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Heizungsgesetz, Inflation, Ukraine? Das bewegt die Menschen in Kleinstädten


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Ein Ortsbesuch
Hier sind drei Parteien bereits Geschichte


23.08.2023Lesedauer: 4 Min.
Aufkleber in der Innenstadt von Burg Stargard: Der Kanzler ist hier ganz weit weg.Vergrößern des Bildes
Aufkleber in der Innenstadt von Burg Stargard: Der Kanzler ist hier ganz weit weg. (Quelle: Peter Schink)
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Burg Stargard ist ein Ort wie viele in Mecklenburg-Vorpommern. Hier kann man erfahren, wie sich die große Politik im Kleinen auswirkt – und ankommt.

Die Eisverkäuferin im Zentrum von Burg Stargard sagt, über Umsatz könne sie sich nicht beklagen. Trotz der gestiegenen Preise. Einen Euro sechzig kostet die Kugel inzwischen. Eis ist hier nicht preiswerter als in teuren Großstädten wie Berlin.

Burg Stargard ist ein kleiner Ort in der Nähe von Neubrandenburg. Etwa 5000 Menschen leben hier. Eine "Schlafstadt" sei das inzwischen, sagen einige. Man wohnt hier, aber gearbeitet wird in Neubrandenburg oder anderswo. Es gibt eine Apotheke, zwei große Supermärkte, einen alten Nahkauf. Die größte Attraktion des Ortes: Die größte noch erhaltene Hochburg Norddeutschlands. Sie hat dem Ort ihren Namen gegeben.

Die Probleme des Landes, die große Politik, der Berliner Regierungsbetrieb, sind hier nur scheinbar ganz weit weg. Corona, Inflation, Ukraine-Krieg, Heizungsfragen. All das bewegt die Menschen auch hier. In Burg Stargard kann man erfahren, wie sich das, was Bundes- und Landespolitiker diskutieren und beschließen, in der Kommune auswirkt. Und wie es bei den Menschen ankommt.

An einer Regenrinne klebt ein Aufkleber mit dem Konterfei von Olaf Scholz. "Nicht mein Kanzler!" steht da.

"Unser größtes Thema ist wie überall das liebe Geld", sagt Bürgermeister Tilo Lorenz von der CDU. Es gäbe gleich mehrere Projekte im Ort, die man wegen fehlender Finanzierung nicht umsetzen könne. Ganz aktuell solle eine dritte Kita gebaut werden. "Die EU hat uns bescheinigt, dass das Projekt zu 100 Prozent förderfähig ist", sagt er. Doch damit gehe es erst richtig los. Ein Viertel der Kosten müsse die Gemeinde übernehmen. Ein Mammutprojekt, für so einen kleinen Ort.

"Auf höheren Ebenen gibt es immer Politiker, die sich für irgendwas feiern lassen", resümiert er. Es sei ja schön, dass in Mecklenburg-Vorpommern die Kitas jetzt beitragsfrei seien. Das führe aber dazu, so Lorenz, dass mehr Plätze benötigt würden. Und die müssten die Gemeinden finanzieren. Solche komplexen politischen Zusammenhänge seien quasi unmöglich zu erklären.

Politik erklären, das ist in Burg Stargard sowieso nicht einfach. Der Gemeinderat hat 16 Mitglieder, die CDU-Fraktion hält acht Sitze. Der Rest teilt sich auf auf Linke, AfD und die Initiative "Stargard 2030". Weder SPD, FDP noch Grüne sind hier vertreten. Die klassische Parteienlandschaft ist in Burg Stargard bereits Geschichte.

Will man verstehen, warum das so ist, fragt man am besten Katja Sievert. Sie war für die Bürgerinitiative "Stargard 2030" im vergangenen Jahr gegen Lorenz als Bürgermeisterkandidatin angetreten. 936 Bürger stimmten für sie, Lorenz bekam 1144 Stimmen. Nicht knapp, aber doch ein beachtliches Ergebnis für eine Außenseiterin. "Obwohl ich eigentlich keine klassische Politikerin bin", sagt sie. "Ich fand, wenn du unzufrieden bist mit der Situation, dann darfst du nicht einfach nur meckern." Es gäbe vieles im Ort, was sie anders machen würde als der Bürgermeister.

Ein Beispiel? Einen Bürgeretat wünscht sie sich. Geld der Gemeinde, dass die Bürger eigenverantwortlich ausgeben können. "Wenn wir nur 5000 Euro hätten, müssten sich die Leute überlegen, wofür sie das Geld ausgeben wollen", sagt Sievert. Mit solchen Instrumenten könne man die Leute dazu bringen, wieder Verantwortung zu übernehmen.

Und die Bundespolitik? "Vieles davon empfinde ich als Schauspielerei", sagt sie. Wer da die Wahrheit für sich gepachtet habe, sei ja für die Menschen kaum festzustellen. Mit so etwas wolle sie sich eigentlich gar nicht auseinandersetzen. "Hier vor Ort geht es immer pragmatisch darum, immer die beste Lösung zu finden", sagt sie. Das sei ihr eigentlicher Antrieb.

Allerdings empfinde sie, so Sievert, dass die Leute sich allzu oft "von negativen Dingen" leiten ließen. Statt Lösungen für Probleme zu suchen.

Doch die Initiative "Stargard 2030" hat ein ganz praktisches Problem. Wer in Stargard nicht die Meinung des Bürgermeisters vertritt, findet sich auf der Seite der AfD wieder. CDU und Linke stimmen oft gemeinsam. Und "Stargard 2030" bleibt dann nur die Möglichkeit, mit den beiden Abgeordneten der AfD gemeinsame Sache zu machen. Eine andere Opposition gibt es nicht, weil FDP, Grüne und SPD bei der Kommunalwahl 2019 nicht einmal mehr angetreten sind.

"Trotzdem grenze ich mich ganz klar von den Inhalten der AfD ab", sagt Sievert. Vor allem von deren Bundespolitik. "Die Partei empfinde ich als sehr laut und unangenehm", sagt sie.

Die AfD trifft hier mit ihren bundespolitischen Themen oft den Nerv. Selbst Lorenz zeigt Verständnis für Ansichten mancher Bürger: "Die Leute drücken sich vielleicht nicht immer korrekt aus", sagt er. "Als Außenstehender versteht man da nur allgemeines Gemecker."

Den Menschen gehe es aber um die großen Themen und Fragestellungen. Oft sei es schwierig, mit Argumenten durchzudringen. Und dann nennt Lorenz ein Thema als Beispiel: Wenn die Leute vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges die Nato-Osterweiterung kritisierten, sei das natürlich schwierig. "Aber wenn man ganz ehrlich ist, bei der Nato-Osterweiterung ist damals ja auch nicht alles tippi-toppi gelaufen."

Keine 100 Meter vom Rathaus entfernt hat an der Hauptstraße jemand ein Plakat des "Unternehmeraufstand MV" aufgehängt. Die Gruppe hat schon mehrere Demonstrationen organisiert. Gegen "die Bürokratiehölle", "die Planlospolitik", "Schluss mit den Sanktionen gegen Russland" steht auf deren Website. Und der Slogan "Die derzeitige Politik stoppen". Da hat sich eine Menge Frust angestaut. Die Sorgen der Menschen muss man ernst nehmen, findet Lorenz.

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Eine andere Frau in der Stadt meint, es sei sowieso ein weit verbreitetes Phänomen, dass die Leute gerne meckern. Wohl eher ein gesamtdeutsches Phänomen. Vor kurzem gaben in einer bundesweiten Umfrage 58 Prozent der Befragten an, wir Deutsche seien Miesepeter.

Es gibt hier noch ein anderes Problem. Gesellschaftliche Strukturen wie im Westen sind nicht so ausgeprägt. So zählt zum Beispiel die CDU in der Gemeinde Stargarder Land bei 10.000 Einwohnern nur etwa 35 Parteimitglieder, "von denen kann ich vielleicht drei bis vier aktivieren", sagt Lorenz. Er ist gleichzeitig auch noch Partei- und Fraktionsvorsitzender im Kreistag. Lorenz sagt selbst: "Wenn man zu viel gleichzeitig macht, bleibt für nichts mehr so richtig Zeit." Erst recht nicht dafür, politisch komplexe Themen zu diskutieren.

Verwendete Quellen
  • Besuch in Burg Stargard
  • Treffen mit Katja Sievert
  • Telefonat mit Tilo Lorenz
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