbedienstete, man müsste diese lediglich neu gruppieren und an einer zentralen Stelle zusammenführen.
Doch das scheint der Ministerin nicht zu reichen. Die neue Behörde will sie offenkundig auch deshalb haben, um einer, wie sie es formuliert, staatlichen "Bringschuld" nachzukommen. Paus und die Grünen halten also die bedürftigen Familien für unfähig, selbst in ihren ureigenen (finanziellen) Interessen zu handeln, ihre "Holschuld" zu erbringen. Ein – gelinde gesagt – seltsames Menschenbild, das auch unser allgemeine Staatsverständnis infrage stellt.
Unterstützung für sozial Schwache ist richtig. Mehr Chancen für mehr Bildung müssen sein. Ein neues Super-Kinderamt, das den Familien hinterherrennt, aber braucht es dafür nicht.
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- Eigene Überlegungen
- destatis.de: Kinder und Jugendliche von Eltern mit niedrigem Bildungsabschluss besonders von Armut bedroht
- ifo.de: Chancenmonitor 2023: Bildungschancen hängen stark vom Elternhaus ab
- dlf.de: Wie wichtig das Einkommen der Eltern ist