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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Corona-Schalte Das Prinzip Hoffentlich und ein vergifteter Gruß aus Bayern
Bund und Länder beschließen etwas schärfere Corona-Regeln. So richtig zufrieden ist das "Team Vorsicht" unter den Regierungschefs nicht. Die Wahlkämpfer dagegen umso mehr.
Man konnte es als kleinen Tadel verstehen, was Angela Merkel da auf der Pressekonferenz nach der Corona-Schalte sagte. Als kleinen Tadel für einige Bürger, aber eben auch als kleinen Tadel für die Länderchefs, mit denen Merkel gerade fast viereinhalb Stunden digital zusammengesessen hatte.
"Wir sind im europäischen Vergleich nicht mehr Spitze", sagte die Kanzlerin zu Beginn ihrer Ausführungen. Es gebe eine Reihe von Staaten, die besser seien als Deutschland. "Und wir haben auch eine ziemliche Spanne zwischen den Bundesländern."
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Merkel meinte damit das Impfen. Beim vielgepriesenen Weg aus der Pandemie stockt es inzwischen gewaltig. Nur 55,1 Prozent der Deutschen sind bislang vollständig geimpft. Zu wenig, findet Merkel. Und finden auch die Experten.
Doch so ein bisschen meinte Merkel mit ihrer Kritik vermutlich auch das Pandemiemanagement in den Ländern insgesamt. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Kanzlerin der Ansicht ist, dass manche Ministerpräsidenten durchaus etwas mehr Vorsicht walten lassen könnten.
Und der gemeinsame Beschluss von Bund und Ländern, den Merkel auf der Pressekonferenz anschließend verkündete, ist dann auch erkennbar ein Minimalkompromiss, bei dem sie mal wieder nicht überall ihre Vorstellungen durchsetzen konnte. Es ist ein Kompromiss, um mit dem Prinzip Hoffentlich bis zum Herbst zu kommen: Hoffentlich werden dann so viele Menschen geimpft sein, dass in der kalten Jahreszeit tatsächlich das Schlimmste ausbleibt.
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Und Schuld daran ist eben auch, dass dieser Tage neben der Pandemie eine K-Frage immer größere Bedeutung gewinnt: Was könnte unseren Kandidierenden bei den anstehenden Wahlen Ende September schaden? Bei der Bundestagswahl, aber eben auch bei den zeitgleichen Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin.
Der Mobilfunkstandard-Streit
Einer, der in diesem Jahr keine Wahl zu gewinnen hat, obwohl er gerne eine gewonnen hätte, ist Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Er warnte auf der Pressekonferenz dann auch mit gewohnt kräftigen Worten: "Die vierte Welle schleicht sich richtig heran." Die Situation jetzt sei eine "trügerische Ruhe", die vierte Welle komme, und zwar im Herbst.
Doch so richtig viele Anhänger hatte sein selbsternanntes "Team Vorsicht" diesmal nicht. Mit am weitesten lagen die Positionen bei einer Frage auseinander, die ein bisschen so klingt, als müsse man sich zwischen zwei veralteten Mobilfunkstandards entscheiden: Soll es bei 3G bleiben wie bisher vielerorts schon, oder soll es zur Sicherheit doch lieber 2G geben?
Sprich: Sollen Geimpfte, Genesene und Getestete die gleichen Freiheiten haben? Oder nur Geimpfte und Genesene?
Schon vor der Runde verlief die Konfliktlinie dabei quer durch die Parteien, wobei durchaus eine Rolle zu spielen scheint, wer gerade einen Wahlkampf führt. Kanzleramtsminister Helge Braun und Gesundheitsminister Jens Spahn hatten 2G in die Debatte eingebracht. Auch Söder ist dafür. Ihr Parteifreund Armin Laschet, nicht nur Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, sondern gerade vor allem glückloser Unionskanzlerkandidat, hatte sich jedoch öffentlichkeitswirksam und klar dagegen ausgesprochen.
So übrigens auch der ebenso wahlkämpfende SPD-Kandidat Olaf Scholz. Und auch der zumindest im Teilwiderspruch zu seinem Parteifreund aus Hamburg, Peter Tschentscher. Der Mediziner hatte nämlich gefordert, wenn man die Getesteten schon den Geimpften gleichstelle, dann doch zumindest mit den sicheren PCR-Tests und nicht nur den Schnelltests.
Es wird trotzdem Nachteile geben
Am Ende jedoch obsiegte am Dienstag die freigiebigere Linie, und wohl auch ein bisschen die Wahlkampfvernunft. 3G bleibt, die Testpflicht soll jedoch stringenter für quasi alles gelten, was in Innenräumen stattfindet. Und zwar überall, wo die Inzidenz über 35 liegt.
Allerdings heißt das natürlich nicht, dass es keine Nachteile geben wird für Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen. Die bislang kostenlosen Bürgertests sollen ab dem 11. Oktober etwas kosten. Ausgenommen sind nur diejenigen, die sich nicht impfen lassen können. Der entstehende (Kosten-)Druck, sich vielleicht doch noch impfen zu lassen, ist dabei durchaus gewünscht von der Politik.
Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus hatte zudem schon am Wochenende der "Welt am Sonntag" gesagt, er gehe davon aus, dass sich die Frage 3G oder 2G "im Herbst von selbst regeln wird, weil Hoteliers, Clubs, Veranstalter sagen werden: Sorry, bei mir kommst du nur mit einem Test nicht mehr rein." Also einfach Fakten schaffen. Basta.
Der 1. FC Köln hat das schon angekündigt, die Düsseldorfer Karnevalisten am Dienstag auch – ausgerechnet in Laschets Landeshauptstadt. Und auch Söder betonte noch mal ausdrücklich, dass man den Veranstaltern diese Eigeninitiative nicht verbieten werde, gar nicht verbieten könne. Auch das durchaus: Ein gewünschter Druck auf die Impfmuffel.
Die "kniffligste Frage"
Während Bund und Länder mit der strengeren Testpflicht zumindest eine kleine Verschärfung beschlossen haben, lassen sie eine Grundfrage komplett ungeklärt: Woran soll sich künftig eigentlich bemessen, wie ernst die Pandemielage in Deutschland ist? Dass die Inzidenz allein bei einer Impfquote von 55,1 Prozent kein Maßstab mehr sein kann, ist Konsens. Aber was ist besser? Da habe es "muntere Diskussionen" gegeben, sagte Söder nachher.
In einer ersten Beschlussvorlage vom Vorabend war noch zu lesen, Bund und Länder wollten "alle Indikatoren", also Inzidenz, Impfquote und die Zahl der schweren Krankheitsverläufe sowie die Belastung des Gesundheitssystems "genau beobachten".
Schwammiger kann man das kaum formulieren, Bund und Länder haben es am Dienstag aber offensichtlich trotzdem versucht. Denn im endgültigen Beschluss heißt es nun, man werde all diese Faktoren "berücksichtigen". Was das heißt? Wo die Grenzwerte liegen und wie die verschiedenen Werte im Verhältnis stehen? All das bleibt offen.
Es sei die "kniffligste Frage", sagte Söder im Anschluss. "Alle sind bereit, darüber zu diskutieren, aber ganz ehrlich, so eine richtige Lösung hat man noch nicht." Für Modelle wie die "Corona-Ampel", die es in einigen Ländern schon gibt, gab es keine Mehrheit. "Es ist noch keine Glücksformel gefunden, die das alles ins Lot bringt", sagte Söder.
Und auch Kanzlerin Merkel gab sich skeptisch, ob man die verschiedenen Faktoren heute schon adäquat ins Verhältnis setzen könne, ohne zu wissen, bei welcher Impfquote man im Herbst sei. Versuchen sollen es die Gesundheitsminister in den nächsten Wochen trotzdem mal.
Ausgang: völlig offen. Denn der eigentliche Grundkonflikt liegt auch hier in der Frage: Wie vorsichtig müssen wir trotz Impfungen sein? Und da ist es mit der Einigkeit bei den Ländern erfahrungsgemäß relativ schnell vorbei.
Ein vergifteter Gruß aus Bayern
Markus Söder war dann auch skeptisch, ob die Beschlüsse von Bund und Ländern "den Winter überdauern werden". Das heute sei ein "wichtiger Zwischenschritt" gewesen, aber noch nicht der "abschließende Entwurf", sagte er. So richtig widersprechen wollte ihm da auch Merkel nicht. Man wisse eben nicht, wie sich das mit dem Impfen entwickle.
Und Söder hatte dann auch noch einen Gruß an alle Wahlkämpfer dabei. Natürlich einen vergifteten. Er wisse ja, sagte Söder, "es ist Wahlkampf und jeder versucht da, noch mal seine speziellen Punkte zu machen". Doch Corona fordere "von uns allen", nicht nur daran zu denken, "was bis zum 26. September wirkt, sondern den gesamten Herbst über".
Söders ganz besonderer Freund aus Nordrhein-Westfalen, Unionskanzlerkandidat Armin Laschet, wird den zarten Hinweis wohl richtig verstanden haben. Und sich mal wieder seinen Teil denken.
- Eigene Recherchen