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Corona-Bericht und Maßnahmen: Jetzt aber schnell – sonst droht Chaos


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Corona-Bericht
Der Wundertext


Aktualisiert am 01.07.2022Lesedauer: 5 Min.
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Sachverständigenrat der Bundesregierung: Experten haben die Maßnahmen der Corona-Politik analysiert. (Quelle: reuters)
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Für die FDP war er so etwas wie der Heilige Gral. Nun hat der Bericht der Corona-Sachverständigen die Erwartungen enttäuscht – mit Ansage. Und jetzt?

Es gibt Texte, die entfalten bereits eine unglaubliche Wirkung, bevor sie überhaupt geschrieben sind. Allein die Erwartung, dass da noch etwas kommt, reicht aus. Der Corona-Bericht des Sachverständigenausschusses der Bundesregierung ist so ein Wundertext.

Ohne dass er erschienen war, hat der Bericht nämlich in den vergangenen Wochen dazu geführt, dass die Ampelkoalition weitgehend ihre Arbeit eingestellt hat, wenn es um die Vorbereitungen auf den Corona-Herbst ging. SPD und Grüne drängten zwar zur Eile, doch die FDP verwies darauf, erst die wissenschaftliche Auswertung der Sachverständigen zu den Einschränkungen abwarten zu wollen.

Nun liegt der Bericht vor, und von seiner wundersamen Wirkmacht ist nicht mehr allzu viel übrig. Denn wie eigentlich auch nicht anders zu erwarten war, kann er in den meisten Fällen eben nicht genau sagen, welche Maßnahmen in der Pandemie wie gut wirken und welche gar nicht. Den politischen Streit darüber, was für den Notfall im Herbst und Winter möglich bleiben muss, ersetzt der Bericht jedenfalls nicht.

Aber immerhin kann der Streit jetzt losgehen. Denn viel Zeit bleibt nicht mehr.

"Von Anfang an zu dünn aufgestellt"

Der Bericht des Sachverständigenausschusses ist im Grunde ein Politikum, seit der Bundestag das Gremium eingesetzt hat. Knapp 20 Forscher unterschiedlicher Disziplinen sollten eine Reform des Infektionsschutzgesetzes erarbeiten, die Risikokommunikation bewerten und Vorschläge für eine bessere Datenlage machen.

Am meisten Interesse der Öffentlichkeit und der Politik erfuhr jedoch der Auftrag, die Wirksamkeit der Corona-Maßnahmen zu bewerten. Ausgerechnet dabei war jedoch schnell klar, dass die hohen Erwartungen nicht zu erfüllen sind.

Der Berliner Virologe Christian Drosten verabschiedete sich genau aus diesem Grund frühzeitig aus dem Gremium. Es fehle sowohl an Zeit für eine wissenschaftliche Auswertung als auch an Personal. Für Drosten rückte Klaus Stöhr nach, der in der Öffentlichkeit oft gegensätzliche Positionen vertritt.

Selbst der Vorsitzende des Sachverständigenausschusses, Stefan Huster, kritisierte, Bundestag und Bundesregierung hätten das Gremium nach Parteienproporz besetzt und nicht nach nötigen Fachgebieten. "Für die Evaluation der einzelnen Maßnahmen war die Kommission von Anfang an zu dünn aufgestellt", sagte der Jurist schon Anfang Mai der "Süddeutschen Zeitung".

Warum das Vorhaben eigentlich scheitern muss

Das Kapitel des 165 Seiten langen Berichts, in dem es um die Bewertung der Maßnahmen geht, beginnt dann auch mit langen Erklärungen, warum das Vorhaben streng genommen scheitern muss.

Die eigentlich notwendigen Daten stünden "nur eingeschränkt zur Verfügung", weshalb sich zum Teil "nur Maßnahmenbündel evaluieren" ließen – und eben nicht die Wirkung einzelner Maßnahmen.

Wie wirksam die Impfungen waren, diese Frage sparen die Experten gleich ganz aus. Aus "Gründen der Komplexität". Und kaum etwas könnte das Grundproblem der Untersuchung wohl besser beschreiben: Nicht einmal das Impfen, das lange Zeit als "einziger Weg aus der Pandemie" galt, kann bewertet werden.

Aber was denn dann überhaupt? Was die Experten überprüft haben, sind die Wirksamkeit von Lockdowns, 2G- und 3G-Regelungen, Kontaktnachverfolgung, Quarantäne, Isolation und Tests sowie Schulschließungen. Mit der Einschränkung, die nach der Vorrede kaum überrascht: Man sehe "in vielen Bereichen nicht die Möglichkeit, klare Aussagen zu treffen", heißt es im Bericht.

Oder wie der Virologe Hendrik Streeck bei der Vorstellung sagte, der für das Kapitel koordinierend zuständig war: "Wir legen keine Tabelle vor, was richtig oder falsch ist. Wir sagen nicht, das ist gut und das ist schlecht."

Das muss schon die Politik machen.

Was trotzdem im Bericht steht

Entsprechend vage bleiben die Aussagen zu den Maßnahmen, aber es gibt natürlich welche.

  • Lockdowns: Es gebe "keinen Zweifel, dass die Reduktion enger physischer Kontakte zur Reduktion von Infektionen führt", heißt es im Bericht. Besonders zu Beginn einer Pandemie sei eine starke Kontaktreduzierung sinnvoll. Bei wenigen Infektionen wirkten Lockdowns "wesentlich stärker". Je länger sie dauern, je weniger die Menschen mitmachten, desto geringer sei aber auch die Wirkung.
  • 2G/3G-Maßnahmen: Die Wirkung lasse sich nicht von der Wirkung anderer Maßnahmen trennen, schreiben die Experten. Eine "klare wissenschaftliche Aussage zur Wirksamkeit" sei nicht möglich. Das Ziel der Politik, Menschen durch die Regelung auch zum Impfen zu motivieren, verfehlten 2G und 3G aber. Und: Wegen der leichten Übertragbarkeit der Omikron-Variante empfehlen die Experten, für den Zugang zu Veranstaltungen und zum Einzelhandel bei hohen Infektionszahlen unabhängig vom Impfstatus einen tagesaktuellen Test zu verlangen.
  • Kontaktnachverfolgung: "Die Analyse zeigt – vor allem in der Frühphase der Pandemie – eine generelle Wirksamkeit", heißt es im Bericht. Wie wirksam sie genau sei, könne wegen der schlechten Datenlage aber nicht gesagt werden.
  • Maskenpflicht: Virologe Streeck betonte bei der Vorstellung des Berichts: "Masken wirken, das muss man deutlich sagen." Allerdings eben nur, wenn sie gut säßen. Auch sei der Effekt vor allem in Gebieten mit vielen Infektionen hoch, und im Innenräumen deutlich stärker als draußen. Zu den möglichen Vorteilen von FFP2-Masken halten sich die Experten angesichts mangelnder Datenlage zurück.
  • Schulschließungen: Der genaue Effekt sei "weiterhin offen", heißt es im Bericht, auch weil Schulschließungen immer mit anderen Maßnahmen kombiniert waren. Die physischen und psychischen Belastungen für Kinder seien jedoch gut belegt.

Für jeden etwas dabei

Das ist nicht nichts, aber die Erkenntnisse ersetzen die politische Debatte über die richtigen Maßnahmen eben keineswegs. Zumal einmal mehr jede Seite etwas in dem Bericht findet, auf das sie ihre Position stützen kann. Die vielen Skeptiker in der FDP genau wie die zahlreichen Vorsichtigen bei SPD und Grünen.

"Auf den ersten Blick wird die Kritik der FDP an der Verhältnismäßigkeit einiger vergangener Pandemieschutzmaßnahmen von den Experten geteilt", sagt der gesundheitspolitische Sprecher der FDP, Andrew Ullmann etwa. Auch wenn man den Bericht noch im Detail prüfen werde.

Grünen-Politikerin und Bundestagsvize Katrin Göring-Eckardt sieht sich jedoch ebenso bestätigt. "Es ist gut, dass sich der Sachverständigenausschuss heute klar für Vorsorge für den Corona-Herbst ausgesprochen hat, und zwar entgegen vorheriger Spekulationen", sagte sie t-online. "Er bestätigt die Wirksamkeit sowohl einer Maskenpflicht wie auch von Kontakt- und Zugangsbeschränkungen."

Die Zeit drängt

Was für den Herbst und Winter nötig ist, diese Diskussion wird die Ampelkoalition also jetzt führen müssen. Besonders die Grünen drängen darauf, dass man sich schon in der parlamentarischen Sommerpause zusammensetzt und zumindest Eckpunkte klärt.

Denn bis zum 5. September steht nur noch eine Sitzungswoche des Bundestags an, in der nächsten Woche. Da wird nicht mehr viel zu schaffen sein. Und das alte Infektionsschutzgesetz läuft schon am 23. September aus.

Beginne man erst nach der Sommerpause mit den Gesprächen, fürchten viele bei den Grünen, würde das Ganze wieder in einem chaotischen Hauruckverfahren enden. Und das ist nicht gerade hilfreich für das Vertrauen der Menschen in die Corona-Politik. Diese Bewertung würden sich vermutlich sogar die meisten Experten zutrauen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Bericht des Sachverständigenausschusses nach § 5 Abs. 9 IfSG: Evaluation der Rechtsgrundlagen und Maßnahmen der Pandemiepolitik.
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