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Islamverbände: NRW’s gefährliches Spiel mit Ditib


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Islamverbände an NRW-Schulen
Diese Politik ist ein Trauerspiel

  • Lamya Kaddor
MeinungEine Kolumne von Lamya Kaddor

27.05.2021Lesedauer: 6 Min.
Anhänger von Erdoğan: Der türkische Präsident macht keinen Halt vor antisemitischen Äußerungen.Vergrößern des Bildes
Anhänger von Erdoğan: Der türkische Präsident macht keinen Halt vor antisemitischen Äußerungen. (Quelle: imago-images-bilder)
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In Zeiten, in denen das Entsetzen über antisemitische Ausfälle in der Türkei groß ist, machen CDU und FDP den umstrittenen Islamverband in NRW wieder hoffähig. Das ist ein Trauerspiel.

"Die Tyrannei von Israel, dem Babymörder, der Gotteshäuser gnadenlos zerstört und vernichtet, muss so schnell wie möglich gestoppt werden." Das wurde dieser Tage über den deutschen Twitter-Kanal von Diyanet, dem türkischen Amt für Religionsangelegenheiten in Ankara, mitgeteilt. Dazu wurde ein Bild vom Chef dieser Behörde, Ali Erbaş, gepostet, dem Urheber der Worte, der zudem vom "grausamen Israel", vom "terroristischen Staat", von "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" spricht und "unseren Märtyrern Gnade" wünscht.

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Von Diyanet und vom Mann, der in der Türkei alles bestimmt, Präsident Recep Erdoğan, kommen zudem offene Anspielungen auf klassisch antisemitische Ritualmordlegenden: "Sie sind Mörder, sie töten Kinder, die fünf oder sechs Jahre alt sind. Sie sind erst zufrieden, wenn sie ihr Blut aussaugen", phantasierte der Staatschef, und in der jüngsten Freitagspredigt der Diyanet hieß es: "Diejenigen, die sich von Blut und Tränen ernähren, vertreiben die Muslime in und um Jerusalem mit Druck und Gewalt aus ihren Häusern und nehmen ihnen das Recht auf Leben."

Ditib als Teil der Islamunterricht-Kommission

Mit dieser Diyanet im Hintergrund wird künftig in Deutschland Islamunterricht an öffentlichen Schulen erteilt. So haben es CDU und FDP unter Führung von Ministerpräsident Armin Laschet in Nordrhein-Westfalen festgelegt, indem sie den deutschen Islamverband Ditib in die neue Islamunterricht-Kommission aufgenommen haben.

"Wir gehen damit in Nordrhein-Westfalen einen bundesweit einmaligen Weg", freute sich Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) über die neue Kommission. Leider führt der Weg weiter in die Irre. "Wir werden damit gemeinsam ein neues Kapitel für den islamischen Religionsunterricht aufschlagen", so Yvonne Gebauer weiter. Doch leider wird in diesem Kapitel wenig Neues stehen. Und das trotz aller großen Versprechungen, die Fehler der rot-grünen Vorgängerregierung von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft in NRW nicht zu wiederholen.

Stamp war echauffiert

Noch kurz vor der Landtagswahl 2017 hatte sich der heutige Integrationsminister und stellvertretende Ministerpräsident, damals Vizefraktionschef der FDP, Joachim Stamp, mit Blick auf Ditib echauffiert: "Wer denunziert, spioniert, trickst und täuscht, kann nicht einen Tag länger Partner sein – weder bei der Organisation islamischen Schulunterrichts noch bei der Gefangenenseelsorge und schon gar nicht bei der Salafismusprävention."

Nach der Regierungsübernahme durch CDU und FDP wurde die Kooperation mit der Ditib zunächst auch folgerichtig wegen der vielen berechtigten Vorwürfe gegen die Führungsspitze ausgesetzt. Damit ist es nun vorbei. Schwarz-Gelb setzt wieder auf den Dachverband, der am spirituellen Tropf besagter Diyanet aus Ankara hängt.

Fehlendes Gegengewicht

Ein gewisser Ausgleich hätte geschaffen werden können, wenn wenigstens für ein inhaltliches Gegengewicht gesorgt worden wäre, wenn Vertreterinnen oder Vertreter dezidiert liberaler, in Deutschland beheimateter Islam-Auffassungen berücksichtigt worden wären. Ich hatte persönlich vorgesprochen und dafür geworben, beispielsweise den Liberal-Islamischen Bund (LIB e.V.) einzubeziehen.

Doch während sich die Landesregierung beim LIB auf formale Gründe versteifte, um dessen Ablehnung durchzusetzen, ließ man bei den inhaltlichen Einwänden gegen Ditib alle fünfe gerade sein. Statt die Augen für das tatsächliche Leben der Musliminnen und Muslime in Deutschland zu öffnen, starrt die Landesregierung auf bedrucktes Papier: Yvonne Gebauer meint, Ditib habe "intern, aber auch öffentlich" eine "Staatsferne" dargelegt.

Unabhängigkeit angeblich sichergestellt

Auf Anfrage der "FAZ" teilte ihr Ministerium offenbar allen Ernstes mit, der Ditib-Landesverband und seine zugehörigen Regionalverbände hätten ihre Unabhängigkeit durch eine Satzungsänderung sichergestellt. Dadurch sei "der Einfluss von Ditib-Gremien, die maßgeblich vom türkischen Staat bestimmt werden, auf den Landesverband deutlich eingeschränkt und auf den islamischen Religionsunterricht gänzlich ausgeschlossen" worden.

Clevere Ditib-Juristen finden also Formulierungen, mit denen sich der Verband selbst eine Distanz zur Diyanet bescheinigt?! "Ich könnte vor Wut explodieren und verstehe die Naivität nicht", sagte Cem Özdemir (Grüne) der "Welt am Sonntag". Dem ist nichts hinzuzufügen.

Strenge Hierarchie

Jeder, der mit Ditib zu tun hatte, weiß, dass der Verband streng hierarchisch aufgebaut ist. Nichts geschieht, was die Kölner Zentrale nicht will, und in der Kölner Zentrale geschieht nichts, was Diyanet in Ankara missfällt. So sucht man beispielsweise deutliche Kritik von Ditib an Diyanet oder der türkischen Regierung bis heute vergeblich. Von daher war es nur folgerichtig, dass die prächtige Zentralmoschee in Köln 2018 von Recep Erdoğan eröffnet wurde. Um einen offiziellen Zugang zu Ditib-Gemeinden zu bekommen, brauchen Forschende in der Regel ein Plazet aus Köln.

Auf deutsche Presseanfragen reagiert die Ditib-Spitze oft gar nicht oder nur verzögert. In örtlichen Gemeinden wird unliebsames Personal ausgetauscht – beim Bundesvorstand der Ditib-Jugend führte das 2017 zum geschlossenen Rücktritt.

Stolze Männer

Vor gut einem Monat wurden Vertreter deutscher Islamverbände von Recep Erdoğan in der Türkei empfangen, darunter selbstverständlich die Ditib. Später durfte jeder einzeln ein Foto mit dem Präsidenten machen. Der Stolz der Männer kannte keine Grenzen. Auch vom türkischen Verteidigungsminister Hulusi Akar wurden sie empfangen. Was haben deutsche Islamverbände mit der Landesverteidigung der Türkei zu tun?

Um es klarzustellen, die Ditib ist in Deutschland der größte Islamverband. Viele Mitglieder sind absolut integer, stehen fest auf dem Boden unseres Grundgesetzes. Ich kenne viele persönlich, bin mit ihnen befreundet und nichts läge mir ferner, als sie und ihren Einsatz für die Gesellschaft in Deutschland zu desavouieren. Es ist klar, dass man diese Menschen, die durch Ditib vertreten werden, im Diskurs nicht unberücksichtigt lassen darf.

Fragwürdige Führung

Allerdings sollten sie sich langsam die Frage stellen, wie lange sie sich durch einen Verband wie Ditib unter dieser Führung noch vertreten lassen wollen. Lange Zeit hat die deutsche Politik auch den Zentralrat der Muslime in Deutschland hofiert. Anders als Ditib sitzt der bei der Gestaltung des Religionsunterrichts in NRW nun nicht mehr mit am Tisch. Hinter vorgehaltener Hand heißt es, der Verfassungsschutz habe zu viel Druck ausgeübt wegen der Mitgliedschaft des rechtsextremen Graue-Wölfe-Dachverbands Atib.

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Es lässt schon tief blicken, wenn erst der Verfassungsschutz warnen muss, damit eine Landesregierung reagiert. Zugleich zeigt der Schritt, dass es durchaus möglich ist, auf größere Dachverbände zu verzichten.

Es fehlt der Mut

Bei Ditib muss es nicht zwangsläufig auf einen Ausschluss ihrer Vertreter hinauslaufen. Allerdings muss man ihnen in dem Fall in Kommissionen, die die verfassungsrechtlichen Aufgaben einer Religionsgemeinschaft etwa im Hinblick auf die inhaltliche Gestaltung von Lehrplänen oder die Erteilung von Lehrerlaubnissen analog zu den Kirchen haben, entsprechende Gegenpositionen zum Ausgleich an die Seite stellen. Doch dazu fehlt der NRW-Landesregierung der Mut, ähnlich wie der Deutschen Islamkonferenz beim Bundesinnenministerium und vielen anderen Landesregierungen etwa in Hamburg, Niedersaschen oder Rheinland-Pfalz.

Seit Jahren setzen sie allesamt stur auf die großen Verbände. Dabei zeigt die schwarz-grüne Landesregierung in Hessen, dass man durchaus auf Ditib verzichten kann und das Interesse von Eltern am islamischen Religionsunterricht in der Schule trotz Boykottaufrufen nicht wegbricht.

Eine theologische Notwendigkeit

Kommissionen, die als Kooperationspartner für den Staat dienen, mit weiteren Islamvereinen oder sachkundigen Einzelpersonen zu besetzen, ist keine rein politische Forderung, sondern geradezu eine theologische Notwendigkeit. Es geht nicht darum, einen deutschen "Staatsislam" zu erzwingen, wie manche Verbands-Muslime kritisieren.

Die Muslime in Deutschland sind ein zusammengewürfelter Haufen aus aller Herren Länder. Der deutsche Islam stellt ein Kaleidoskop internationaler Islam-Verständnisse und religiöser Traditionen dar. Er ist ein Mosaik aus türkischen, bosnischen, syrischen, marokkanischen, pakistanischen, afghanischen, iranischen, indonesischen und sonstigen kulturell gefärbten Teilstücken.

Die deutschen Muslime bilden keine Religionsgemeinschaft, die seit Jahrhunderten gewachsen ist wie Katholiken oder Protestanten hier. Und diese bunte Mischung besteht bei Weitem nicht nur aus konservativen Gläubigen, doch bis heute setzt der Staat einseitig auf vorwiegend konservativ, sunnitisch sowie türkisch geprägte Verbände und missachtet damit die Realität.

Bequemlichkeit und wenig Beweglichkeit

Der zentrale Grund dafür ist Bequemlichkeit und wenig Beweglichkeit. Der Staat klammert sich an die formalen Vorgaben zum Organisationsgrad. Dabei sind Ditib, Millî Görüş, VIKZ und andere etablierte Islamverbände bloß ein Ergebnis des historischen Zufalls unserer Einwanderungsgeschichte nach 1960 und nicht etwa einer innermuslimischen Entwicklung. Ihre Existenz kam zustande, weil sie die einstigen "Gastarbeiter" lost in space eingesammelt und deren Bedürfnisse nach Heimatgefühl bedient haben, und dabei aus dem Ausland gefördert wurden.

Im Islam gibt es keine kirchliche Organisation. Obwohl Ditib heute der größte Verband ist, vertritt er nur einen Teil der Muslime in Deutschland. Viele Muslime kennen es nicht, sich in religiösen Verbänden zu organisieren – abgesehen vielleicht von Indoniesen, wo es die weltweit größte muslimische Organisation gibt, die circa 30 Millionen Gläubige vertritt.

Quadratur des Kreises

Wenn die deutsche Politik ungeachtet dieser natürlichen Gegebenheiten verlangt, Islamverbände müssten sich dennoch gemäß deutscher Bestimmungen ohne Auslandsfinanzierung organisieren wie eine Ditib, ist das die Quadratur des Kreises. Es kann nicht funktionieren.

Die deutsche Islampolitik gibt seit Jahren ein Trauerspiel ab. Letzten Endes werden tiefgreifende religionsverfassungsrechtliche Änderungen unumgänglich sein. Mal sehen, wie lange diese Erkenntnis noch reifen muss ...

Angemessen besetzte Gremien wie die Kommission in NRW sind da grundsätzlich ein guter Weg, um die Repräsentanz von Muslimen in Deutschland zu gewährleisten. Immerhin hat die Landesregierung in Düsseldorf die Kommission offen gestaltet, sodass andere Verbände noch hinzustoßen können. Genau das muss jetzt geschehen. Wenn die Ditib nicht raus soll, müssen wenigstens andere Verbände rein, um die Realität von Musliminnen breiter abbilden zu können.

Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin, Religionspädagogin, Publizistin und Gründerin des Liberal-Islamischen Bunds e.V. (LIB). Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt an der Universität Duisburg-Essen und ist Kandidatin der Grünen für den Bundestag. Ihr aktuelles Buch heißt "Die Sache mit der Bratwurst. Mein etwas anderes deutsches Leben" und ist bei Piper erschienen.

Verwendete Quellen
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