Verfassung Kinderrechte kommen vorerst nicht ins Grundgesetz
Berlin (dpa) - Die Rechte von Kindern werden vorerst nicht wie geplant explizit im Grundgesetz verankert. Die Parteien im Bundestag haben sich nach langen Verhandlungen nicht auf eine Formulierung für eine entsprechende Verfassungsänderung einigen können.
Für die aktuelle Legislaturperiode ist das Vorhaben damit nach Angaben von Justiz- und Familienministerin Christine Lambrecht (SPD) gescheitert.
Sie sei auch persönlich "zutiefst enttäuscht darüber", teilte Lambrecht am Montagabend mit und warf Union und Opposition einen fehlenden Willen zur Einigung vor. Vertreter von CDU und CSU gaben den Vorwurf an die SPD. Oppositionspolitiker machten die Koalition verantwortlich für das Scheitern. Die abschließende Verhandlungsrunde mit Politikern der Bundestagsfraktionen war zuvor ohne Ergebnis geblieben. Kinderschutzverbände reagierten enttäuscht.
Lambrecht beklagte eine fehlende Bereitschaft zum Kompromiss in der Sache. "Dies ist besonders schade, weil wir kurz vor einer Einigung standen und diese Gelegenheit so schnell nicht wiederkommen wird", sagte sie. Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) warf Lambrecht dagegen vor, gemeinsame Sache mit der Opposition bei dem Thema zu machen.
Nach den Plänen der Koalition sollte das Grundgesetz um folgende Passage ergänzt werden: "Die verfassungsmäßigen Rechte der Kinder einschließlich ihres Rechts auf Entwicklung zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten sind zu achten und zu schützen. Das Wohl des Kindes ist angemessen zu berücksichtigen. Der verfassungsrechtliche Anspruch von Kindern auf rechtliches Gehör ist zu wahren. Die Erstverantwortung der Eltern bleibt unberührt."
Mit Blick darauf sagte Brinkhaus, es gebe eine Einigung mit Ministerin Lambrecht. "Aber wir haben auch das Gefühl, dass da manchmal von ihr über Bande gespielt worden ist. Dass sie nämlich das, was sie dann im Kabinett nicht erreicht hat, jetzt versucht, über die Opposition zu erreichen."
Linke und Grüne hatten stärkere Formulierungen und Beteiligungsrechte für Kinder gefordert, so dass sie bei politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Prozessen mit entscheiden dürfen und ihre Interessen berücksichtigt werden. Die SPD hatte sich offen dafür gezeigt. Die Union hatte stärkere Formulierungen abgelehnt und die Befürchtung geäußert, dass damit die Position des Staates zulasten von Familien gestärkt werden könnte.
Die FDP wollte zwar mitmachen, allerdings die Grundgesetzänderung mit einer weiteren Verfassungsänderung für ein umfassenderes Diskriminierungsverbot verknüpfen. Die AfD lehnt eine Grundgesetzänderung grundsätzlich ab.
Kritiker, wie Ex-Verfassungsgerichtspräsident Hans-Jürgen Papier, hatten argumentiert, eine explizite Aufnahme von Kinderrechten sei nicht nötig, da die Grundrechte im Grundgesetz sowieso allen Menschen zustünden, auch den Kindern. Das Grundgesetz dürfe zudem nicht überfrachtet werden.
An den unterschiedlichen Vorstellungen ist das Projekt nun gescheitert. Damit sei eine historische Chance verpasst worden, die Rechte von Kindern nachhaltig zu stärken, teilte das "Aktionsbündnis Kinderrechte" mit, in dem sich das Deutsche Kinderhilfswerk, der Kinderschutzbund, das UN-Kinderhilfswerk UNICEF und die Deutsche Liga für das Kind zusammengeschlossen haben. Der Präsident des Kinderschutzbunds, Heinz Hilgers, sprach von einem deprimierenden Signal für Kinder und Familien.
Grünen-Chefin Annalena Baerbock schrieb bei Twitter: "Dass die Union eine Stärkung der Kinderrechte im Grundgesetz blockiert, ist folgenschwer. Nach 15 Monaten Bildungsausfall braucht es endlich eine Politik, die Kinder und Jugendliche in den Mittelpunkt stellt." Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion Thorsten Frei (CDU) warf Grünen und SPD dagegen vor, bei dem Thema "den Bogen überspannt" zu haben.
Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Stephan Thomae sagte, die Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz sei an der "Ambitionslosigkeit" der Großen Koalition gescheitert. "Die Koalition hat das Vorhaben, Kinderrechte endlich im Grundgesetz zu verankern, an die Wand gefahren", sagte der kinderpolitische Sprecher der Linken, Norbert Müller.
Der Chef der CSU-Abgeordneten im Bundestag, Alexander Dobrindt, plädierte dafür, das Vorhaben noch nicht aufzugeben. "Ich habe immer noch die Hoffnung, dass man sich hier verständigen kann", sagte er. Er halte das Grundanliegen, Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern, für richtig und sinnvoll. Es müsse weiter diskutiert werden, "ob man das noch gemeinsam auf den Weg bringt, oder ob man das dann auch in einem Wahlprogramm entsprechend verankert".